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cer anbatte, fieng fie an laut zu lachen, mit den Fingern auf mich zu weisen und ihren Gesellschaftern zuzurufen: unter andern Späßen fragte sie mich: où est-ce que tu as vendu le pan de ton habit? Dis donc !

Ich gieng meines Weged: ein Barbier, der sein Becken unter dem Arme hatte, gieng etliche Schritte neben mir her und sah mich von oben bis unten an; dann bog er von mir quer über die Straße und rief lachend aus: voilà un vrai polichinel! Ich lachte selbst aus vollem Munde: denn der Kerl, welcher diese Bemerkung machte, batte lange Beine, einen Backel, eine krumme Nase, ein bepudertes Gesicht und eine kurze Jacke: im Grunde war er das ächte Bild: niß eines Polichinells; und das Zusammentreffen konnte mit Recht zum Gelächter reizen.

Ein zartes Gefühl von Höflichkeit herrscht so wenig un ter den niedern Ständen, daß man es häufig bey Leuten vermißt, die nicht zu ihnen gerechnet werden können. Die Schauspieler sagen oft nicht nur ihre Rollen, oder wenige stens gewiße Stellen darin, mit äußerster Schnelligkeit her, fondern viele von ihnen sprechen auch zu leise, als daß sie von allen Zuhörern verstanden werden könnten: daher kaufte ich mir gemeiniglich die Stücke, welche gespielt wurden, wenn ich ins Schauspiel gieng.. Meine Nachbaru nahmen keinen Anstand, das Buch von mir zu borgen, und würden es unbedent: lich während der ganzen Aufführung behalten haben, wenn ich unterlassen hätte, zu bitten, daß man mir es zurükgeben möchte. Um mich darüber in Gewißheit zu seßen, machte ich zwey vollständige Versuche. Einer behielt das Buch anderthalb Aufzüge und ein Andrer, an einem andern Abende, beynahe einen ganzen Aufzug hindurch: auch gab man mir sie nicht eher zurück, als bis ich sie forderte.

Das Betragen der Pariser im Schauspielhause ist in jeder Rücksicht bemerkungswerth: es ist gerade der Ort, wo sie vorgeben, öffentlich auf die Erfüllung der strengen Gefeße des Anstandes zu dringen, während sie durch die Ausübung ihrer eigenen Gefeße sich der grösten Grobheit schuldig machen. Wenn eine Frauensperson in den Logen ihre Enveloppe oder nur ihr Tuch vorn herüber fallen läßt, und ein Mann oder ein Knabe im Varterr es wahrnimmt, so wird den Augenblick Lärm gemacht, und wenn man die årgerliche Sache nicht gleich wegholt, so vereint sich jede Kehle zu einem allgemeinen Kaßengeschrey, Heulen und Gellen. Die Londner Gallerien sind nie. mals so ausgelassen und die Sitten derselben nie so unverschámt, als die des Parterrs in der Wariser Oper oder in dem Théâtre de la République. Auf den Theatern der Boulevards macht die Höflichkeit gar keine so hohe Ansprüche.

Da in den vornehmsten Schauspielhäusern keine Frauengimmer in das Parterr dürfen, so hat dort der Unfug Posten gefaßt, und es würde damit wirklich sehr weit kommen, wenn die Soldaten nicht für Ruhe sorgten. Eine Nation kann in

Höflichkeit und gutem Betragen nicht weit genug vorgerückt seyn, wenn das Bajonet der Vormund derselben feyn muß.

Ich und meine Frau waren einen Abend im Schauspielhause, als in den oberen Logen zwischen einem alten Mann und einer Frau, die beyde anständig gekleidet waren und rechtlich aussahen, ein Zank über einen Sih entstand, wo es zu Schlägen kami: der Mann schlug zuerst und die Beleidigung wurde erwiedert und mehrmals wiederholt, bis die Polizey, das ist, ein Soldat, sich ins Mittel legte.

Ich habe oben zwey Beyspiele angeführt, daß feile Mådchen im Palais royal mit Füßen gestoßen wurden, und daß dies in Gegenwart von ansehnlichen Leuten (gentlemen) geschah.

