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weise mehr geneigt andre zu verhöhnen als sich verhdh nén zu lassen, sobald zwischen ihm und vornehmern Leuten die mindeste Irrung entsteht. Die Engländer haben so sehr darauf gesehen, ihre Personen und ihr Eigenthum gegen Unterdrückung zu sichern, daß weder ihre Sitten noch ihre Gesetze einen Schlag, viel weniger Gefängniß und Handlungen größerer Gewaltthätigkeit ungeahndet erdulden. Doch! wens det man sich in England nur selten an die Gesetze wes gen erhaltener Schläge; die Armen haben ihren Ehrenpunkt, worüber sie eben so wachsam sind, als die Reis chen in andern Låndern; ein empfangener Schlag muß erwiedert und der Streit auf der Stelle entschieden werden, sonst ist der Empfånger beschimpft; und der Arme giebt den Schlag Vornehmern mit desto größerer Ge wißheit zurück, als einem von seinem Stande, weil man die Beschimpfung nicht nur tiefer empfindet, sondern auch die körperliche Stärke des Gebers mehr vers achtet. Ein Herr mag zuweilen wagen, feinen Bediens ten oder seinen Taglöhner mit Worten herabzuwürdis gen, aber niemals durch Schläge. Diese allgemeine Ge, ' wöhnungen an Arbeit und Freyheit geben dem Englis schen Character eine Kraft, welche ein égenthümlicher und hervorstechender Zug in demselben ist; und Englånder, die in fremden Ländern unter diesem Einfluße hans deln und zu wenig auf fremde Sitten Achtung geben, welche sie übereilterweise zu verachten geteigt sind, wers den bey einigen Veranlassungen für wenig besser als Barbaren und zuweilen für Tollhåuslær gehalten.

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In dieser Neigung zur Empfindlichkeit hält das Gute dem Bösen die Wage; aber får die Gewohnheit geistige Getränke zu trinken, welcher die Armen in London nur zu sehr ergeben sind, hat man weiter keine

Entschuldigung als den Trieb, welcher allen Menschen gemein ist, peinliche Empfindungen zu entfernen und sich angenehme zu verschaffen. Wenn die Dürftigen müde von der Arbeit sind, glauben sie keine andre Erheiterung finden zu können, als vermittelst starker Getrånke; und von diesen trinken sie die schlechtesten, weil fie die wohlfeilsten sind. Aber ungeachtet dieses Laster, welches der Gesundheit, den Sitten und der häußlichen Zufriedenheit so nachtheilig wird, bey weitem zu sehr; `herrscht, besonders in den Stadtvierteln, wo arme Irs länder wohnen, die sich an den brennenden und ecklen Branntwein, Whisken genannt, gewöhnt haben; so kann man doch von den Armen in London, überhaupt, genommen, mit Wahrheit sagen, daß sie reinlich in ih ren Personen, anständig in ihrem Benehmen, und ehrlich im Umgange sind, welches sie eben so achtungswerth als nüßlich macht. Sie sind die Sehnen des Staates, dessen Stärke überall empfunden, anerkannt und bewundert wird.

Die meisten Ladenhåndler in der Altstadt London haben einen Zug in ihrem Character, welcher sie von Menschen desselben Berufs in den meisten andern Lån-" dern unterscheidet. Sie sind in gemächlichen Umstånden, ohne einer besondern Gunst oder Gönnerschaft zu, genießen, weil sie unaufhörlich Kunden vollauf haben, wodurch się eine Unabhängigkeit in ihrem Betragen bes kommen, welche eben so auffallend als glücklich ist. Ein Ladenhåndler in der Altstadt hinter seinem Tische sicht aus, als wenn er und seine Kunden Höflichkeiten gegen einander austanschten; und er benimmt sich ausser dem Gewölbe als ob er keinen Herrn in der Welt hatte, welches in Wahrheit der Fall ist, wenn die Verwaltung der Geseze ihn nicht etwa verfassungswidrig in Anspruch nimmt,

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Die vorzugsweise sogenannten Kaufleute (merchants), Banker, und alle höhern Classen des Han= delsstandes unterscheiden sich in ihren Sitten sowohl von den ebenerwähnten Stånden, als von den Handelsleuten, die gleichen Rang mit ihnen in fremden Ländern haben. Da sie sicherer und unabhängiger in der Fühs rung ihres Handels sind, als die meisten auswärtigen Kaufleute, so besitzen sie auch mehr Unabhängigkeit, in ihren Sitten; und doch findet man nicht die zufahrende Unabhängigkeit des Benehmens bey ihnen, wodurch sich die Ladenhåndler der Altstadt auszeichnen, weil sie im Umgange mit vornehmeren Leuten feinere Sitten annehmen, und nichts von der Pöbelhaftigkeit an sich haben, von welcher Leute, die keines Verkehrs mit der hdhern Welt geniessen, selten frey sind.

