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Die Kunft oder Methode, Sprachen auf die leichtefte, schnellste und gründlichste Art sprechen, schreiben, vertehen und übersehen zu lernen, theoretisch und praktisch dargelegt, und auf die Französische, Englische, Italiänische, Spanische, Portugiesische, Russische, Deutsche, Lateinische und Griechische Sprache angewandt, von C. A. F. Mahn, Dr.

Eine Sprache kann in doppelter Beziehung studiert und erlernt werden, entweder als Kunst oder als Wissenschaft. Wenn man die Sprache um ihres materiellen Inhaltes willen erlernt, und diesen auf reale Dinge bezieht, ihn als Mittheilungs- und Verkehrsmittel anwendet, eine Fertigkeit und Geschicklichkeit darin zu erlangen sucht, die Sprache zu sprechen, zu schreiben, zu verstehen, indem man zu diesem Zweck Wörter und Redensarten und die in den Grammatiken vorhandenen, schon fertigen Formeln und Regeln einübt oder auswendig lernt, so ist dies als eine Kunft zu betrachten. Sobald man aber die Sprache um der Sprache willen studiert, ihres Geistes und Characters wegen, wenn man aufs Selbstbeobachten und Selbstentdecken ausgeht, Regeln und Geseße selbst zu finden, dieselben nach ihren inneren Gründen zu begreifen und dann als Principien festzustellen sucht, sobald man die Beschaffenheit und Gestalt der Sprache historisch bis zu ihren ersten nachweisbaren Anfängen verfolgt, eine Sprache mit der andern nach ihrer Aehnlichkeit und Verschiedenheit vergleicht, und endlich das Wesen der Sprache überhaupt nach seinen inneren Bedingungen begriffs- und vernunftmäßig zu erfassen strebt, so wird die Beschäftigung mit derselben zur Wissenschaft. Beide Gebiete können scharf abgegränzt sein, aber auch vielfältig in einander übergreifen. Die Resultate der Betreibung einer Sprache als Wissenschaft werden nicht ohne Einwirkung auf die Betreibung einer Sprache als Kunst bleiben, und so auch umgekehrt.

Bei Erlernung und Betreibung einer Sprache, sei es als Kunst oder als Wissenschaft, ist das größte Gewicht auf die Methode zu legen, durch die man in den Besiß derselben zu gelangen gedenkt. Bei jeder Kunst und jeder Wissenschaft ist die Methode, nach welcher man sie betreibt, die Lebensfrage. Ja manche Wissenschaften unterscheiden sich von einander mehr durch ihre Methoden als durch die Gegenstände, die sie verfolgen. Die Methode seßt uns erst in den wahren und sichern Befiß des Gegenstandes und macht ihn zu einem bleibenden, nicht wieder zu verlierenden Eigenthum. Eine zweckmäßige Methode kürzt die Zeit der Erlernung ab, erspart viele Mühe und Kosten, und erzielt und verbürgt die Richtigkeit des Gelernten. Nach mehrfachen Versuchen, Verbesserungen und Modificationen ist von mir eine neue Methode, Sprachen auf die leichteste, Sechste Auflage. Berlin 1855. Bei dem Verfasser.

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schnellste und gründlichste Art als Kunft zu erlernen, aufgestellt wor den. Sie beruht im Wesentlichen auf folgenden Grundsäßen:

1. Eine Sprache wird hauptsächlich und zuerst gesprochen. Es ist Hauptidee und Hauptgrundsaß, daß die Me thode, dem in der Sprache liegenden Begriffe und dem Gange bei Erlernung der Muttersprache gemäß, mit dem Sprechen der Sprache anfängt, es an die Spize stellt und zum Ausgangspunkte des Ganzen macht. Man kann zwar den Weg bei Erlernung der Muttersprache nicht ganz einschlagen, indem man weder mehr als ein Mahl Kind sein kann, noch naturgemäß als solches mehrere Sprachen auf einmahl als Muttersprache lernen darf, aber man müß sich dem Gang, den uns die Natur bei unserer Muttersprache zeigt, so viel als möglich nähern. Man darf die Natur nicht geradezu an die Stelle der Kunst feßen, aber man muß der Kunst so viel Natur als nur irgend möglich hinzufügen. Stellt man das Sprechen an die Spige, so ist daher natürlich nicht damit gesagt, daß man bloß zufällig, plan- und principles, ohne weiteres sprechen solle, daß man ohne Methode, ungewiß und unsicher umhertappend, sich auf irgend eine beliebige Art bloß im Sprechen üben solle. Es ist dies allerdings das gewöhnliche Auskunftsmittel ungebildeter, verbildeter oder überbildeter Personen und kunst - und wissenschaftsloser Sprachmeister und Bonnen; aber die Resultate find auch darnach. Außer der Langwierigkeit und Kostspieligkeit führt es nur zu einer gebrochenen Sprache, zu einem Radebrechen von höchst zweideutigem Werth, höchstens zu einer gewissen bewußtlosen, oberflächlichen Zungenfertigkeit, und zu einem unvollkommenen und leichtfertigen, mehr den Charakter des Rathens an fich tragenden Verständniß. Die Rede wird durch zu viele sprachliche und grammatikalische Fehler entstellt, fie wimmelt von zu vielen Germanismen und Solöcismen. Es ist mehr eine Lingua franca als die Sprache in ihrer Reinheit und Nichtigkeit. Man würde selbst nach Durchlaufung einer so langen Laufbahn zulezt doch noch, wie man es bei der Muttersprache, der Richtigkeit und Vollständigkeit wegen, zu thun genöthigt ist, zum Unterrichte seine Zuflucht nehmen müssen, was aber dann mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, da diese Art des Erwerbs der Sprache den Lernenden so entnervt, daß er nachher zu keiner Art des genaueren Studiums mehr aufgelegt und befähigt ist. Das Sprechen muß daher der Natur zwar nachgeahmt sein, aber mit Kunst berechnet und durch alle Hülfsmittel der Erfahrung, des Nachdenkens und der Wissenschaft unterstüßt werden. Vgl. die weitere Ausführung in der Darlegung der Kunst, Spr. sprechen zu lernen.