Es fehlt den Engländern, eben so wie andern Völkern, noch an etwas mehr Menschlichkeit, aber nicht bis auf diesen Grad. Anstatt ein halbes Jahrhundert zurück zu seyn, glaube ich vielmehr, daß Männer aus den gebildeten Ständen in England (gentlemen) unter der Megierung der Königinn Anna nicht gleichgültig zugesehen haben würden, wenn Aufwärter Frauenzimmer, ob sie gleich aus dieser unglücklichen Classe gewesen wären, mit Füßen gestoßen hätten. Daß ein Mann von feinerem Ansehn (a gentleman) ein Frauenzimmer schlägt, um fie von ihrem Site in einer Loge zu zwingen, und das in Gegenwart einer ganzen Zuhdrerschaft, scheint noch ein Schritt weiter rückwärts in der Civilisation zu feyn.

Doch darf ich nicht unterlassen, zu bemerken, daß die Zuschauer sich äußerst entrüstet gegen den Mann bewiesen uud ihn nicht vor Augen leiden wollten: indeß nicht so allgemein, daß ich nicht um mich herum getheilte Meynungen gehört haben sollte, wer Recht und Unrecht hätte. Auch ist zu bemerTen, daß ein Fauftschlag blos beschädigt, weil er beschimpft: ich sah niemals in Frankreich, daß er eine Spur nach sich gelaffen hätte.

(II. 184) Im J. 1783 erfuhr ich folgendes starke Beyspiel von Grobbeit. Ich speiste gewöhnlich an einer table d'hôte in der Rue dauphiné, wo die Gesellschaft eher unter als über ·der mittlern Classe war: es speisten dort_Offiziere, Rechtsgelehrte, Aerzte und Kaufleute. Das Französische fiel mir damals sehr schwer, und ich sprach es mit einem starten englischen Accente. Oft habe ich die Engländer tadeln gehört, daß sie Ausländer, welche ihre Sprache schlecht redeten, verspotteten, anstatt ihnen nachzuhelfen, und es ihnen besser zu fagen; und der Tadel war reichlich verdient. Bey solchen GeIegenheiten unterließen die Ausländer felten zu behaupten, daß die Engländer das einzige Volt wåren, die sich eine solche Grobheit erlaubten. Ich wünsche, die Behauptung wäre wahr, aber schon ehe ich aus England reiste, kamen mir Beyspiele vor, die mich überzeugten, daß sie falsch sey.

An der table d'hôte, deren ich erwähnt habe, bemerkte ein Offizier, der oben an saß, daß ich eine schlechte französische Aussprache hätte. Alsbald fieng er einen vorgeblichen

Dialog an, in welchem ein Engländer mitsprach, und äffte die englische Art, französisch zu sprechen, so ungemein drollig nach, daß er das Gelächter der ganzen Tafel erregte. Alle Augen waren auf mich gerichtet, allein dies bewog ihn nicht, aufzuhören: er fühlte den Beyfall, welchen man ihm ausspens dete, zu sehr, als daß er die Verlegenheit eines Fremden hatte achten sollen, der seine Nation und sich selbst zum Ziele des allgemeinen Gelächters gemacht sah. Er weidete sich an feinem Triumphe, ohne die geringste Entschuldigung zu mas chen, nachdem die Hize deffelben vorüber war.

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Die Herren, welche zu beyden Seiten neben mir saßen, ungeachtet sie mitgelacht hatten, sagten, als der Auftritt zu Ende war, gleichsam um ihn zu mildern, sie sähen, ich wäre zu sehr ein Mann von Welt, als daß ich es übel nähme." Ich hatte nemlich mit den Uebrigen gelacht: was konnte ich anders thua ?

Diese Herren waren Kaufleute, und fragten mich dieses und jenes über den Zustand des Handels in England. Ich kann nicht sagen, ob meine Antworten befriedigender waren, als sie es erwartet hatten, oder ob sie mich über das Vorges fallene besänftigen wollten, aber sie außerten gegen die übris gen Gäste mit einem Tone von Verwunderung: hier batte man, einen Beweiß, wie viel besser man sich in England auf den Handel verstünde als in Frankreich, da ein Mann, der auf keine Art mit dem andel zu thun hätte, so viel Kenntniße davon besäße: in England spräche man überall davon, so daß Niemand ganz unwissend darin bleiben könnte; in Frankreich verstünden sich selbst die Kaufleute sehr unvollkommen darauf.

