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Englischer Kunstfleiß

Das Schöne ist schwer, sagt ein altes Sprichwort. Man findet dies im ganzen Weltlaufe bestätiget, aber am öftesten in solchen Zweigen des menschlichen Bestrebens, die eine große Menge von Personen zur Mitbeeiferung anreizen. Die Schwierigkeiten, zum Beyspiel, sich unter ihnen auf den höhern Stufen der Vortreflichkeit zu zeigen, sind da hundertfältig. Man betrachte den KunstFleiß. In allen Ländern beschäftigen die Künste des gemeinen Lebens nothwendigerweise die meisten Köpfe und Hånde, weswegen sich unter ihnen überall die gröste Nacheiferung findet. Der Handwerker, welcher sich irgendwo einen Nahmen erworben hat, muß verhält= nißmåßig mehr nachgesonnen, versucht, gearbeitet und Geduld aufgewandt haben, als der angesehene Mahler oder Schriftsteller in der Gegend. Wie viel mehr wird dies der Fall in dem Lande seyn, dessen Bewohner gleichsam aus lauter Fabrikanten, Manufacturisten und mechanischen Künstlern aller Art bestehen, wo wegen der allgemeinen Wohlhabenheit die meisten Erzeugnisse des Kunststeißes verbraucht werden, wo man überdies für die Nachfrage der ganzen Welt arbeitet, wo die mechanischen, Künstler am meisten denken, wo sich der Pair nicht schåmt, in der Patentliste neben dem Sattler zu erschei= ́ nen, wo der Adel seine Söhne in Manufacturen thut, wo eine mechanische Erfindung die andre drångt, wo der Veredlungsgeist den Nadler wie den Dampfmaschinisten in immerwährender Spannung hält, wo die Ausüber der mechanischen Künste håufig in ihren eigenen Kutschen fahren, wo weder Adelstolz, noch militärischer Uebers Engl. Miscellen XIV. 2.

muth, noch Gelehrtendünkel sich unterfangen dürfen, auf den gedeihenden Handwerker verächtlich herabzusehen, wo noch immer ausschließlich eine größere Gleichheit der Stände herrscht, als in allen übrigen Låndern der Welt (denn die nordamerikanischen Staaten sind Töchter des brittischen Mutterlandes), wo die ersten Männer des Reichs im Nationalrathe ganze Nächte lang über das Beste der Industrie debattiren, kurz wo der Kunstfleiß in einer Blüthe steht, die von jedem vorurtheilsfreyen Ausländer mit Erstaunen betrachtet wird. Wie viel Mühe muß es in einem solchen Lande den mechanischen Kunstler kosten, die Bemerkung der Menschen auf sich zu len= ken! Die Erfahrung lehrt, daß man diesem Ziele in England noch lange nicht nahe ist, wenn man eine nůßliche Erfindung zur Vollkommenheit gebracht und die Billigung der Kenner erhalten hat. Viele neue Sachen können schlechterdings nicht aufstreben; oft ist ihr Stok= ken unerklårbar; einzelne Personen rühmen dieselben zwar, aber das große Publicum scheint sich gleichsam dawider verschworen zu haben.

Nicht selten liegt der Fehler an der Bekanntmachung. Die einen scheuen den dazu nöthigen Geldaufwand; andre machen zu viel Aufwand und bringen dadurch die Güte ihrer Erfindung in Verdacht. Manchen gebrichts an Kenntniß des rechten Weges, den man hierbey einzuschlagen hat. Etliche stüßen sich auf die Vortreflichkeit der Sache und meynen, guter Wein habe keines Zeichens nöthig. Doch im Ganzen genommen, sieht man in England sehr wohl ein, wie viel beym Kunstfleiße daran liegt, daß ein Product sein Daseyn immer aufs neue in Erinnerung zu bringen verstehe.

Man sucht dies durch sehr verschiedene Mittel zu be werkstelligen, und es ist in London zu einer Art von

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Kunst geworden, wie man unter der furchtbaren Schaar von nahmhaften Mitbewerbern und neuen Emporkömm lingen dennoch ein Publicum an sich locken und es vollzahlich behalten könne. Zeitungen, Mauerzettel, ausgetheilte Empfehlungen, Leute, die man an die Ecken der Straßen mit großen beschriebenen Bretern stellt, große goldne Aufschriften u. s. w. sind die bekanntesten, aber fie wollen öfters nicht anschlagen. Die Leute mögen, wie es mitunter scheint, aus Troh nicht lesen. Manche, die der Geldzufluß für Spott und Verachtung schadlos zu halten im Stande ist, erzwingen Aufmerksamkeit durch seltsame, lächerliche Anschläge und Ankündiguns gen, welche wenigstens beym Pöbel selten ihre Absicht verfehlen. Kunstgriffe dieser Art haben in London oft großes Glück gemacht, wovon unter andern Packwoods Streichladen und der berüchtigte van Butchell allgemein bekannte Beyspiele sind. Aber wo Jeder schreyt, um bes merkt zu werden, erreicht oft der minder Vorlaute gerade am ersten seinen Zweck. So scheint man jezt in London. Tinne zu werden, daß das Publicum, der goldnen Aufschriften an den Häusern und andrer sehr in die Augen fallenden Kundmachungen überdrüßig, lieber auf ganz einfache Anzeigen merkt; deswegen beginnt der Kunstfleiß allmählig seine Firma dem vorübergehenden Publicum auf folgende anspruchlose Art zu empfehlen.

