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ein für sich bestehendes, lebendiges, einzelnes Ding ist, ist aus jenen Betrachtungen eben so unläugbar, als dasselbe innigstes, unläugbares Selbstgefühl der Ichheit in uns und ihrer Permanenz beweiset. *) Dass aber die wirkliche Kraftäusserung dieses inneren, lebendigen Keims einer Einwirkung, einer Reaction von Aussen bedarf, dass der intellectuelle Keim so gut einer Belebung von Aussen und Nahrung bedarf, um erst aus seinem Schlummer zu erwachen und dann wach zu bleiben, mit anderen Worten, dass uns kein Gedanke kommt, als durch Sinne, wie unsere innere organische Lebenskraft, belebende Wärme und Zufuhr von Nahrung braucht, um sich in ihrem Leben, ihrer Kraftäusserung immerdar zu erhalten, dass also die jedesmalige Art des Seins jenes intellectuellen (so wie des organischen) Keims in der fortgehenden Entwicklung und dem fortgehenden Wachsthum, im gegenwärtigen Spiel seiner Kräfte und deren Richtung etc., einer Diagonalkraft verglichen werden mag, die mit immerwährender Abänderung der einzelnen Kräfte, ihrer Gegeneinanderstellung etc. im Fluss der Zeit immerdar abwechselt und sich ändert; dies Alles ist eben so gewiss, als es tägliche Erfahrung Jeden lehren kann. **)

Wenn also Meiners sagt, dass wir alle Augenblicke erfahren, nicht, dass wir unverändert dieselben sind, die wir vor waren, sondern immerdar unsere Abänderung erfahren, so hat er insoweit recht. Nur kann dies gegen die Permanenz der Substanz unseres Ich's nicht nur nichts beweisen, sondern jene nur bekräftigen. Ich erfahre freilich alle Augenblicke, dass ich nicht mehr auf dieselbe Art bin, als ich vorher war. Wäre ich nun aber meiner Substanz (Substratum, wenn man will) nach nicht immerwährend derselbe, wie könnte ich es inne werden, dass ich anders geworden

*)

"Ich frage nicht nach Raum noch Zeit;
Ich bin schon in der Ewigkeit.<<

D. H.

**) In dieser einfachen Beobachtung liegt die unmittelbarste Versöhnung zwischen Locke's tabula rasa und den pensées innées des Leibniz. Oder vielmehr hat Leibniz diese Versöhnung selbst schon dadurch bezeichnet, dass er dem bekannten Ausspruch: »Nihil est in intellectu, quod non antea fuerat in sensu« noch die weiteren Worte beifügte: nisi intellectus ipse. D. H.

bin?

Bliebe das Substratum aller jener Kraftäusserungen, die unaufhörlich in ihrem Spiele abwechseln, nicht éines und dasselbe, so würde ich mit jedem Augenblicke vergessen, nicht blos: wie und was ich war, sondern auch: dass ich war.

*)

Dass wir durch Sinne das Innere der Wesen nie, nie innewerden, dass alle sinnliche Erkenntniss sich abändert mit dem Sinne und also für sich nichts Bleibendes, Bestehliches ist, dass es also gröblich gefehlt ist, Alles, was Materie und sinnlich ist, sich als ein selbständiges, ausser uns und ohne uns wirklich bestehendes Ding zu denken, so sehr gefehlt, als wenn man sich Farbe ohne Auge als existirend vorstellen wollte, daran wird wohl Niemand zweifeln, der es überdacht hat, dass der Gelbsüchtige, wie der mit reinem Auge, dass beide wahr und beide doch anders sehen, und dass also weder die weisse, noch die gelbe Farbe anderswo existirt, als in ihren Augen; dass also alles Sinnliche alle Augenblicke hinschwindet, wie ein wesenloser Schatten und im Fluss der Zeit alle Augenblicke untergeht und alle Augenblicke mit unserer und aller Wesen Umwandlung umgeformt wird: alle diese Wahrheiten sind in der Theorie eben so sicher und unläugbar, als gewiss es wenige Leute in der Welt gibt, die sie in praxi als solche erkennen und sich zu Herzen nehmen.

