Page images
PDF
EPUB

wer es war, fuchte sie abermals durch Kunstgriffe sich von einem so lastigen Besuche zu befreyen, und fieng an zu schreven, ihre Bedienten zu rufen, Rache für einen solchen Hohn zu drohen, und sich zu stellen, als ob sie Gefahr liefe, in Zuckungen und Ohns macht zu fallen. Aber der Hausherr behielt seine Fassung, erFlärte, er wollte das Zimmer nicht ohne seinen Zins verlassen, und falls ihre Bedienten Gewalt brauchten, so würde er ihr Betragen bekannt machen. Dies Mittel schlug an: ungeachtet die Gräfin ihr Geld nicht gern hergab, so mußte sie sich doch fügen.

[ocr errors]

Jemand anderes erzählte mir, er habe einige Rechtsangeles genheiten mit einer vornehmen Frau zu verhandeln gehabt, der Sachwalter habe ihn begleitet, und er sey eines Tages zu ihr ges gangen, um mit ihr über den Handel zu sprechen. Sie war ges rade im Bade, aber dies verursachte nicht den mindesten Aufschub, fie ließ beyde in das Gemach führen, in welchem sie sich befand, forderte die Sachen zum Schreiben, und ein Brett sie darauf zu 1 sehen: sie schrieb dann, und fragte, und antwortete im Bade mit derselben ungezwungenheit und Vertraulichkeit, als ob sie an ihs rem Schreibetische gesessen hätte.

Einmal hatte ich etwas bei Picard zu verrichten, der ein guter Schauspieler und einer der besten jeßigen Theaterdichter in Franks reich ist daher lasse ich das Herr aus. Als ich angemeldet war, ließ man mich in sein Zimmer treten. Dort lagen der Schriftsteller und seine Frau in einem Bette ohne Vorhänge, ihre Köpfe aufe gehoben, und mit Nachtmüßen, wiewohl ich ganz fremd war.

(II. 114) Die Moden reisen jezt schnell mit geringer Abs ånderung aus einem Lande in das andere, oder vielmehr aus London nach Paris, und aus Paris nach London. Wenn es eine Ehre ist, die Moden anzugeben, so gebührt diese Ehre jeßt mehr den Engländern als den Franzosen: aber beyde Völker theilen sie. Die Franzosen legen sich mehr darauf, neue Moden zu erfinden, und die Engländer die Mißverhältnisse derselben zu verbessern, und mit dem gesunden Menschenverstande auszuföhnen: glücklis cherweise fångt der gesunde Menschenverstand an, viele Bewung derer zu haben. Die Londner Moden, welche man in Paris aufs nimmt, åndern sich, und die Aenderung wird nach London zurücks geschickt, wo sie mit andern Zufäßen wieder zur Neuigkeit wird. Solche geringe und endlose Schattirungen der Verschiedenheit scheinen im Augenblicke Dinge, die an sich ganz unbedeutend sind; aber wenn man sie mit einem Zeitabschnitte vergleicht, der nicht sehr entfernt ist, so läßt sich nicht läugnen, daß sie Zeichen jener wichtigsten unter allen wichtigen Rücksichten, des Zustandes der Denfart und der Sitten sind: und so wenig man sich auch der Urs fache bewußt seyn mag, kann man doch, wenn man ausgeht, und die Reinlichkeit, Schicklichkeit und den Anstand im Anzuge wahrnimmt, sie nicht anders als mit heiteren und angenehmen Empfindungen betrachten.

(II. 115) Ich habe nirgends als in England gesehen, daß Mißverhältniß im Kleiderpuße den Hohn des Pöbels erzeugt,