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Mitten an der Fronte des Hauses zwischen dem ers sten und zweyten, oder über dem zweyten Stockwerke werden die Worte, welche man anzuschreiben hat, in großen Buchstaben von Stuck angemacht und mit der Farbe überzogen, welche der Anwurf des Hauses hat. Man weiß zwar, daß die Londner Häuser, wegen des schwärzenden Steinkohlenrauches, insgemein mit keinem Kalkanwurfe bekleider sind: indeß ist er doch nicht ganz

selten und diese neue Methode der Bekanntmachung wird, wenn sie allgemeiner werden sollte, ihn noch häufiger machen. Bis dahin ist selbst der äußere Anwurf eine Unterscheidung und wird die Augen der Vorübergehenden einladen. Luft und Näße können diesen Ueberschriften Jahre lang nichts anhaben, und eine neue Angebung. mit Wasserfarbe, welche zugleich die ganze Vorderseite des Hauses erneuert, frischt auch diese Schrift auf. Eine neue Versicherungscompagnie in St. James'sstreet, die Imperial assurance, die großen Geräthschafter Saunders und Morgan, der Buch- und Papierhåndler Booth, die Zeitung Morning Herald und etliche andre bedeutende Anstalten haben diese neue Methode mit besonderem Vortheile angenommen. Man sieht auch hier, daß Einfachheit wohlthuender für die Augen ist, als greller Flitterstaat. Eine solche simple Aufschrift scheint die Berückung der Augen zu verschmähen und veranlaßt daher die Voraussetzung des inneren Verdienstes.

Aber glücklich sind die Kunstproducte, welche keiner besondern Bekanntmachung nöthig haben, weil sie dem Publicum von selbst in die Augen fallen, und sich durch ihre Schönheit oder Nützlichkeit empfehlen. Fast alle Neuigkeiten in unserm diesmaligen Berichte gehören hierher. Man kann nicht umhin, sie hinter den schönen Fenstern der englischen Låden zu bemerken, welche, wie man weiß, durch einen höchst sorgfältigen Aufpuß die Augen der Stadt gefangen nehmen.

In Ostindien, wie man erzählt, sind die Eingebohrnen, aus denen die Europäer ihre Bedienten wählen, wegen der Hitze des Himmelssirichs und aus Angewohnheit so tråge, daß keiner mehr thun will, als ihm sein Amt ausdrücklich auflegt. Man hat zum Veyspiel einen besondern Bedienten für die Zahnstocher, dem

man um alles in der Welt nicht ansinnen darf, daß er einen Teller hohlen oder die Hukah bringen folle. Eben Vo machen es die Engländer mit ihren Geråthen und Werkzeugen zum gemeinen Gebrauche, wie man sogleich bemerkt, wenn man in die Häuser wohlhabender Familien tritt. Die geringste Verrichtung hat ihr zugetheilfes Instrument, ohne welches man dieselbe nicht vollbringen zu können scheint. Diese Vervielfältigung der Bedürfniße mag zwar ihre Nachtheile haben, kommt aber gewiß dem Kunstfleiße zu Statten. Wer würde nicht glauben, wenn ein Paar Flaschen aus dem Weinkeller zu hohlen sind, daß man sie in den Hånden, oder höchstens in einem Handkorbe tragen könnte? aber die englischen Eisen - und Blechhändler sind der Meynung, daß man ihnen hierbey etwas zu verdienen geben könne. Sie haben einen eigenen Flaschenträger, bottle carrier, erfunden, welcher zwey Bouteillen hält. Er besteht aus schön lakirtem Blech, welches mit goldnen Råndern eingefaßt ist. In der Mitte befindet sich ein starker zum Theil vergoldeter Griff. Man kennt die Pracht der englischen Schenktische, welche schon an sich und noch mehr mit ihrem sämmtlichen Zubehör von Silberzeug und Glaswerk so viel Geld kosten. Wollte nun der Mundschenk z. B. zwey köstliche Flaschen Deßertwein in einem schlechten Korbe herauf holen, so würde es gegen die andern schönen Geräthe zu sehr abstechen. Hier ist also der Flaschenträger nicht so unnüß, wie er dem ausländischen Leser scheinen mag.

In den Baumwollenlåden findet man dieses Neujahr eine Art neuer Strümpfe, die besonders von Quåkern und andern bescheiden bekleideten Menschen gesucht werden. Sie unterscheiden sich blos durch die starke Fårbung, welche allem Waschen Troß bieten soll. Mau

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