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Der kürzlich verstorbene Leopold Schefer, der Verfasser des Laien breviers, kann füglich auch nicht unter die Kategorie der Volksdichter, wie ich sie meine, gerechnet werden; denn auch er, dieser hochachtbare Anachoret von Muskau, hatte, wie er mir selbst erzählte, in seiner Jugend Medicin studirt, oder vielmehr angefangen zu studiren, also war auch hier eine gelehrte Bildung vorausgegangen; nebenbei hatte das Studium der Musik und der Composition ihn frühzeitig beschäftigt und so befähigt, dass es ihm möglich war, die meisten seiner Lieder selbst zu componiren.

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Freiligrath ist nach meiner Auffassungsweise auch kein unmittelbar aus dem Volke ohne gelehrte Bildung hervorgegangener Poet, denn auch er hatte ein Gymnasium absolvirt. Wie ich auch suche, ich finde in Deutschland keinen so rechten Volksdichter der Art; wollte man vielleicht an die Karschin denken, doch auch sie hat ja auf Classicität wohl keinen Anspruch.

Anders ist dies bei den Franzosen: Wir sehen bei ihnen eine grosse Menge von Dichtern, die unmittelbar aus dem Volke hervorgegangen und mit nur mittelmässiger Bildung ausgestattet sind, sich einen Ruf durch ihre poetischen Erzeugnisse erwerben, der ihnen Anspruch auf Classicität gewährt und diesen Ruf weit über die Grenzen ihrer Nation ausbreitet.

Unter der Zahl derselben will ich nur: Gilbert, Turquety, Briseux, den durch seine Satyre: „le pot-de-vin" berühmten Barbier, insbesondere aber Béranger, Jean Reboul und Jasmin

nennen.

Wer kennt nicht Jean Reboul, den Bäckermeister zu Nimes, der durch seine lieblichen Poesien die Welt noch lange entzücken wird. Dies war ein ächter Volksdichter, voller Naivetät und allerdings katholisch-religiösen Eifers; doch diese specifisch katholisirende Richtung ist auch dadurch zu erklären, dass, wie Dumas in der reizenden Erzählung „une visite à Nîmes" von ihm sagt, er durch das Unglück zum Dichter geworden sei, und dass er den Trost für die Leiden, deren Becher er schon früh trinken musste, er sah seinen Vater und dann seine Mutter an dem unheilvollen, rettungslosen Uebel der

Schwindsucht dahinsterben in der Religion fand. Die Leiden der Welt liessen ihn die Einsamkeit suchen und hier hauchte er seine Schmerzen zuerst aus, die ihn selbst überraschend poetische Gestalt annahmen. Nun erst kam er zu der Erkenntniss seines dichterischen Talentes, das er durch das Studium von Corneille und Lamartine, insbesondere aber durch das Lesen der Bibel vervollkommnete, und dies ganze Rüst

zeug machte ihn zu dem Schöpfer der reizenden Gedichte: l'ange et l'enfant; der St. Hélène; le moulin de Genèse; Nîmes, poëme dedié à Mr. de Lamartine. Die Feinheit seiner Empfindungen und das wahrhaft Landschaftliche seiner Naturschilderungen sichern ihm einen hohen Rang unter den classischen modernen Dichtern.

Als Zweiten möchte ich nur in Kurzem Béranger's erwähnen. Dieser moderne Anacreon, wie trefflich schön hat er nicht die Liebe und den Wein besungen; wie schwingt er die Geissel der Satyre über Jeden, gleichviel ob er die Krone, oder den Hirten- oder den Bettelstab trägt, wenn er sein Gegner in dem Gebiete der politischen oder socialen Lebensanschauungen ist, und in wie schöne Formen weiss er auch die rein lyrischen Gefühle zu bringen, wenn er diesen Stoff,

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wenn auch selten, berührt. Der deutsche Herwegh hat in begeisterten Worten ihm schön und passend als Angebinde zu seinem Wiegenfeste „ein Schwert mit Rosen Dir, mein Béranger," gewidmet.