11. Der Sprachstoff steht über der Grammatik. Es muß also zuerst und hauptsächlich die Sprache selbst, das Material derselben, die Wörter und Wortverbindungen, welche die Sprache ausmachen, erworben werden. Man muß erst das Besondere, das Stoffliche einer Sprache kennen lernen, ehe es zweckmäßig ift, fich zu den allgemeinen Dingen und zu den abstracten Ideen zu erheben. Es ist leichter und naturgemäßer, vom Besonderen zum Allgemeinen, vom Concreten zum Abstracten, von der Praxis zur

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Theorie überzugehen, als umgekehrt. Man strebe daher vor allem darnach, sich mit den Wörtern einer Sprache, insofern dieselben in Säßen, Perioden und Redensarten vorkommen, bekannt zu machen, aber immer nur in ihrer Verbindung mit anderen, oder in ihrem Zusammenhange und in ihrer Beziehung zu diesem, um den wahren Werth und Gebrauch derselben zu erfahren, und dadurch dem sich überall leicht eindrängenden Germanismus erfolgreicher die Spiße bieten zu können. Bei der Wahl des Stoffes vermeide man zu uns praktische, zu geschmacklose, zu unbedeutende Sachen, noch mache man den Anfang mit zu erhabenen, zu abstracten, zu verwickelten Gegenständen. Mannehme daher weder Gespräche, die einen Gegenftand, wie z. B. das Wetter, das Befinden u. s. w. nach allen Seiten hin erschöpfen, noch die trivial-abgeschmackten und unnatürlich ge= bildeten Fragen und Antworten der Manesca-Ollendorffschen Methode, wodurch der Schüler sogar in seiner eigenen Muttersprache naturwidrig sprechen und denken lernt, und die von der Vorausseßung auszugehen scheint, daß das menschliche Sprechen bloß aus Frage und Antwort besteht, und die vortragende, aus einander seßende und erzählende Rede kaum eine Berücksichtigung verdient; noch bes ginne man mit dem Lesen von ganzen und solchen Schriftstellern, die die Sprache des gewöhnlichen Lebens entweder gar nicht oder nur einseitig enthalten. Man wähle den Stoff so, daß man stufenartig vom Einfacheren zum Zusammengeseßteren, vom Leichteren zum Schwereren und Verwickelteren, vom Concreteren zum Abstracteren aufsteigt. Für die erste Stufe wählt man am besten kurze und einfache Säße, welche die Umgangssprache in allen ihren Formen zum Inhalt haben. Man richte das Gespräch so ein, wie es im gewöhnlichen Leben wirklich vorkommt, wo alle Formen der Rede Statt finden, wo stets die größte Mannigfaltigkeit herrscht und man mit Leichtigkeit und Ungezwungenheit von einer Form zur anderen und von einem Gegenstand zum anderen übergeht. Weiterhin läßt man Anekdoten, Erzählungen, Theaterstücke, Briefe, Romane, Abhandlungen, und so immer weiter Aussäge und Abschnitte in schwierigeren und höheren Stylarten folgen, so daß das Vorhergehende immer eine Sprosse und Stüße für das Folgende wird.

III. Die Analyse geht vor der Synthese her. Es fragt sich nun, auf welche Weise man sich den Sprachstoff am besten aneignet, ob durch Analyse oder durch Synthese? Der Analyse gebührt der Vorrang, aber die Synthese ist nicht ausgeschlossen. Durch die Analyse wird das wahre Verständniß und die wahre Aneignung der Sprache bewirkt, sie lehrt die Wörter in ihrem grammatischen und lexikalischen Verhältniß kennen, und zerlegt dieselben in ihre kleinsten und einfachsten Elemente, indem sie dieselben als Wurzel und Stamm, als Ableitung oder Zusammenseßung erkennen läßt. Bei den neueren lebenden Sprachen kann man der Analyse eine synthetische Form geben, indem man sie zum Ausgangspunkte macht. Bei den alten und gelehrten Sprachen, wo zunächst mehr das Verftehen und Ueberseßen als das Sprechen und Schreiben zu berück

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