Wenn aber Alles um uns nur Schein, Phänomen ist, so ist doch unläugbar, dass dieser Schein als Wirkung von seiner Ursache zeugen und dass das Unsichtbare im Sichtbaren und durch dieses sich offenbaren muss. Sollte es also nicht möglich sein, in der sichtbaren Copie wenigstens das unsichtbare Urbild wahrzunehmen? Und thun wir nicht das wirklich alle Augenblicke, Jeder, so gut er kann? Und sollte es nicht Meister in der Kunst zu lesen geben?

Hier kommt uns sonst allgemein die Analogie zu statten, wie Herder so tief und wahr bemerkt hat. Mit unserem Selbst

*) Aus gleichem Grunde ist Unsterblichkeit ohne Rückerinnerung ein ganz eitler und nichtiger Begriff. Denn für mich ist Unsterblichkeit im Sinne einer blossen natürlichen Transformation auch in gar nichts vom ewigen Tode unterschieden. D. H.

gefühl beleben wir alle Wesen ausser uns und ohne dies wäre Alles um uns todt, nur Hülle ohne Leben und ohne inneren Geist. *) Mit ihm aber fährt gleichsam éin Geist nämlich der unsere durch alle Formen und belebt sie alle zu einem lebenden Ganzen für und in uns! Dichten**) müssen wir hier, wir mögen wollen oder nicht! Und hätte man denn nicht von jeher anschaulich und lebendig sehen sollen, dass wir Alles um uns

nur menschlich erkennen können? Jeder Mensch erklärt ja wirklich sich Alles aus sich, so wie Alles nur ihm ist, insofern es auf ihn Bezug hat. Alle Augenblicke handelt er also nach dem Satze: dass der Mensch was um ihn ist durch sich und nicht sich durch das, was um ihn ist, erklären soll.

München, den 19. October.

Wer ist leicht mit den Menschen, mit denen er umgehen muss, zufrieden? Antwort: „Wer gelernt hat, ihres Wohlwollens zu geniessen und ihnen zu dienen, und dennoch ihre persönliche Denkart und Lebensart (welche nicht er zu verantworten hat, sondern auf ihre Rechnung kommt) gut genug zu finden, ohne durch vergebliches und missfälliges Bestreben sie nach seiner Denkart und Lebensart ummodeln zu wollen." S. Examen in der aller. Relig. S. 118.

Welche beschämende Lection für mich! Ich bin so schwach, mich von jedem Urtheil, das meiner Ueberzeugung geradezu widerspricht und so auch von jedem üblen Beispiel ärgern zu lassen. Wiewiel Unruhe, Unfrieden mit mir und Andern, leidenschaftliche Zweifelei etc. würde ich mir schon erspart, welchen Fortschritt in der Ausbildung meiner selbst würde ich nicht schon

*) Dies ist der wahre und nothwendige Sinn des richtig verstandenen Anthropomorphismus, sowie jeglicher poëtischen Personification. Wie der Mensch ohne Welt, so ist auch die Welt ohne Mensch nichts. Die Wahrheit ist das commercium beider, beider harmonia praestabilita. D. H. **) Wir haben an der Natur nichts als Turbatverse und disjecti membra poëtae zu unserm Gebrauch übrig. Diese zu sammeln, ist des Gelehrten; sie auszulegen, des Philosophen; sie nachzuahmen oder noch kühner sie in Geschick zu bringen, des Poëten bescheiden Theil.< Hamann's Schriften. Band. II. S. 261 u. 262. D. H.

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gemacht haben, wenn mir diese ängstigende, fatale Unsicherheit nicht in den Weg gekommen wäre! Beherzigte ich doch, dass leidenschaftliche Unruhe wider Vernunft nichts vermag, dass es keine Wahrheit wider Wahrheit gibt und dass ja meine eigensten, inneren Erfahrungen mir mehr werth sein, für mich eine unwiderleglichere und mir unentreissbarere Wahrheit haben müssen, als Worte, die vertönen, und Handlungen Anderer, die ja nicht meine Ueberzeugung haben, nicht haben wollen, nicht haben können. Was geht es mich an? Gott! gib mir Stärke, feste meinen Glauben, dass ich immerdar meinem schwachen und meinem starken Mitbruder nicht durch Worte, sondern durch That und Leben deine Güte und Treue lehre!

