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Und wenn auch einmal ein Mann aus den höchsten Kreisen der Gesellschaft Thomas Sackville, Lord Buckhurst und Earl of Dorset als Mitschöpfer von Gorboduc geruht hatte, auf die Bühne herabzusteigen, so mag ein solcher Fall allerdings nicht wenig zur Hebung des Ansehens derselben beigetragen haben, aber er bildet eben doch nur eine Ausnahme. Jedenfalls waren vorerst in den Zweigen der Dichtkunst, in welchen mit die vornehmsten Aristokraten, ein Graf von Surrey, ein Sir Philip Sidney und Andere schöpferisch thätig waren, stolzere Lorbeeren zu ernten. Es sprechen auch Urtheile von Zeitgenossen dafür, wie man im Shakspere zuerst den Lyriker und erst in zweiter Linie den Dramatiker schätzte. So führt Francis Meres in seinem »Palladis Tamia, Wit's Treasury« (1596) bei Erwähnung Shakspere's zuerst seine lyrischen und erst im Anschluss hieran seine dramatischen Schöpfungen auf. »As the soule of Euphorbus,« heisst es dort, was thought to live in Pythagoras, so the sweete worthie soule of Ovid lives. in mellifluos and honytongued Shakspeare; witnes his Venus and Adonis, his Lucrece, his sugred sonnets among his private friends, « und dann erst werden unter Vergleichung Shakspere's mit Plautus und Seneca sechs Lustspiele und ebensoviele Tragödien aufgezählt.

Heutzutage erscheint uns Shakspere allerdings in ganz anderem Lichte, wie nicht minder die Dichtgattung, deren unübertroffener Vertreter er war. Er ist uns heute in erster Linie der grösste Dramatiker der Neuzeit, ja vielleicht aller Zeiten, und derselbe Lessing, der ihn als solchen erkannte, der ihn überhaupt zuerst in seinem wahren Werthe zu schätzen wusste und ihn zum Segen unserer Literatur gleichsam in das Centrum derselben rückte, hat auch seiner Hauptgattung, dem Drama, den höchsten Rang unter den Dichtungsgattungen zugewiesen.

Will ich damit etwa sagen, dass man von Shakspere's Lyrik heutigen Tages gering denke? Keineswegs. Es ist gar nicht anders denkbar, als dass mit dem Steigen des Dramatikers auch der Lyriker an Bedeutung gewinne. Dies

ist schon in der Eigenart Shakspere's als Dramatiker begründet. Schiller beklagt sich in dem Aufsatze »Ueber naive und sentimentalische Dichtung,« dass, als er in früheren Jahren Shakspere kennen lernte, ihn seine Kälte und Unempfindlichkeit empört habe, »dass der Poet selbst sich gar nirgends fassen liess und nirgends Rede stehen wollte. << Wird nicht jeder, der wie Schiller darnach verlangt, den Dichter selbst in seinen Werken aufzusuchen, seinem Herzen zu begegnen, doppelt freudig die Dichtungen begrüssen, in denen er uns nicht bloss »in die verborgensten Falten seines Herzens sehen lässt, sondern uns auch das letzte Geheimniss seiner Kunst enthüllt,» und die Wordsworth daher auch treffend als den Schlüssel bezeichnet, womit Shakspere sein Herz erschloss. (With this key Shakspere unlocked his heart. <)

Aber es ist nicht bloss das Interesse an dem Dramatiker, was Shakspere's lyrische Produkte so werthvoll macht. Seine Sonette, ja auch seine episch-lyrischen Gedichte bilden Muster ihrer Art. >> Besässe man von Shakspere,« sagt Gervinus, »nichts als diese Gedichte, so würde man ihn in der Reihe der Drayton, der Spenser und Daniel lesen, und über den Adel und die Ebenbürtigkeit seiner Schule würde nie ein Zweifel aufgetaucht sein.<< *) Und Bodenstedt, durch dessen anerkannte Uebersetzung nunmehr auch die Sonette erst recht die unsern geworden sind, bezeichnet dieselben als wundervolle Gedichte, denen sich keine ähnliche Sammlung in irgend einer Sprache nur entfernt vergleichen lasse.***)

Nun ist aber in den bis jetzt erwähnten selbstständig dastehenden Dichtungen der Begriff des Lyrischen im Shakspere noch keineswegs in seiner ganzen Ausdehnung gegeben. Es sind die lyrischen Partien und Elemente in den dramatischen Werken, denen wir noch besonders unsere

*) G. G. Gervinus: Shakespeare, III. Aufl., Bd. I (Leipzig 1862), P. 56.

**) Friedr. Bodenstedt: W. Shakespeare's Sonette (Einleitung).

Aufmersamkeit zuwenden müssen. Man kann sagen, dass die lyrischen Einlagen in den Shakspere'schen Dramen mit es waren, die den Dramatiker im vorigen Jahrhundert aus einer relativen Vergangenheit wieder neu ins Leben rufen halfen. Inwiefern? - Der Bischof Thomas Percy hatte im Jahre 1765 seine »Reliques of Ancient English Poetry« herausgegeben, in welche Sammlung auch manche kostbare Perle der Shakspere'schen Lyrik übergegangen war. Es war dies ein Schritt, der auch in Deutschland fühlbare Wirkung übte, und dem wir wohl mit Herder's » Stimmen der Völker in Liedern« zu verdanken haben. Durch die Epoche machenden Publicationen solcher Gedichtsammlungen aber war, sowohl in England als auch in Deutschland, ein Anstoss zum Zurückgehen auf Altnationales, auf Volksthümliches gegeben, und es ist klar, dass in der dadurch der Poesie vorgezeichneten Richtung Shakspere mehr und mehr zur Sonne werden musste, um welchen die Dichtersterne zu kreisen begannen. Die Kritik ging, indem sie sich scharf abwehrend der Gewaltherrschaft des FranzösischClassicistischen gegenüber stellte, Hand in Hand mit diesen Bestrebungen, die ja im Wesen auch, bei beiden Nationen, ein Umlenken vom Romanischen zum Germanischen bedeuten.