wiewohl ich Anlaß haben werde zu beweisen, daß der Pariser Pöbel geneigt genug ist zu spotten und zu hohnecken. Die Tracht der Aufwärter in den Variser Caffeehäusern ist gemei niglich ein kurzes graues Jäckchen und eine Leinwandschürze. In der Gegend des Palais royal hat der Aufwärter oft ein reinliches, aber niemals, wie in den besten Londner Caffees häusern, das Ansehen der wohl gekleideten Classe; und in den dürftigeren und weniger besuchten Stadtgegenden hat er, so wie die Gäste, welche er bedient, ein ärmliches Ansehn, beträgt sich unverschämt und geht unordentlich angezogen. Als ich einmal bey la place Vendome vorübergieng, hatte ich meine besondre Lust an einer Gruppe von Aufwärtern: zwey von ih nen waren nicht sehr rein und in ihrem gewöhnlichen Anzuge, der dritte mit ledigen Tellern beladen und in einem gestickten Rock und Weste gekleidet: der seidne Rock war ein verschosses. nes Grún und die Weste ein schmußiges Gelb. Beyde waren über seine Schürze zugeknöpft, beyde trug er mit der Gefäls ligkeit der Selbstbewunderung und beyde wurden in demselben Geiste mit beständiger Wiederhohlung von seinen Gesellschaft tern angestaunt und gemustert. Anstatt über seinen Aufzug zu lochen, erkundigten sie sich, wie er das gute Glück gehabt hatte, ein solches Kleinod zu bekommen. Wollte sich ein Londner Aufwärter so kleiden, so würde er schwerlich das Gelächter seiner Collegen ausstehen können: er müßte seinen Plaß verlassen, um ihrem Spotte zu entgehen.

Der Anzug der gemeinen Leute in London ist einförmiger, als die Kleidung der gemeinen Variser, unter welchen die niedrigsten insgemein grobe Kamisole, bald mit Hüten, bald mit wollenen Nachtmüßen, bald ohne alle Kopfbedeckung tragen; die Beinkleider sind oft unten gar nicht zugeknöpft und im Winter so wie bev schmußigem Wetter haben sie hölzerne Schuhe und nicht allemal Strümpfe. Wer so viel Geld aufs treiben kann, kauft sich einen langen Ueberrock, genannt redingote (von riding coat), der bis an die Knöchel reicht und den Strassenkoth_berührt, nebst langen Hosen und gelegentlich mächtigen aufgestußten Hüten und einem schmußigen groben rothen und weissen Tuche um den Hals, ohne darauf zu sez hen, ob die Sachen gebürstet oder gewaschen sind und ordent lich sizen.

Das Auge wird noch mehr durch den allgemeinen Aufzug der Weiber beleidiget unter den Armen würde das Jackchen und der Rock aus gestreiftem Zeuge, wenn man sie rein und knapp hielte, eben so angenehm für den Anblick seyn, als sie bequem für die Bewegung des Körpers sind; aber schmußig, nachläßig angezogen, ohne Schürze oder Hut, wie durchgän gig in Paris der Fall ist, scheinen sie nur eine Begleitung des Elendes zu seyn.

(II. 124) Als ich eines Abends durch die rue saint Honoré nach Hause gieng, folgte mir eine öffentliche Dirne, die jung war und zu den wohlgekleidetsten gehörte: sie flüßterte mir den

[ocr errors]

gewöhnlichen Gruß zu: Ecoutez, Monsieur. Ich gieng fort, ohne zu antworten, aber sie wollte nicht ablassen. Ich gieng saneller und schwieg iummer; dies erregte plößlich ihre Galle, ne lief auf mich zu und schlug mir mit geballter Faust und dem ganzen bischen Stärke, welche sie besaß, unter die Nippen. Da ich in dem Augenblicke nicht wußte, wie ich mich verhal ten sollte, so drehete ich mich um die Furcht ergriff sie und sie lief in einen Laden. Ich sagte immer noch nichts, sondern sah sie an und sie begann augenblicklich mir vor den Leuten im Laden Schuld zu geben, daß ich sie verhöhnt und geschlagen hätte.

Behutsamkeit ist überall nöthig, besonders in fremden Låns dern, wo die Gewohnheiten und Gefühle des Volks mehr oder weniger von den unsrigen verschieden sind. Hätte ich sie den Soldaten überliefert, so würde sie dafür, daß sie einen Ausländer beschimpft und geschlagen, wohl keine leichte Strafe ers halten haben: aber das würde grausam von mir gewesen seyn, und es fragt sich, ob ich nicht mehr Uebel als. Gutes gestiftet hätte.

