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es etwas gewöhnliches ist, wie ich selbst gesehen habe, daß sie sich über der Hüfte bis aufs Hemde eatkleiden, den Bußen entblößen, und, wie sie es nennen, ihre Toilette machen während mehrere Mannspersonen zugegen sind, die gar nicht zu wissen scheinen, daß so etwas vorgeht.

Einige Zeit glaubte ich, daß sich dies blos auf die vornehmsten Damen einschränkte, und erstaunte nicht wenig, als ich in einem angesehenen Buchladen, wo noch drey Franzosen zugegen waren, die Frau des Buchhändlers, welche noch jung und wohl angezogen war ihren Rock weit über die Knie aufheben sah, um sich den Strumpf zu binden, worüber ihr Mann ganz gleichgültig blieb.

Ich überlasse es den Streitsüchtigen zur Entscheidung, ob die Anzüge unserer Tänzerinnen auf der Bühne, besonders im Opernhause, den Anstand beleidigen oder nicht: aber sie sind bes scheiden in Vergleichung mit den Pariser Theatertänzerinnen, welche blos einen durchsichtigen Leinwandanzug über Unterhosen aus fleischfarbenem Zeuge tragen, deren Absicht ist, den Zus schauern glauben zu machen, daß sie keine Unterziehhosen an haben.

Frauen, die keine Operntänzerinnen sind, Frauen die Månner haben, und sehr oft Mütter find, aber Mütter, die ihre Kinder der Sorge unwissender Bäuerinnen überlassen, welche, wenn auch ihre Milch gut seyn mag, ohne Unterweisung, roh und ungereimt in ihren Sitten sind; diese Frauen, diese Mütter gehen an alle öffentliche Pläße, und zeigen sich da mit größerer Stirns losigkeit. Das Opernhaus ist der anerkannte Schauplaß der Uns Sittlichkeit; da man im häuslichen Leben immer noch einige Ansprüche auf Sittlichkeit macht, so sollte man sich derselben doch einigermaßen nähern. Wir wollen einen französischen Schrifts steller, Desodoards in der histoire philosophique de la revolution darüber hören. Er sagt:

Nos Phrynes et nos Lais avoient appris que les anciens sculpteurs n'étoient parvenus à rendre transparentes, avec la draperie, les formes de leurs statues de femmes qu'en drapant leur modèle avec un linge mouillé. La crainte des rhumes les empêchoit de s'habiller avec un jupon trempé. Elles y suppléèrent en ne portant ni chemises, ni jupon, ni

jupe, ni poches. Elles avoient grand soin, en marchant, de pincer leurs robes des deux côtés des hanches. Alors se montroit pour tous les yeux ce qu'elles vouloient montrer à la république expirante; n'osant pas se découvrir plus que le genou, elles se dédommagoient en nudifiant leurs bras. Ainsi étoient mis en étalage l'échantillon des colonnes qui restoient cachées malgré elles.

Kupfer und Gemählde, die zwar nicht geradezu unzüchtig aber doch den Sitten, die den mindesten Anspruch auf öffentliche oder häusliche Anständigkeit machen, äußerst anstößig sind, wer den ganz öffentlich verkauft; und, was das außerordentlichste bey der Sache ist, Kauflustige haben gewöhnlich mit der Frau des Ladens darüber Handels einig zu werden: sie läßt sich darüber, mit jedem ein, der ihr etwas abnehmen will.

Daß die Französinnen bey solchen Gelegenheiten kein Schaam. gefühl, keine zarte Welblichkeit äußern, davon habe ich viele Beweise gehabt. Als ich mich einst nach einer Miethwohnung umthat, führte mich die Frau des Hauses in den ersten Stock. In dem Hauptzimmer hieng das Kupfer einer jungen Frauens, person, die entkleidet auf dem Bette lag, ihr Linnen aufgehoben, the Hintertheil entblößt, und eine Magd mit dem gehö rigen Werkzeuge, um ein Clystier zu sehen, in der Hand winkte sehr bedeutsam einem durch die Thür guckenden Liebhaber, daß er hersehen sollte. Dieser Kupferstich ist sehr gewöhnlich in den Bilderläden, wo man auch einen andern mit dem berühmten Motto: honi soit qui mal y pense sicht, den ich aber nicht beschreiben mag.

Ich will noch an einem andern Beyspiele zeigen, wie wez nig Einn man in Paris für die öffentliche Schicklichkeit hat. Unter dem westlichen Säulengange des Palais royal wohnt ein Mann, der Hühneraugen ausschneidet: er hat mehrere Schilder, die er wechselsweise aushängt, um die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden anzuziehen, welches sie am meisten des Abends bewirken, weil sie dann durchsichtig und erleuchtet sind. Auf einem dieser Schilder sieht man ein Mädchen, die eben aus dem Bette aufgestanden ist, auf demselben sißen, und die Füße ausstrecken, damit der Mann die Leichdörner ausschneiden möEngl. Miscellen XIV, 3.

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ge; das Hemd ist bis über die Knie aufgehoben, und sie hat keine andere Kleider an.