Wir müssen bei diesem Gegensatz, der auch bei Beurtheilung des Lyrischen in Shakspere wohl ins Gewicht fällt, und für die Betrachtung desselben besonders lichtgebend ist, einen Augenblick länger verweilen.

Wie in der englischen Nation selbst, so zeigt sich auch bekanntlich in ihrer Sprache und Literatur eine Verschmelzung des romanischen mit dem germanischen Wesen. Ein Blick auf die Entwicklung der englischen Literatur zeigt, wie bald das eine, bald das andere Element überwiegt und die Richtung desselben bestimmt, so dass jene constituirenden Elemente wie im Wellenschlag ein abwechselndes Heben und Sinken beobachten lassen. Als eine Zeit des Gleichgewichts lässt sich etwa die Periode Miltons betrachten. Milton erscheint uns nämlich als derjenige englische Dichter,

in dessen Werken der Schönheitssinn und die Formgewandtheit der Romanen zugleich mit der Innigkeit und dem tiefen Ernst der germanischen Raçe zum möglichst vollkommenen Ausdruck kommen. Von Shakspere lässt sich das nicht, wenigstens nicht so allgemein behaupten. Das Gewaltige in seinen Werken, das Markige und Nervige, hie und da auch das Derbe und Grobknochige, wodurch er vielfach an einen Dr. Martin Luther erinnert, lassen uns ihn als einen echten Germanen erscheinen. Und doch kommen auch in ihm die zwei Hauptelemente, die in seiner Nation zu so glücklichem Guss sich verschmolzen, in gewissem Sinne zum Ausdruck, nur nicht so gleichzeitig, nicht so geeint und in nicht so gleichen Massverhältnissen wie bei Milton, sondern mehr in zeitlicher Folge und so, dass das Germanische sich als der Kern seines Wesens herausstellt, nachdem das romanische, mehr angelernte und daher mehr auf der Oberfläche ruhende Element, das für eine Weile besonders die sprachlich formelle Seite seiner Werke bestimmte, sich in ihm ausgelebt hatte. Shakspere ist ein durch die Schule des Romanischen hindurchgegangener germanischer Dichter. Dies erweist sich besonders klar, wenn man ihn, von seinen dramatischen Werken als solchen abgesehen, als Lyriker betrachtet. Da finden wir denn, dass als den soeben fixirten Gegensätzen entsprechend, das Lyrische in Shakspere in den frühern Werken kunstvolle Schöpfungen nach romanischem Muster aufweist, während er später entschieden mehr dem Volksgesangmässigen, dem alten sächsischen Volkslied, somit dem Germanenthum zuneigt.

Nachdem wir in dem Bisherigen die Stellung Shakspere's als Lyriker von einst und jetzt kurz zu kennzeichnen versucht, den Umfang des Lyrischen angedeutet, und das Verhältniss seiner Lyrik zur englischen Literatur überhaupt von einem für uns bedeutungsvollen Gesichtspunkte dargelegt haben, können wir zur nähern Behandlung der lyrischen Produkte und Elemente selbst schreiten, und zwar werden wir zunächst einen Blick auf die selbständig dastehenden

Gedichte werfen, um sodann länger beim Lyrischen im Drama verweilen zu können.

Die selbständigen lyrischen Gedichte. (Venus and Adonis, Lucrece, A Lover's Complaint, Shakspere'sche Gedichte in der Sammlung: The Passionate Pilgrim, The Phoenix and Turtle, Sonnets).

Die beiden episch-lyrischen Gedichte Venus and Adonis und Lucrece, von denen das letztere 1594, ein Jahr nach dem ersteren erschien, sind gewidmet: To the Right Honourable Henry Wriothesly Earl of Southampton and Baron of Tiechfield. In der Dedication zu Venus and Adonis tritt Shakspere höchst bescheiden auf und gelobt, alle Mussestunden auszunützen, um seinem Protektor durch ein gewichtigeres Werk (some graver labour) seine Hochachtung zu bezeugen. Dieses versprochene Werk haben wir wohl in Lucrece vor uns. Hat Shakspere hier treulich Wort gehalten, so dürfen wir vermuthen, dass ein Gleiches hinsichtlich des in dem Widmungsschreiben zu Lucrece gegebenen Versprechens: »What I have done, is yours, what I have to do, is yours, being part in all I have devoted yours<< der Fall gewesen sei, ein Umstand, der sehr dafür spricht, dass auch die Sonette mit dem erwähnten vornehmen Gönner in Zusammenhang zu bringen sind.

Name und Inhalt der beiden erster wähnten Gedichte weisen auf römisch-klassischen Boden. Es kündet sich darin, wie Gervinus*) sich äussert, die gelehrte lateinische Schule an. Den Stoff zu Venus and Adonis boten ursprünglich die Metamorphosen des Ovid (Liber X). Hat Shakspere direkt daher geschöpft, so hat er wahrscheinlich Golding's

*) Vergl. Gervinus: Shakespeare Bd. I, p. 47 f.

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