Ich sah selbst zwey merkwürdige Beyspiele von der üblen Behandlung, welche sich diese Weibspersonen geduldig gefallen Lassen müssen: beyde ereigneten sich im palais royal und beyde waren von derselben Art. Zwey Auswärter eines Caffeehauses hatten sich mit einem dieser Mädchen gezänkt und stiessen sie öfe fentlich unter den Säulengången mit Füssen: eine Menge Mannspersonen und einige wohlgekleidete waren zugegen, aber nicht Einer von ihnen legte sich ins Mittel, um die fernere Mißs handlung zu bindern. Daß ein Frauenzimmer von einer Mannss person mit Füffen gestossen würde und daß andre Mannspersonen rußig zusähen, ist ein Vorfall, den ich niemals in England erfahren habe: es ist nicht englische Galanterie.

Ich habe von Franzosen behaupten hören, und ich fürchte, es ist nur zu wohl gegründet, daß die Zahl der öffentlichen Mädchen, nach Verhältniß der Bevölkerung in den beyden Hauptstädten, in London viel grösser sey als in Paris, und die Ursache, welche sie dafür angeben, ist, daß man die eben beschriebene Galanterie am so viel besser in Paris verstünde. Daß sich doch diese Kenntniß niemals ausbreite! Unter zwey Uebeln, so groß auch das kleinste ist, ist es besser, öffentliche Dirnen zu dulden, als daß unsre Weiber, Schwestern und Töchter ihre anerkannten Stellvertreterinnen werden.

(II. 140) Der Variser Gebrauch, nicht zu Hause zu sán gen, verursacht einen fast unglaublichen Unterschied zwischen London und Paris in der Anzahl der Kinder, die man auf den Straffen sieht, denn während es auf den Gaffen in London von Kindern jedes Alters wimmelt, ist der Anblick eines Kindes auf dem Armie in Paris so ungewöhnlich, daß man, ausgenommen bey den allerärmsten Leuten, kaum etwas dieser Art antrifft. Wiewohl mir der Gegenstand nicht zeitig genug einfiel, daß ich genaue Erkundigungen darüber hätte einziehen können, so zweifte

ich doch, ob man bey Eltern, die eine Amme bezahlen können, in Zeit von einem Monathe nur Ein Kind unter zwey Jahren finden würde. Ich spreche, ohne etwas zu behaupten, denn ich möchte nicht gern das Gute, was mein Buch etwa siisten könnte, durch vergrösserte Schilderungen und unzuverlässige Angaben hintertreiben. Keine Worte vermögen zu sagen, wie sehr die Achtung und Liebe für die englischen Weiber durch ihre müts terlichen Tugenden sowohl als ihre bescheidenen Sitten, ihre persönliche und wirthschaftliche Reinlichkeit und ihre häusliche Ordnung vermehrt werden.

Ich fürchte, die französischen Schriftsteller werden dies blos für Höflichkeiten des Verfassers gegen das schöne Geschlecht halten, das er genugsam schmeicheln muß, wenn er von ihnen begünstiger zu werden hoffen will; denn dies thun die französ fischen Autoren täglich und durch solche unwürdige und ungroße müthige Künste werden die Weiber dort betrogen, gegen die offenbarsten Thatsachen verblendet und aufgemuntert, in Ges wohnheiten zu beharren, wider die sowohl Vernunft als Lus gend sich empören. Ich habe nur vergleichungsweise gesproz chen: die Fehler menschlicher Wesen sind, ohne Rücksicht auf Geschlecht und Geburtsland, zu sichtbar, als daß man sie vers bergen, und zu zahlreich, als daß man sie herrechnen könnte. Die französischen Schriftsteller haben dem menschlichen Geschlechte unendliche Dienste geleistet, aber gewiß nicht durch die Liebenswürdigkeit ihrer Schmeicheley.

(II. 158) Von der allgemeinen Unwissenheit, welche unter · den niederen Volksstånden in Frankreich herrscht, hat man übers flüssige Beweise. Unter den Urkunden, welche Bonaparte bez kannt machte, um darzuthun, daß er wirklich vom Volke auf feine Lebenszeit zum Consul erkohren worden wäre, befand sich auch die ausnehmend lächerliche eines Megiments, welches nicht im Stande war, seinen Nahmen zu schreiben und daher bloßfe Zeichen hingeseht hatte.

