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der Müßigen und Zufluchtsort der Dürftigen. Dies ist so wahr, daß der Besucher eines Caffeehauses fast den ganzen Winter hindurch in seinem Zimmer kein Feuer anzündet. Sobald er sein Bett verlassen und sich anges zogen hat, geht er an seinen gewöhnlichen Ort, wo er etwan um zehn Uhr des Morgens eintrift, und bis Nachts um eilf Uhr bleibt, zu welcher Stunde, nach der Pos lizeyverfügung, alle Caffeehäuser geschlossen werden. Personen dieser Art behelfen sich für ihr Mittagsbrod nicht selten mit einer Taffe Milchcaffee und einem Pfennigbrödtchen, und was auch ihr Verdienst seyn mag, sie sind selten so glücklich, von einem reichen Mann zur Tafel gezogen zu werden.

Wer sich hier Achtung erwerben will, treibt sich nie auf einem Caffeehause umher, weil es nicht nur bes weißt, daß er nicht weiß, wie er seine Zeit hinbringen soll, welches füglich auf Mangel an Erziehung, oder Kenntnissen schliessen läßt, sondern auch voraussetzt, daß er ganz und gar keine Bekanntschaft unter der sos genannten guten Gesellschaft habe. Das ist klar, ein Fremder darf unter den vorerwähnten Ausnahmen in eis nem Pariser Caffeehause keine gute Gesellschaft erwarten, sonst würde er sich über die Maße betrogen finden.

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Da ich eine Ankündigung in einer englischen Zeitung sehen wollte, so gieng ich vor etlichen Abenden in eins der ausgezeichnetsten Oerter dieser Art, im Palais du Tribunat: die Stube war äusserst voll. In fünf Minuten vermißte einer von den Anwesenden seine Uhr. Noch bey meinem Eintritt hatte ich sie ihn heraus ziehen sehen, und obgleich viele der Umstehenden nachmals sagten, sie zweifelten im geringsten nicht, daß ein wohlbekleideter Mann, der neben ihm stand, sie genommen hatte, so würde es doch unnüß gewesen seyn, ihm es Schuld

zu geben, da die Uhr den Augenblick durch viele Hånde gegangen war, und man die vermuthliche Mitwisser ungemein hastig hatte fortgehen sehen. Mir machte es nicht wenig Lust, daß der Mensch, auf den der Verdacht fiel, mit Gleichmuth moralisirte, wie unvorsichtig es wåre, eine kostbare Uhr unter einem Haufen von Frems den herauszuziehen. Dann ließ er sich sehr heftig über die Schelmerey der Menschen aus, und ging ganz rus hig fort. Ungeachtet sein Aeußeres und seine Manier so sehr zu seinen Gunsten waren, so hatte er sich doch kaum aus dem Staube gemacht, als ein Mouchard oder Polizeyspion, dergleichen man in jedem Caffeehause fins det, den Caffeewirth warnte, seine Gegenwart nicht mehr zu leiden, weil er ein berufner Abenteurer sey.

Indessen darf man sich deshalb nicht einbilden, als ob in Paris niemand in ein Caffeehaus gehen könnte, ohne von den schnellfingrigen Herren beraubt zu werden. Ich glaube, solche Beyspiele sind hier nicht sehr häufig, und ob es gleich allgemein zugegeben wird, daß diese Hauptstadt einen Ueberfluß an Abenteurern und Taschendieben aller Art hat, so důnkt mich doch, man hat hier weit weniger Gefahr von ihnen zu besorgen, als von ihren Urbildern in London. Jedermann weiß, daß in uns serer verfeinerten Hauptstadt keine vornehme Frau einen Ball oder eine große Abendgesellschaft geben kann, ohne den gefürchteten Polizeybeamten Townsend, oder einen seiner Amtsgenossen aus der Bowstrasse zu miethen, das mit er auf der Hausflur bleibe, und durch seine Gegenwart die Verwegenheit schelmischer Eindringer hemme.

Das Gesumme und Geräusch der Sprechenden ist auf vielen Pariser Caffechåusern ausnehmend langweilig. Deutsch, Italienisch, Spanisch, Holländisch, Dänisch, Rußisch, Englisch und Französisch werden

alle zu gleicher Zeit und in demselben Zimmer gesprochen, woraus eine Zungenverwirrung entsteht, die beynahe so groß als die zu Babel ist. Außer den französischen Zeitungen findet man auch die Englischen und Deutschen; da sie aber oft von einem halben Dutzend Personen nach der Reihe bestellt sind, so erfordert es nicht geringe Geduld zu warten, bis diese Neuigkeitskråmer jeden Arti= fel überdacht haben.

