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Aristoteles, Longin, Demetrius Phale reus und nach ihrem Beyspiele fast alle neuere Lehrer der Wohlredenheit handeln bald mit mehr, bald mit weniger Weitläufigkeit von dem Froste;: allein der Mangel an der gehörigen Bestimmung der Begriffe macht, daß sie sich darüber sehr schwans kend ausdrucken. Longin und viele andere deh nen den Frost auf die ganze Lebhaftigkeit aus, und verstehen darunter eine jede fehlerhafte oder verunglückte Figur, welche folglich die Wirkung' nicht thut, welche se thun soll. Andere schrän Fen ihn auf das Erhabene allein ein. Allein die Wortbedeutung berechtigt mich, diesen Fehler auf alle verfehlte Gemüthsbewegungen auszudeh

nen.

Der Frost ist der Wärme und Hiße entgegen gescht; diese wird vorzüglich den Ger müthsbewegungen und Leidenschaften beygelegt. Will der Schriftsteller sie erregen, erreicht aber feine Absicht aus Ungeschicklichkeit nicht, so ents stehet der Frost. Da man indessen auch der ers regten Einbildungskraft eine Wärme beyzules gen pflegt, so kann man den Frost sich immer auch auf die verfehlte Phantasie erstrecken lassen. Die Begeisterung muß der Sache angemessen seyn.

§. 7. So nothwendig der erregte künstliche Affect oder die Begeisterung ist, so sehr müssen doch Vernunft und Geschmack ihr zur Seite gehen, daß sie das in jedem Falle gehörige Maß nicht überschrei te. Die Begeisterung muß bey dem Schriftsteller nicht bis zur Kaferey, und die Rührung bey dem Le

fer nicht bis zur Wuth gehen. Kommt der Leser aus seiner Fassung, verliehrt er die Herrschaft über sich selbst, so verfehlet der Schriftsteller die Absicht, warum er ihn rühren wollte. ・ Wenn die alten Mütterchen weinen und schluchzen, fagt, wo ich nicht irre, Leffing, so hören sie noch weniger, als vorher. Ein zu hoch getriebener Affect wird in der Liebe, Freundschaft, Bewunderung u. f. f. Schwår. merey, im Haß und Zorne, Wuth. Beyde machen den Parenthyrfum der Alten aus.

Sprache der Gemüthsbewegungen.

§. 8. Führt der Schriftsteller Affecten redend ein, so muß er jeden die seiner Natur, dem Grade der Stärke, und den übrigen Umständen eigene Sprag che reden lassen, und das wird er gewiß, wenn er Geschmack und Menschenkenntniß besißet, und sich vorher felbft in diejenige Gemüthsbewegung verfeßt hat, welche er erregen will. Jede Art von Affecten hat ihren eigenen Gang der Ideen, ihre eigene Art der Ausführlichkeit und Kürze, ihre eigene Wendungen, und oft ihre eigene Figuren. Diese muß der Schriftsteller in der Natur selbst studieren, wenn er fie in jedem Falle treffen will. Sanfte Empfindungen find in Ansehung ihres Gegenstandes wortreich; ein hoher Grad der Betrübniß ist sprachlos und abgebrochen, u. f. f. Man sehe, was im vorigen Theile von den Figuren der Gemüthsbewegungen gesagt worden.

Die Französischen und Englischen Lehrer der schönen Wissenschaften zerlegen die Sprache der Gemüthsbewegungen in die Sentiments, Gefin J 2

nun

nungen, und den Ausdruck.

Unter den ers

Kern verstehen sie die Gedanken, welche jede Bes wegung einflößet. Man sehe besonders den Hos me,' Kap. 16. Allein, zu geschweigen, daß beys de auf das genaueste verbunden sind, so scheinet. mir die Sache, wenigstens in einer Lehre von dem Style, nicht von der Wichtigkeit, daß ich mich lange dabey aufhalten dürfte. Ueberdieß läßt fich das Schickliche oder Unschickliche wohl in eins zelnen Fällen zeigen, allein, es läßt sich wenig alls gemeines darüber sagen.

Muß Würde haben.