Seine Dichtungen sind in fast alle lebenden Sprachen übertragen und sichern ihm ebenfalls eine bleibende Classicität. Und auch er war ein ächter Sohn des Volkes, von seinen armen Eltern ward er als 12jähriger Knabe zu Leisnay, einem Buchdrucker in Peronne, in die Lehre gegeben, und ihm hat er die reizende Chanson: „Bon soir" gewidmet. In einer Anmerkung, die er zu diesem Liede macht, sagt er: C'est dans son imprimerie que je fus mis en apprentissage. N'ayant pu parvenir à m'enseigner l'orthographe, il me fit prendre goût à la poësie, me donna des leçons de versification et corrigea mes premiers essais.

Er also auch ward ein Dichter, ohne grosse gelehrte Bil

dung und ich möchte hierbei noch bemerken, dass es doch viel schwerer ist, ein Dichter in französischer Sprache, wie in der deutschen zu sein. Denn es giebt eine Unzahl von Regeln in der Versification zu beobachten, die ein langweiliges, fleissiges Studium erfordern, und ohne deren genaue Beobachtung man unnachsichtig in den Augen des französischen Publicums verloren wäre.

Dieser Sänger seines Volkes, wie wurde er aber auch von seinen Mitbürgern geachtet und hoch geehrt. geehrt. Mit Freude denke ich an das schmerzliche und ehrenvolle Leichenbegängniss zurück, das ihm die Pariser Bevölkerung bereitete. 50,000 Arbeiter zogen entblössten Hauptes hinter seinem Sarge Palmen tragend einher; obgleich die Bajonette und die blanken Mündungen der Kanonen des finstern Caesar an jeder Strassenecke dem feierlichen Zuge entgegenstarrten.

In der Ausgabe der Oeuvres posthumes von Béranger befindet sich auch sein Schwanengesang, und da das Lied mich damals sehr interessirte, so übersetzte ich es so viel wie möglich wörtlich:

Ich sterbe, Frankreich, es will Abend werden,
O Mutter, lebe wohl, der Name dein,
Zuletzt noch sei gelallt er hier auf Erden.
Ein Frankenherz, liebt's je dich mehr? O, nein,
Noch eh' ich las, hab' ich dich schon besungen;
Und fasst der Tod mich selbst, ruf' ich noch hohl:
Nachdem mein Hauch schon singend ausgerungen,
Für so viel Lieb' schenk' eine Thrän': Leb wohl!

Zehn Könige vom Siegesrausche trunken,
Wie zogen stolz ob deinen Leichnam sie;
Und als vom Blutverlust du hingesunken,
Da riss ich ihre Bänder zu Charpie.
Der Himmel segnete dein Unterliegen,
Denn dein Gedanke fliegt von Pol zu Pol,
Die Nachwelt wird dich segnen und wird siegen,
Die Gleichheit wird dereinst ihr Theil: Leb wohl!

Halb liegend seh' ich jetzt mich schon im Grabe,
O komm zu Hülfe Allen, die mir werth,

Du schuldest, Frankreich, mir's; denn niemals habe
Ich, arme Taube, dich geplündert noch entehrt.
Damit nun meine Bitten zu dir schallten,
Wenn Gottes Stimme selbst ich höre wohl,

Hab' meines Grabes Stein ich hoch gehalten,
Mein Arm wird matt er fällt zurück Leb wohl!

Nun wende ich mich zu dem Dritten dieser Volksdichter, zu Jasmin.