Ich habe nun schon manchmal folgende Beobachtung an mir gemacht. Jedes menschliche Individuum, das wie immer meine Achtung gewonnen hat, wirkt so sehr auf meinen Nachahmungstrieb *), dass in sehr kurzer Zeit Ton, Miene, ja Grimasse von Jenem in mich übergehen. Eine so gewaltige Anlage ist in mir, ein Chamäleon zu werden! Das Phänomen selbst ist mir manchmal äusserst frappant und zeigt mir, was man Alles mit schwachen Menschen und Kindern, also dem grossen Haufen machen kann, wenn man einmal über ihr Herz nur die kleinste Macht erwor

ben und Zutrauen, Wohlwollen Glauben von ihnen gewonnen hat. Blinder Raisonneur! Wie verkennst du so ganz die wahren, mächtigwirkenden Springfedern der Menschennatur! Glaube ist dir Dorn in den Augen und doch handelst du selbst (nicht schreibst du selbst, denn es ist freilich zwischen beiden ein mächtiger Unterschied) täglich und in hundert Fällen auf blinden Glauben hin gegen Andere nach dem, was dir feste Vernunftüberzeugung heisst. Und den vernünftigen Glauben wolltest du der Menge - Kindern und Weibern aus dem Herzen reissen, und nichts, gar nichts dafür geben? Unsinniger!

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*) Allerdings vermag der dem Menschen eigenthümliche Nachahmungstrieb zur entschiedensten Carricatur auszuarten; doch liegt anch in ihm gleichsam eine verschüttete Tugend begraben. Denn er ist ein treffender Beweis unserer unendlichen Bildungsfähigkeit oder Perfectibilität. D. H.

Den 22. October 1786.

Wer für das Göttliche in Christus, dem lebendigen Worte, dem Sprecher an die Menschen, keinen Sinn hat, wie mag der Sinu haben für das Göttliche in der Natur, der stummen, uns chaotischen Natur? Gewiss so wenig, als wer seinen sichtbaren, leiblichen Bruder nicht liebet den unsichtbaren Gott zu lieben vermag.

Der sogenannte Deist ist Zweifler, Skeptiker, ohne es zu wissen, sein Gott ist ein Wort ohne Geist und Leben. NichtchristAtheist! *)

Liebenswürdiger L... **), Mann Gottes, eine Leuchte des Lebens warst du meinem tiefgebeugten Geiste in dunklen Labyrinthen!

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Den 5. November.

Zwei Kräfte wirken sichtbar hienieden. Die eine sammelt, bindet, die andere zerstreut, trennt. In der gesammten Natur, wie in jedem einzelnen lebendigen, organischen Gebilde offenbaren sich beide. Schwerkraft, Krystallisations-, Configurationstrieb der todten Masse; Expansionstrieb, Bildungstrieb der lebendigen, jedem Kunstgebilde inwohnenden, in ihm hausenden, schaffenden, zerstörenden, assimilirenden Kraft. Ohne diese Kraft ist jenes Kunstgebilde ein Sandhaufen, auf und in sich selbst zusammentretend, wenn es könnte, und nicht der unversöhnbare Elementenkampf dies auf immer unmöglich machte. Mit dieser Kraft ist jenes Kunstgebilde ein lebendiges Ganzes, Individuum, das, vom Staube erhoben, wenigstens auf einige Zeit sichtbar über und auf ihm herumwandelt!

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In der Elementarnatur trennendes, allauflösendes, allausdehnendes Wärmefluidum; gefrierendes, in sich zusammentretendes, schwerstrebendes Erdeprincipium. Jenes verkörperter Lichtstrahl kam von Oben, gebunden in irdischer Hülle will, strebt er wieder

*) »Wer den Sohn läugnet, der hat auch den Vater nicht.« 1. Ep. Joh. 2, 23.

**) Mit ziemlicher Gewissheit Lavater.

D. H.

D. H.

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