Nur die Unzáblichkeit unanständiger Gewohnheiten und SaWas ich hinzuchen kann solche Schilder erträglich machen. fügen will, ist ein anderer unstreitiger Beweiß, obschon von verz schiedener Art, wie allgemein sie sind, und wie sehr sie ein engs lisches Gefühl beleidigen.

Ein Freund kehrte ans Versailles zurück, und hielt in eis nem Wirthshause still, um einige Erfrischung zu sich zu nehmen. Als er dort saß, kam ein einfältiger junger Kerl, der Kutscher eines Cabriolets, in die große Wirthsstube, und fragte Iaut: Voulez-vous me dire, Messieurs, où je peux faire mes besoins? Ein Franzose antwortete: mais, diable, mon ami, vous ne voulez pas les faire ici, j'espère! Der Mensch fuhr fort: Mon dieu, dites donc; car je suis très pressé. Etliche Minuten darauf kam er wieder, und rufte mit einem unaussprechlich tölpelhaften Grinzen aus: mais c'est assez drôle, 'est-ce pas ? Mon maître m'a apporté à boire quand je faisois mes besoins. Diese beyden waren gut gepaart; hier hieß es in Wahrheit: wie der Herr, so der Diener.

Doch war dies nicht als Unanständigkeit ungewöhnlich, sone dern blos als ein Beweiß von bäuerischer Naifheit; denn in jeder Variser Straße, obschon am meisten in den entlegenen, opfert man beständig der Cloacina bey hellem lichtem Tage. Ich bin mit fünfen zugleich vorüber gegangen, als drey MannsPersonen sich an die Wand gekauert hatten; und, was noch außerordentlicher ist, ich gieng bey einer anständig gekleideren Frau vorüber, welche dieselbe Cerimonie des Mittags verrich fete, und sich an der Mauer des Collège de quatre nations am Ende der Rue Mazarin Preis gab. Als ich in einem öffent lichen Garten auf den Boulevards war, und den Tempel suchte, welchen die Engländer halb versteckt zu finden hoffen, sah ich bald die ganz öffentliche Aufschrift: cabinet d'aisance, Ci nem Zeichen zufolge hatte es ein Cabinets Math seyn können, denn es saß ein Wächter an der Thür, und wie seltsam dies auch klingen mag, es war eine Frau. Ich sah hin, und zauderte, wie jeder Engländer gethan haben würde. Mit einer wahre haft französischen Hurtigkeit erristh sie meine Verlegenheit, und rief aus Besorgniß, ihr Trinkgeld zu verlieren: entrez, Monsieur, entrez, indem sie mir ein Blatt aus irgend einem uns glücklichen Schriftsteller hinreichte. Es fiel ihr gar nicht ein, von ihrem Size aufzustehen. Hören, Sehen, und die andern Sinnen sind daran gewöhnt, kein Aergerniß zu nehmen. Sie nahm ihren Sol, und ich gieng mit sehr mannichfaltigen Betrach tungen fort.

Man wird mir ohne Zweifel, und vielleicht mit Hårte, sagen, daß ein Mann von feinerem Geschmacke diese und ähnliche Borfälle nicht erzählt haben würde. Was kann ich antworten ? Sey versichert, gütiger Leser, ich fühle ein fast unmäßiges Vers Langen, nicht allein guten Geschmack, sondern jede vortrefliche

Eigenschaft zu erlangen, die man sich nur an einem Schrifts steller und Manne erdenken kann. Eitten wollen nicht aus Bes hauptungen, sondern aus Thatsachen kennen gelernt seyn; und wenn Thatsachen verschwiegen werden sollen, weil sie der Eins bildungskraft anstößig sind, ungeachtet die Kenntniß derselben zur Berichtigung von Jrthümern und zu nüßlichen und wesent. lichen Untersuchungen führen mag; so ist die Einbildungskraft eine Spröde, welche mehr den Schein als das Wesen der Tus gend hat. Die Beschaffenheit des Gegenstandes dringt mir diese wiederholten Berufungen auf den Verstand ab.

Die Franzosen haben eine Lieblingsmarime, welche sie, so oft sie können, und auf Handlungen und Vorfälle anwenden, die sehr abweichend von einander sind, und bey der Verglei chung keine angenehme Vorstellung erregen können. Wenn zwey junge Leute sich in einander verlieben, wenn sie sich heurathen, wenn sie ihr Verlangen ohne Ehe befriedigen, kurz, wenn sie irgend etwas thun um dringende Bedürfnisse, waren sie noch so entgegengesett, los zir werden, so hört man die Entschule digung: Il faut obéir à la nature. Sie sprechen dies mit eis nem Nachdrucke aus, welcher beweißt, daß sie diesen Grund für unerschütterlich halten.

Die Regierung versuchte, ob sie nicht hindern könnte, daß man dieses große Naturgeseß in dem Garten der Tuillerien bes folgte: jie ließ daher an die Bäume und in den Gången Zettel antleben, die eben nicht zur Verschönerung eines solchen Ortes, gereichen, und warnte das Publikum, daß aus Achtung für Schicklichkeit und Anstand die Schildwachen angewiesen wären, jeden, der sich dort seiner Bedürfnisse entledigte, fest zu nehmen.