Jacques Jasmin, Coiffeur zu Agen, geboren in einem Armenhause im Jahre 1792, verlor früh seine Eltern und wurde von seinem Grossvater erzogen, der auch dem Arbeiterstande angehörte. Als er in seiner Kindheit einen Krankenkorb an sich vorübertragen sah und seinen Grossvater fragte, wer darin sei, antwortete ihm dieser: „es ist dein Onkel, die Jasmins sterben alle im Hospital," da nahm er sich schon damals vor, nicht ein gleiches Schicksal zu haben, und erlernte das Friseurhandwerk. Hier entwickelte sich sein Talent und in seinem 20. Jahre schon machte er, wenn er den Tag über die Haare gebrannt und den Bart geschoren, die reizendsten Gedichte. Voltaire würde ihm gewiss nicht geschrieben haben, wie dem Maître André, als er ihm seine Chevilles überschickte: Faites des perruques! vielmehr sagt Nodier von ihm: Faites des vers, et Dieu me garde que vous n'en fassiez plus moi qui m'engagerais volontiers, à ne plus lire que les vôtres !

Die Sprache, in der Jasmin dichtete, ist das Patois des südlichen Frankreich, das im 11. bis 12. Jahrhunderte sich zuerst aus dem Lateinischen bildete und daher auch das romanische Provenzalisch genannt wird. Vor zwei Jahren schon hatte ich in dieser Zeitschrift eine kurze Abhandlung über das Romanisch der Schweiz gegeben, in der ich die Verwandtschaft beider Sprachstämme nachwies; bei längerem Vergleichen ist mir dies zur unumstösslichen Gewissheit geworden, da mein Vater, ein alter Engadiner, der nie ein Wort vom provenzalischen Patois gehört hatte, Jasmin's Poesien ganz gut verstand.

Die Gascognische Versification ist übereinstimmend mit der französischen; nur dass zwei stumme Vocale o und y, die dem

i entsprechen, elidirt werden, während a, i, o, u nie elidirt werden dürfen.

Das stumme e im Provenzalischen wird wie das spanische e ausgesprochen: las Segles, lous Hômes. Es behält immer den Ton des e fermé wie label, épi, Sourel, die Sonne, ausgenommen wenn ein Accent grave sich darauf befindet wie Angèl, Engel Anèl, Ring. Ferner giebt es im Provenzalischen drei stumme Vocale: a, i und o.

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Zur Zeit der Albigenser (1208-1229) wurde das provenzalische Patois fast ganz vernichtet und konnte sich nicht mehr auf dem Niveau der Literatur erhalten. Noch einige Poeten in Toulouse und Bearn suchten es wieder aufleben zu lassen, doch mit geringem Erfolge, bis es Jasmin gelang, dies alte Idiom wiederzuschaffen und es vollständig zu purificiren, dient also auch den Namen eines Sprachforschers. Denn nachdem er zuerst in dem Patois d'Agen debutirt hatte, suchte er, wie er selbst sagt, diesen Stein rein zu legen von den Ablagerungen, die zwei civilisatorische Jahrhunderte auf denselben geworfen hatten, und dies gelang ihm dergestalt, dass er ein harmonisches Patois du Midi erfand, das in allen Provinzen des Südens gleich gut verstanden wird und Wörter und Ausdrücke enthält, die an die Sprache Amyot's, Montaigne's und Rabelais' erinnern.

Was nun Jasmin als Stylisten anbetrifft, so nennt ihn St. Beuve einen provenzalischen Manzoni, während Pontmartin ihn mit Theokrit, Horaz und La Fontaine vergleicht; in der That ist die Einfachheit der Schilderungen und der Handlung bewunderungswürdig wahr und daher ja eben schön. Man empfindet bei Allem, was er geschrieben, nie den Ueberdruss; die Feinheit seines instinctiven Gefühles bewahrte ihn vor aller Ueberfülle; man hat vielleicht eher das Gefühl des Bedauerns, dass seine Fiction schon zu Ende ist, und das möchte ich gerade für ein grosses Lob halten.

Es ist 1860 bei Firmin Didot in Paris eine Gesammtausgabe seiner Dichtungen erschienen, denen er den einfachen und zu bescheidenen Titel: Las Papillôtos, les papillotes, gegeben, wahrscheinlich um eine Anspielung auf sein Handwerk

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