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Familie, wo man zur Tafel geladen ist, Gefahr, nichts zu effen zu bekommen, wenn man kein Messer mitbringt: dennoch findet man in jeder hübschen Familie silberne Eßlöffel und schwere sil berne vierzackige Gabeln, so wie jeder eine reine Serviette bey der Tafel erhält, obgleich alle ihre Gabeln und schmuzigen Zuleges Messer, die niemals gepußt werden, auf ihrem Brode abwiz schen. Etliche Vornehme und Reiche nehmen so viel englische Gebräuche an, als sie kennen und sich mit ihren Sitten vertragen:, und in diesen Familien wechselt man Messer und Gabeln zugleich mit den Tellern, aber der große Haufe hat niemals von einer solchen Gewohnheit gehört.

In England giebt es keinen Hauswirth und keine Hausfrau, die es sich nicht zur Schande anrechneten, wenn in ihren Geräthen ` und Kleidern und deren Anordnung, Reinlichkeit und ganzem Ansehen nicht eine Art von Uebereinstimmung und Einheit obwaltet. In Frankreich ist die Unachtsamkeit auf solche Dinge fo allgemein, daß ein Engländer über das Mißverhältniß erstaunt. Die Vaarung der Gegenstände ist so wunderlich, Puß und Armfeligkeit berühren sich so oft, Vergoldung und Spinnweben, dunkle Thorwege und beschmußte Treppen, die in geräumige Gemächer führen, wo die Vracht in Unordnung und Vernachläßigung liegt, diese und die beständige Wiederholung ähnlicher Mißstände dringen dem Manne von Beobachtung ein fast ununterbrochenes Gemählde ́ von Pomp und Bettelhaftigkeit auf.

(II. 21) Die Nachbarschaft und Verbindung des Großen und. Kleinlichen, oder, wenn man den Ausdruck nicht anstößig finden will, des Pomps und der Armseligkeit scheint überall durch, wo ́ nur immer in Frankreich der Pomp sein Panier aufpflanzt. Der Anzug der gemeinen Leute hat ein Ansehen von außerordentlicher Aermlichkeit; er besteht nicht nur aus groben Zeugen und ist abges tragen und oft mit Feßen beseßt, sondern die Mannspersonen traz gen auch insgemein nur ein Wamms oder eine Aermelweste, und Beinkleider, die an den Knien nicht zugeknöpft sind, manchmal haben sie keine Strümpfe, und im Winter sabots oder hölzerne anstatt lederner Schuhe. Der weibliche Anzug ist von gleichem Gepräge. Sie tragen ein Korset oder camisole, das ist, eine Art von Jäckchen und Rock, aus Leinwand oder Wolle, beschmußt

oder rein, mit oder ohne Aermel, sabots oder Pantoffeln, keine Leibchen, keinen Hut, und bald Strümpfe, bald keine: dennoch können sie, Mangel an Strümpfen ausgenommen, keine Aermlichkeit im Anzuge, keine Lumpen von den Museums, den Gårs ten und öffentlichen Pläßen ausschließen. Ich freue mich aufrichtig darüber; allein der Anblick ist nichts destoweniger unschiclich. Unter den Bögen des Louvre sieht man Antiquare, Bildermánner, und kleine Höcker. Nach der Behauptung der Frans zosen ist die Façade die schönste Probe von neuerer Baukunst, die man hat. Außer den gedachten Antiquaren und årmlichen Buden werden die Verhältnisse des Portals an dieser Façade durch Breter, die als einfiweiliger Thorweg zum nächtlichen Verschlusse aufges nagelt sind, gänzlich zerstört: die gegenüberstehenden Gebäude find nicht nur armselig, und eben so wenig angemessen, als die Häuser aus Backsteinen zu dem edlen Gebäude der Paulskirche in London passen, sondern der offene Naum, welcher sich dazwischen befindet, ist mit einem schmutzigen hölzernen Geländer einges zäunt, das sich weit besser für einen Pachthof, als für einen Pals Last schickt; und die Fenster dieser berühmten Façade sind nicht nur zerbrochen, mit Papier geflickt, oder mit Bretern ausgebessert, wie es sich trift, sondern sind oder waren, als ich sie sah, mit alten Hemden, Strümpfen, und andern erbaulichen Schaustels lungen verziert.

(II. 27) Entgegenstehende Gebräuche erzeugen entgegenstes hende Denkart und wechselseitigen Tadel. Die Engländer wers den von den Franzosen beschuldiget, daß sie die Frauen vernachläßigen, die Unterhaltung mit ihnen verachten, und ihre Gesellschaft verlassen, um sich dem Trunke zu überlassen, welcher das Blut entflammt, die feinen Gefühle herabwürdiget, und die Gesundheit von Menschenaltern befleckt. Wie ernsthaft auch diese Beschuldigung klingt, so hat sie doch nur zu guten Grund: aber wir haben den Trost, daß es ein Uebel ist, welches sich täglich vermindert.