Im Ganzen unterscheidet sich der Londner Kaufmann, wegen der Unabhängigkeit in seinen Umständen und wegen der alten Sitten des Landes durch einen hdhern Grad von Rechtschaffenheit und Ehrliebe als die Handelsleute in allen andern Låndern.

Diejenige Classe, welche in London von ihren Eins künften lebt, unterscheidet sich nicht weniger von ihres Gleichen, als die Kaufleute. Ungeachtet der höchsten Sittenverfeinerung sieht man an ihnen einen Grad von Månn, lichkeit und Mäßigung, welcher sie eben so sehr vor der faden Süßlichkeit als vor dem Uebermuthe des Adels in etlichen fremden Ländern bewahrt. Ein vornehmer Eng länder behandelt seine Untergebenen mit wahrer Aufs merksamkeit und Höflicheeit; ein Ausländer derselben Classe entweder mit gänzlicher Vernachlässigung, als ob ein Untergebener eben so wenig als seine Postpferde seine Gedanken beschäftigen könnte, oder mit der noch mehr verhöhnenden Herablaffung, welche offenbar vers

stellt ist. In der Kleidung, worin so viel Auszeichnung zu liegen pflegt, sieht man in London eine Annäherung an Gleichheit bey der höchsten und allen folgenden Classeit, auffer bey der årmern und arbeitenden: dies beweißt nicht nur den Reichthum des Landes, woraus die gleichgute Kleidung entspringt, sondern auch die Mäßigung und Klugheit der höhern Stände. In den meisten an= dern Ländern sieht der Adel mit begehrlichem und neidis schem Auge auf alles, was von jedem niedrigen Stande ausgegeben und verzehrt wird, aber dem wohlhabenden Engländer ist diejenige Eifersucht fremd, welche das Arbeitslohn genau untersucht und einschränkt; und er haßt den Reichthum, der nicht anders aus erblichen Befißungen oder Staatseinkünften geschöpft werden kann, als wenn man alle Aerme lähmt, von denen Reichthum, Rang und Macht ihr Daseyn erhalten haben. Man kann den vornehmen Stånden in England nicht sehr die Unthätigkeit, welche aus übergroßen geerbten Besitzungen entspringt, zur Last legen. Die Månner bringen etliche Monate des Jahres auf dem Lande zu, wo sie reiten, jagen und Vögel schiessen; und wenn sie in der Stadt find, schliessen sie sich selten in ihre Häuser und Wagen ein, sondern machen sich meistens viel Bewegung, ents weder zu Fusse oder zu Pferde. Selbst die Damen von hohem Range sind nicht so schwach und unbeholfen, wie die meisten Weiber derselben Classe im Auslande.

London ist gleich andern Hauptstådten ein Schauplah, wo man Tugend und Laster in der größten Thaz tigkeit und im höchsten Contraste betrachten kann: es hat seine modischen Laster, die durch ihre Größe das Herz entsetzen und den Verstand empören. Galanterie und Spielsucht unter den Großen stehen hier oben an.

Galanteric ist ein Wort der feinen Welt, womit man

vielleicht eines der bösesten und verderblichsten Laster einzel ner Personen ausdrückt. Man kann sich kaum ein trauris geres und abschreckenderes Gemåhlde denken als das von eis nem Lüftling, der alle feine Verführungskünste anwendet, und mit allen Eydschwüren die reinste Liebe lügt, indeß er das Elend des getäuschten Geschöpfes beabsichtiget, wels ches er anzubeten vorgiebt. Eheliche Untreue unter vors nehmen Leuten hat sich nur zu oft verdienterweise dem Ladel und selbst der Verachtung der niedrigsten Stånde Preiß gegeben. Frauen vom Stande, die der Keuschheit öffentlich Troß bieten, und Lords, die alle Sittlichkeit mit Füssen treten, hält das Volk beynahe gar nicht für Glieder des hohen Standes, den sie so unverschämt schånden. Solche Menschen sind überall dem Tadel und der Verachtung blos gestellt; aber Tadel und Verach= tung wird von dem Volke in fremden Ländern weit schwäs cher gefühlt, und aus Furchtsamkeit bey weitem nicht so stark ausgedrückt wie in England. Dies ist ein grosses Unglück; denn obschon Verlåumdung ein gehåßiges Laster ist, so gehört doch Redefreyheit zu den größten Segnungen. Der Tadel der Zunge ist es eigentlich, welcher über die öffentlichen Sitten wacht. In London wird kein cicisbeo, kein cher ami geduldet. Frauenzimmer, wenn sie auch noch so vornehm find, müssen ents weder heimlich sündigen oder aus der Gesellschaft vers bannt werden.

Es ist ein Beweiß von der allgemeinen Anståndigkeit und Reinigkeit der Sitten in London, daß keine Familie von Rang eine entdeckte Liederliche oder einen vor, nehmen Betrüger in ihr Haus oder ihre Parthie aufneh men darf. Solche gebrandmarkte Personen mögen vielleicht, so lange fie offene Tafel halten können, einen Haufen herbeyziehen, der keinen Ruf zu verlieren hat,

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