§. 9. Der Schriftsteller muß die Sprache der Leidenschaften in der Natur studieren, aber nicht in der rohen, sondern in der veredelten Natur. Er muß freylich jede Person ihrem Stande und ihrem Charakter gemäß empfinden und sprechen lassen; als lein in jedem, selbst dem niedrigsten Stande, gibt es einen gewissen Grad der Würde, und diesen muß der Schriftsteller aufzufassen wissen, aber nicht das Niedrige und Verworfene, welches selbst in der Claffe der aufgeführten Person für unanståndig gehalten wird. Einige unserer neuesten Schriftsteller glau ben natürlich zu schreiben, wenn sie den ganzen Schmuß des Pöbels auf dem Parnasse zusammen häufen, machen sich aber dadurch bey Lesern von feinern Empfindungen verächtlich. Selbst Sänf» tenträger und Karrenschieber haben eine ihnen angemessene Art eines veredelten Ausdruckes, wenn es die Umstände erfordern.

Nicht wißeln.

§. 10. Ich habe im ersten Bande, bey den Figuren des Wißes gezeiget, daß der Wiß eine müßige mit keinem ernsthaften Gegenstande beschäftigte Seele erfordert, wenn er seine Kraft åußern soll. Es folgt also unmittelbar daraus, daß die Sprache Der Gemüthsbewegungen nicht die Sprachedes Witzes feyn kann, und es immer weniger feyn kann, je stärker der Affect ist. Gewisse fanfte vertrauliche Empfindungen, befonders angenehmer Art, verbinden sich gern mit dem Wize, wie zum Theil noch im Folgenden gezeiget werden wird; allein, sobald sie einige merkliche Stärke erhalten, besonders, wena sie gemischter und unangenehmer Art find, so befchäftigen sie die Secle so sehr, daß sie weder Muße noch Luft hat, nach Aehnlichkeiten zu haschen. Es fallen also alle Antithefen, Gleichnisse u. f. f. in der Sprache der Leidenschaften weg, so bald sie einige Mühe verrathen, d. i. fo bald die Aehnlichkeiten ein wenig verborgen sind. Diese Einschränkung ist nothwendig, weil es einen gewissen gewöhnlichen Grad dec Wiges gibt, welcher sich ohne unser Bes wußtseyn, auch in den stärksten Affecten äußert, weil deren Ausdruck oft ohne manche bemerkte Aehnlich keiten kaum möglich ist, und manche Aehnlichkeiten sich dem Affecte auch ungesucht anbiethen. Daher ist das Gleichniß der phönicischen Frau im Evange lio: aber doch essen die Hündlein die Brosamen u. f. f. nicht unnatürlich, weil es sich hier in ihrem Kummer von selbst darboth. Allein, so bald der Wig vor der Empfindung hervor raget, so Bald man fiehet, daß er einige Mühe gekostet háf, I 3 wird

wird er fehlerhaft, und verråth, daß der Verfasser das nicht empfand, was er ausdrucken wollte, weil er sonst nicht Zeit gehabt hätte, kalte Aehnlichkeiten aufzusuchen.

Nugen der Empfindungen.

§. II. Die Empfindungen und Gemüthsbe wegungen sind, wenn sie gehörig geleitet werden, der menschlichen Gesellschaft überaus nüßlich. Der Faltblütige Verstand hat viel Nüßliches zur Wirklich keit gebracht, aber alle große und rasche Handlungen, deren Schwierigkeiten die sich selbst überlaffene Vernunft stausendmahl würden zurück geschrecket haben, gehören den untern Kräften, und besonders den Empfindungen zu. Sie reiffen den Willen auf der Stelle zur Thätigkeit hin, und bringen ihn in wenig Minuten weiter, als der kalte Verstand mit allen seinen Gründen ihn in vielen Jahren würde gebracht haben. Auf der andern Seite ist aber freylich nicht zu läugnen, daß alle Uebel, welche die bürgerliche Gesellschaft drücken, und je gedrücket haben, von ihnen herrühren; daher hier alles auf die weise Leitung eines so gefährlichen Werkzeuges ankommt.

II. Von der rührenden Schreibart besonders.

Erklärung.

§. 12. Rühren heißt sanfte Empfindungen aller Art erregen, besonders sanfte angenehme und

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