Vor der Revolution waren zweyhundert Träger und Bes dienten bey der Pariser Schaßkammer angestellt: es durfte schlechterdings keiner von ihnen lesen können, aber es hielt nicht schwer, solche Personen zu finden.

(II. 160) In jedem Lyceum werden alte Sprachen, Nhetorit, Logik, Ethik, Mathematik, Physik, Zeichnen, militarifabe Uebungen und les arts d'agrément gelehrt. Etli che von diesen leßtern sogenannten angenehmen Künsten, nebst ihren Eintheilungen und Unterabtheilungen in Franks reich, liegen jenseits meiner Kenntniß. Man hat mir ges sagt, ich weiß nicht, mit welchem Grunde, daß eine von den Künsten, angenehm zu seyn, die vornehmere Art ist, einen Knochen abzuklauben, und daß es Lehrmeister giebt, von denen man es lernen kann. Ich habe auch von einer Baroneße gehört, welche sich täglich von einem Künstler ihre Adern übermalen ließ. Ich weiß, daß die Kinderwårs Jerinnen und Gouvernauten den Mädchen, wenn sie aus

gehen, die Kunst, ihre Röcke zu halten, sehr sorgfältig eins scharfen. Ich fah, daß ein Mädchen, die fünf bis sechs Jahr aber gewiß nicht älter war, von einer Frau, welche sich bey ihr befand, auf der Straße geschlagen wurde, weil sie ihre Röcke nicht recht hielt. Dieses gehörige Halten besteht darin, daß man ein Bein den Augen ganz preis giebt.

(II. 171) Il faut encore cinquante ans avant que les Anglois soient humanisés, fagte ein französischer Emigrant zu seinen Gesellschaftern, als er mit ihnen bey Altona spazieren gieng.

Die Franzosen haben gewiße Sitten, welche von den Engländern verachtet werden: und doch werden die leßteren eben dieses vermeintlichen Mangels wegen für roh, unbiegs sam und kaum civilisirt gehalten.

In einem französischen Lustspiele, le Cercle genannt, kommt ein Obrister, der in den vornehmsten Familien Sutritt hat, bey etlichen Damen zum Besuche, besteht die Stickerey, an welcher sie eben sind, tadelt etwas daran, und seßt sich nieder, um ihnen zu zeigen, wie sie zu Werke ge= hen sollten. Dieser Umstand wird von den französischen Kunstrichtern als einer von den gefälligen Zügen in seinem Character bemerkt, und er wird deshalb als ein wahrhaft feiner und einnehmender Mann gelobt.

Wollte ein Gentleman in England, gleich diesem Obriften, einen Arbeitsbeutel bey sich führen, und ihn heraus nehmen, um den Damen zu weisen, wie sie einen neuen Stich machen, Manschetten ausbessern oder eine Blume stit= ken sollten, so würde es so sehr von unsern Gebräuchen abgeben, daß man ihn verachten und meiden würde. Ueberall auf dem festen Lande, wo ich gewesen bin, sind solche Site ten nichts ungewöhnliches. Mannspersonen stricken häufig und Frauenzimmer wiffen mit den Werkzeugen am Camine umzugehen. Selbst im nördlichen Deutschland sieht man Bauern und rustige Männer, die man mit dem Ackerbau beschäftiget zu finden vermuthet, an den Hausthüren ste hen und Strümpfe stricken; man lehrt auch diese Kunst den Knaben in dem Pariser Findlings Hospital.

Die verschiedene und abgesteckte Gränze von Pflichten, welche die Engländer nicht gern von einem oder dem andern Geschlechte überschritten sehen, ist nirgends so genau bezeich net, als in England; und was ein starkes Zeichen von Civilisation ist, wird in einigen Schattirungen als ein Beweiß angesehen, daß die Engländer nicht so artig sind, als wohls gezogene Leute es seyn sollten.

(II. 179) Der halbe Ueberrock, den man gewöhnlich Spencer nennt, erregt das Gelächter des Pariser Vöbels. Ich ging täglich durch la Rue Mazarine in ein Lefezimmer, und zog die Aufmerksamkeit eines Mädchens auf mich, die oft ihre Zeit mit den dort haltenden Miethkutschern vertåndelte. Als ich einmal dort vorüber gieng und meinen Spen

« PreviousContinue »