Es läßt sich demnach leicht einsehen, daß man, wenn man durch die Pariser Straßen geht, und den Häusern nahe kommt, auf seiner Hut seyn muß, wo man bintritt. Man wird es vielleicht nicht ganz willig glauben, daß in Paris solche Unanständigkeiten auf den Treppen, und sogar in den Kirchen bes gangen werden; dennoch ist dies wirklich der Fall. Ein solcher widriger Mangel an Reinlichkeit vermindert sich unstreitig, wie die jest weniger häufigen Zeichen jener Ungebührlichkeiten darthun: aber dennoch giebt es der Anlässe zu viele, bey denen sie wiederholen: il faut obéir à la nature.

(II. 103) Kleidung und Mode sind mit dem Anstande innig verbunden; aber nach dem bereits aufgestellten Gemählde des Desodoards ist über diesen Punkt wenig mehr zu sagen übrig. Nachdem sie dem Zustande der Feigenblätter so nahe als mög lich gekommen sind, was konnten sie oder was können sie wohl weiter thun?

In den öffentlichen Zeitungen erschienen verschiedene Bemerfungen über den Anzug eines Schottischen Offiziers in seiner Lane desuniform, der an einem Hoftage in dem Pallaste der Tuillerien Einlaß erhielt. La décence françoise fonnte eine solche Tracht nicht ausstehen: sie empörte die Schicklichkeit. Es ist souderbar, daß man ein solches Costum nicht abbringt. Gewohnheiten sind hart

näckig, sonst würde der englische Anstand eben so sehr durch die fen Anzug beleidiget werden, als es die französische Decenz nur immer seyn konnte.

Es ist beynahe ungroßmüthig, hierin das Vergeltungsrecht zu üben, aber wer kann sich mäßigen! Unter den Engländern fins det man nicht, wie in Frankreich, im Parterr des Schauspielhaufes Männer, die Bücher mit Kupfern feilbiethen, welche zu ans stößig sind, als daß ich mich ihrer erinnern möchte. Knaben fol gen einem nicht, und erzwingen Aufmerksamkeit durch allerley Kunstgriffe, und flüstern dann Einladungen in Bordelle, und ❤fui!

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Von einem so äußerst eckelhaften Zimmer als das boudoir de **** das man noch heute in La Bagatelle sehen kann, habe ich in England niemals etwas gehört, und ich glaube, daß es derz gleichen hier gar nicht geben kann. Ich selbst habe es nicht gesehen, dente aber für die Wahrhaftigkeit der Person, die mir davon sagte, mich verbürgen zu können. Man beobachte in Paris nur ein paar hergebrachte Formen, die selten núßlich und oft lächerlich sind, so wird man wenig Gefahr laufen, daß ein strenger Sittenrichter sich unterfange, die Stirn zusammen zu ziehen, wenn man sich den gangbaren Lastern überläßt. Jeder fordert eine carte blanche für sich, und wiewohl das Gefühl gesellschaftlicher Sicherheit ihn geneigt macht, etliche wenige unwirksame Ausnahmen zu begünsti gen, so wird er sie doch ohne große Mühe auch seinem Nachbar zugestehen.

Als ich von dem Ausschneiden der Hühneraugen im Palais royal sprach, vergaß ich eine Anecdote zu erzählen, die drollig ist, und die Sitten mahlt. Bey einem meiner Freunde, der ein hotel meublé hatte, wohnte eine Gräfin zur Miethe, von welcher er den Zins nicht erhalten konnte, und zu welcher, ob sie gleich in feinem Hause wohnte, es ihm unmöglich war, Zutritt zu bes kommen: heute war sie unpåßlich, morgen hatte sie Kopffd merz, ein anderesmal quålte sie die migraine; ein Freund, ein Besuch, Geschäfte, oder sonst ein Vorwand war allezeit in Bereitschaft.

Des Wartens müde und besorgt, daß er seine Schuldforde rung nicht erhalten würde, bediente er sich zuleßt einer List. Zu bestimmten Zeiten pflegte ein Mann zu ihr kommen, der die Hühneraugen ausschnitt: mein Freund suche zu erfahren, an welchem Morgen er kommen würde. Die Gräfin hatte so eben andre Bediente angenommen, und so ließ sich mein Freund von dem neuen Kammerdiener als der Hühneraugenarzt ansagen. Die Gräfin bewegte gar nicht erst ihren Kopf oder blickte auf, sondern streckte einen Fuß unter dem Bette hervor, damit der Mann zu feinem Werke schreiten möchte. Der Besißer des Hotels nahm nun seinen eigenen Character an, und sagte: verzeihen Sie mir, Madame, ich bin nicht in der Absicht gekommen, ihre Hübner augen auszuschneiden, sondern Sie zu bitten, daß Sie die Güte haben mögen, ihren Zins abzutragen. Die Summe ist beträchts lich; und ich brauche Geld.

Dies weckte die Aufmerksamkeit der Gráfin: da sie aber sab,

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