Man bekommt auf diesen Caffeehäusern Caffee, Thee, Chocolade, Eis, Punsch und feine Wasser, aber nichts, das zum Mittagsessen oder Abendbrode dienen könnte, außer in den unterirrdischen des palais du Tribunat, wiewohl man viele von einem etwas geringeren Rauge antrifft, wo ein nahrhaftes Frühstück nach franzdsid er Art zu bekommen ist. Ob Voltaire's Gedanke, daß der Caffee das Gehirn reiniget und den Geist schärft, Grund habe, will ich nicht zu bestimmen wagen: sollte es aber wirklich der Fall seyn, so ist es kein Wunder, daß die Franzosen so lebhaft und erfindungsreich sind, da sie außerordentlich viel Caffee verbrauchen. Wirklich, wenn einer Ueberlieferung Glauben beyzumessen ist, so machte der Prior eines arabischen Klosters, dem ein Schäfer gesagt hatte, daß seine Ziegen vornehmlich her umhüpften, wenn sie die Beeren des Caffeebaums åssen, den ersten Versuch mit ihrer Kraft an seinen Mönchen, damit sie während des Gottesdienstes nicht schlafen möchten.

(II. 285.) Nach den Missethäterregistem der LldBailey zu urtheilen, dürfte man glauben, daß London nach Verhältniß seiner Einwohnerzahl mehr ehrlose Personen beyderley Geschlechts befäße, als irgend eine europåische Hauptstadt. Aber obgleich vielleicht mehr be= kannte Diebe und verwegene Räuber in London ihren

Aufenthalt haben mögen, als in vielen andern großen Städten, so will ich doch die Behauptung verantworten, daß Paris mehr Taschendiebe und liftige Betrüger ents hålt. Wenn auch die englischen Schelme an Verwegens heit den Vorzug haben mögen, so dünckt mich doch, daß sie an Geschicklichkeit den Schelmen unter den Frans zosen weit nachstehen müßen. Die letzteren müßen mehr List und Kunstgriffe anwenden, um eine strengere Wachs samkeit zu tåuschen. In dieser ausschweifenden Hauptstadt sind Abenteurer und Gauner längst berühmt gewes sen, weil sie eine prächtige Schaubühne ist, wo sie ihr ganzes Talent zeigen und eine größere Menge von Gims peln finden können. Aber die Frauenzimmer von diesem Gepråge in Paris verdienen, wie es scheint, nicht min der berühmt zu seyn.

Vor etlichen Jahren hörte ich, daß eine englische Dame von Geburt auf der That betreten worden sey, als sie eine Menge kostbarer Spitzen entwenden wollen, die ihr bey einem großen GalanterieHåndler in Pallmall vorzüglich gefielen. Man sagte, sie hätte ihr Versehen dadurch bemånteln wollen, daß sie guter Hoffnung wåre, welches eine unwiderstehliche Lüsternheit verursacht habe. Wie es damit auch bewandt seyn mag, so håtte fie hier in die Lehre gehen können, wie man aus folgendem Beyspiele von Gewandtheit sehen wird, das vor kurzem von einer Pariserinn an den Tag kam.

In dem ehemaligen palais royal steht ein berühm ter Galanterichåndler, der die theuersten Sachen des weiblichen Anzuges feil bietet, sobald sie aus den Hánden des Manufakturisten oder Erfinders kommen. Vor kurzem kam eine Dame, die etwas über dreyßig, von feinem Ansehen und einnehmenden Manieren war, in seinen Laden, und bat, daß man ihr etliche weiße Spiz

zenschleyer zeigen möchte. Man wieß ihr welche, von denen das Stück fünf und zwanzig bis fünfzig Louis zu stehen kam. Da diese nach ihrem Geschmacke nicht reich genug waren, so wurden andre hervorgelangt, und sie suchte einen aus, der achtzig Louis werth war. Sie trat vor einen Spiegel und legte sogleich diesen Schleyer à la religieuse, d. i. in Form einer Nonnenkappe, an. Dann nahm sie aus ihrem Busen ihren kleinen Beutel, fand aber darinn nicht mehr als zwanzig Louis in Bankpapier, welche sie dem Galanteriehåndler auf Abschlag für den Schleyer bezahlte, und zu gleicher Zeit ihn bat, daß er doch einen von seinen Leuten mit ihr zu ihrem homme d'affaires oder Agenten schicken möchte, damit er die andern sechszig bringen könnte.

Da ein Pariser Kaufmann allezeit außerordentlich froh ist, seine Waare los zu werden; so kostete es ihr keine Mühe, ihren Zweck zu erreichen. Sie las sich von den Dienern im Gewölbe einen schüchternen jungen Nen= schen von achtzehn Jahren aus, und nahm ihn in einer Lohnkutsche mit sich, welche auf sie wartete. Sie sagte dem Kutscher, wo er hinfahren sollte, und nun gieng es zu einem berühmten Apotheker in der Rue St. Honoré. Dies, sagte sie zu dem Ladendiener, ist die Wohnung meines homme d'affaires: folgen Sie mir und Sie sollen Ihr Geld haben. Sie stieg ab, sagte dem Apotheker, dessen Leichtgläubigkeik sie bereits sinnreich getäuscht hatte, etwas ins Ohr und bat ihn, den jungen Menschen in sein geheimes Zimmer zu führen, und die Sache zur Richtigkeit zu bringen, während sie mit seiner Frau schwaßen wollte.

Da der arglose junge Mensch sah, daß die Dame so vertraut in der Familie war, so nahm er keinen Anstand dem Apotheker in eine Hinterstube zu folgen. Er

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