Ich muß von diesem Beyspiele von Unart anmerken, daß wegen des allgemein verbesserten Zustandes der Sitten sich jest schwerlich ein ähnliches ereignen dürfte.

(II. 191) Das ungebetene Einmischen, welches ein Engs länder für ungebührlich ansehn würde, hält ein Franzose oft für höflich. Es ist der allgemeine Character der Engländer, selten entgegenkommen. Seine Freundschaft kann sich nur auf einen Verkehr gründen, der einige Zeit gedauert hat: im Anerbieten seiner Dienste ist er sehr langsam, denn sein Wort ist eine Verschreibung, die er sich zu jeder Zeit bereit halten muß, zu bezahlen; solche Gebräuche folgen aus seiner Ges wöhnung an Nachdenken und Ordnung.

Schnell zu fühlen, schnell zu sprechen, und eben so schnell zu vergessen; sich das erstemal, daß er dich sieht, für deinen Freund zu erklären, und sollte er dich niemals wieder antreffen, niemals wieder an dich zu denken, ist die Folge der natürlichen oder angewöhnten Lebhaftigkeit eines Franzosen. Diese Handlungsart fließt aus keiner bewußten Absicht zu hintergehen: er wünscht blos angenehme Empfindungen zu geben und zu ers halten. Diese unterläßt er nie, sich, wo möglich, zu verschaf fen: es fümmert ihn nicht, was er für sie bezahlt, oder wie fehr er sein Vermögen oder seinen Ruf dadurch schmälert:

kommt der Tag der Vergeltung, so schiebt er ihn dadurch hinaus, daß er zu denselben Mitteln greift, welche ihn zum Schuldner machten; er verspricht, besänftiget und überredet sich und andre, daß er endlich seinem Wort treu seyn wird.

Das englische Schweigen ist der Geschwäßigkeit der Franzosen so ganz entgegengeseßt, daß die leßteren kaum wissen, wie sie es nehmen sollen, und es gemeiniglich entweder für bauerische Grobheit oder absichtliche Beschimpfung halten. Sie können das Schweigen an einander nicht ertragen. Eine Frau, die der Monnaie gegenüber Aepfel verkaufte, rufte mit einem tadelnden Tone einer andern, die stillschweigend vor, über eilte, zu: Eh bien! Est-ce qu'on passe comme ça, sans dire bon jour au monde? Die andre sammelte sich sogleich und antwortete: Mais non; ce n'est pas ça: c'est que je suis de mauvaise humeur. Sie blieb dann ein wenig stehen und erzählte, wie es ihr gienge. Nichts konnte sie bey ihren Bekannten für ein so unartiges Stillschweigen entschuldiget, haben, außer daß sie bey übler Laune war.

(II. 197) Ein angesehener Mann in Paris, auf dessen Ehre ich mich verlassen kann, und der einst unter dem Voltzeyminister einen hohen Westen bekleidete, fagte mir, daß binnen der lehten zehn Monate, Einhundert und drey und neunzig Selbstmorde in den Tepartements und ungefähr eben so viel in Paris vorgefallen, daß über siebenhundert Ermordungen in demselben Zeitraume geschehen, daß ungefähr für eine Million Livres Habseligkeiten" gestohlen und beynahe eben so viel, nehmlich in den Departementen, durch Feuer zerstöhrt worden waren. Er schäßte die Zahl der Selbstmorde in ganz Frank: reich auf zwey bis drey des Tages oder auf fünfe in zwey Lagen.

(II. 198) Was sollen wir nach solchen Beweisen, wie die vorhergehenden sind, zu den irrigen Meynungen der Franzofen von dem Schwermuthe der Engländer und ihrer Neigung sich zu hängen, sagen? Ich bin über diesen Punct nicht wohl berichtet, aber ich zweifle, ob in Grosbritannien in einem Jahre so viel Selbstmorde vorfallen, als allein zu Paris in einem Monate. Es ist der Gebrauch der französischen Polizey, Nachforschungen zu vereiteln und Thatsachen zu verheimlichen, wenn sie von unangenehmer Art sind, denn sie erwarten von der Allmacht derselben beynahe eben so viel, als sie ansjurichten vorgiebt: alles ist unter ihrem Schuße, ihr Auge ist überall, der Angegriffene kann nicht sinken, der Straffällige nicht entlaufen, ihr vormündlicher Arm ist so wirksam zum Retten ausgestreckt, daß Niemand in Gefahr ist. Dies sind die hoheu Ansprüche, welche sie macht, und die täglichen Behauptungen, welche sie wiederholt: sie sind die nothwendige Folge des Despotismus, welcher immer in Unruhe ist und sich daher in alles mischen will.

Die Pariser sind insgemein selbst so unwissend, daß die Dinge, welche sie sehen, nur einen vorübergehenden Eindruck

machen; nur Männer von vorzüglichem Verstande fammeln Thatsachen und ziehen Folgen daraus, die übrigen dringen sehr schnell in eine Begebenheit ein, aber sie vergessen noch schneller, und ihre Leichtherzigkeit fließt vornehmlich aus dies ser Quelle.

In England verheimlicht man Unglücksfälle so wenig, daß man ihnen begierig nachforscht, denn es werden in den Zeitungserpeditionen besondre Leute ausdrücklich für die Trauers posten bezahlt, die sie bringen und die von ihnen oft sehr übertrieben werden. Wenn der Hergang nicht in Erstaunen seht, so hält man es kaum der Mühe werth, ihn in unsern Zeitungen einzurücken, und die Geschichten in diesen Zeitungen neh men ihren Umlauf in ganz Europa. Dies hat seinen Nußen, außer wenn die Wahrheit verfälscht ist.

(II. 390) Der Schauspieler Talma hielt sich lange Zeit in London auf, wo er sich in der Schule der Siddons bildete, und glücklicherweise war sein guter Kopf im Stande, einen Vortheil zu benußen, den keiner von seinen Nebenbuhlern' genossen hat. In den Scenen hoffårtiger Drohung, in der Spannung des Schreckens, in den Qualen der Reue und in allen den hochtragischen Leidenschaften hat kein tragischer Schauspieler, den ich außer England gesehen habe, den mins desten Anspruch auf einen Plaß neben ihm; und man wird' überhaupt nur wenige finden, die sich mit ihm in gleichen Rang stellen ließen.

Die tragischen Schauspieler in England haben einenVortheil über die französischen, welcher fast unsæåßbar ist. Die englische Sprache ist mannigfaltig in ihren Tonfällen, harmonisch in ihrem Numerus und wegen ihrer Fülle, ihrer einfachen Grammatik und ihrer lakonischen Energie aller der Wirkungen fähig, welche die Dichtkunst erdenken kaun, dahingegen die französische weder Accent noch Rythmus hát, durch die Förmlichkeiten des Reims und der Cåsur gefeßelt ist und daher einer Eintönigkeit unterworfen ist, welche keine Macht der Kunst überwinden kann.

Dies war Talma's schwere Klage, als ich absichtlich die: sen Punkt auf die Bahn brachte und mit im darüber sprach; vielleicht kann auch kein andrer Schauspieler in Frankreich darüber entscheiden als er, denn er ist mit unserer Sprache und unseren Dichtern innig vertraut. Er sprach mit fühlendem Schmerze, als er beschrieb, wie unmöglich es für menschliche Kräfte sey, Mannigfaltigkeit in Meden zu bringen, die sich oft auf vierzig und zuweilen beynahe auf hundert Verse ausdehnten, und die der tragische Schauspieler in Paris jeden Abend herzusagen hat.

Wäre es der Zweck der französischen Schriftsteller gewesen, sowohl für die Schauspieler als für ich selbst unübers windliche Schwierigkeiten zu erfinden, wodurch, so lange sie dauern, der Fortschritt des Trauerspiels gehemmt werden

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