Die Schilderung, welche die Engländer machen, ist sehr verschieden, und dennoch nicht weniger wahr. Wenn die Franzosen, sagen sie, die Frauenzimmer nicht durch Vernachläßigung höhnen, so stiften sie noch größeres Unheil an; sie würdigen sie

durch Verstellung herab; sie muntern in ihnen die Gefallsucht auf: sie erziehen sie für unerlaubte Liebé; sie geben vor, daß man ihnen Bewunderung schuldig sey, und daß nur Barbaren sich ihren Vergnügungen und ihrem Geschmack widersehen könnten, und bestärken sie solchemnach in allerley Dingen, wodurch der Forts schritt der Geistesbildung verzögert, und der Familien-Friede alle Lage zerstört wird.

Und das ist noch nicht das ganze Uebel: durch das öftere Schwaßen mit Frauenzimmern werden die Mannspersonen selbst Schwäger; sie gewöhnen sich an, mit allem zu tándeln, bis sie selbst leichtsinnig werden; sie lehren so lange Verstellung, bis die Unterscheidungszeichen der Aufrichtigkeit unkenntlich werden und verloren gehen; durch die Aufmunterung der Gefallsucht haben sie sich selbst zu einer Nation männlicher Coquetten gemacht, so daß sie sogar auf diese verächtliche Auszeichnung stolz sind; sie haben die allerlasterhafteste Kunst, die der Verführung, ersonneu und auss gebreitet, und dadurch nicht nur Frankreich mit einer regelmäßigen häuslichen Verrätherey vertraut gemacht, sondern auch die ganze bürgerliche Gesellschaft damit angestekt: ein Uebel, dessen Auss rottung die Beharrlichkeit von Jahrhunderten erfordern wird.

(II. 57) Schriftsteller verweben beständig in ihre Werke etlis che Züge ihres eigenen Characters, wiewohl ohne Absicht, und oft, wenn sie es am wenigsten vermuthen: Völker thun dasselbe, denn in diesem Siane sind die Schriftsteller einer Nation die Nation selbst. Das Gemåhlde mag gut oder schlecht seyn, es wird unfehlbar die Gegenstånde zurückwerfen, welche der Künstler stus dirt hat, und die Bilder darstellen, welche in seinem Gedächtnisse leben und es erfüllen.

Es giebt kaum ein Fach in den schönen Wissenschaften, das den vorgeblichen Huldigungen, Bewunderungen, und dem tiefen Gehorsam gegen Frauen und deren unwiderstehlichen Reize entgehen kann, welche die vermeintlich gute Seite von dem ausmachen, was bey den französischen Schriftstellern Galanterie heißt, die, wegen ihren bestechenden und einnehmenden Schmeicheleyen, dem verhöhnten, herabgewürdigten und beeinträchtigten Geschlechte, an welches sie gerichtet wird, so willkommen und gefällig ist.

Wer in der französischen Literatur wohl bewandert ist, muß

diese Wahrheit oft bemerkt haben; ihm kann es nicht entgangen seyn, daß die ältesten und neuesten epischen, tragischen, komis schen und lyrischen französischen Dichter fast ohne Ausnahme die Liebe als eine heftige Leidenschaft gemahlt haben, die gleich einer Flamme nur einen Augenblick da ist, und daß sie die eheliche Uns treue als kein ernsthaftes Uebel schildern, oder doch als ein solches, das, wenn es ja ein Unglück heißen kann, höchstens nur ein gemeis nes Unglück ist, dem jeder Ehemann unvermeidlich Preis geges ben wird.

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Jedennoch giebt es tausende, denen diese Thatsache weder durch die Lektüre noch durch ihren Verkehr mit Frankreich bekannt geworden ist. Diesen ist ein schönes Stúc les deux font la paire in den Proverbes dramatiqes von Cannentel, einem lebenden Schriftsteller von nicht geringem Verdienste zu empfehlen. Schwerlich würde man die Gefühle, welche die Ehemänner der niederen Classe in Paris miteinander theilen, mit größerer Ges nauigkeit zeichnen können, als es hier geschieht. Nichts ist ges wöhnlicher, als von einer verheuratheten Frau zu sagen, das dort ist ihr Freund: c'est l'ami de Madame, welches heißt, ihr Liebhaber. Ich will damit nicht gesagt haben, daß diese Ges wohnheit schlechterdings allgemein ist: im Gegentheil, obfchon ich es nicht zu behaupten wage, hoffe und glaube ich doch, daß die Zahl der Weiber, die ihren Männern treu sind, die größte ist; allein was ich so oft beobachtet habe, macht mir es äußerst zweifelhaft.

Bey meinem ersten Aufenthalte in Paris dechte ich immer, die Geschichten, welche ich hörte, wären verläumderisches Geträtsch, aber nach wiederholten Beobachtungen hat sich meine Meynung geändert.

Ein überaus ordentlicher und gesehter Handwerker in seinen besten Jahren, den ich kannte, war an eine schöne Frau vers heyrathet: sie hatten etliche Kinder; die Frau war, allem Ans scheine nach, sanft, ordentlich und züchtig; dennoch hatte auch diese Frau ihren Freund, der ein junger Engländer war. Ich habe mit der Familie Lustparthien und kleine Spazierfahkten ges macht: wenn dieg geschah, gieng und unterhielt sich der Mann mit mir, während die Frau allezeit sich Arm in Arm, und meis

stens in einiger Entfernung mit diesem guten Familienfreunde befand.

Nichts kann ein größerer Beweiß von vermeintlicher schleche ter Lebensart seyn, als wenn ein Ehemann in solchen Dingen seiner Frau lästig wird und sich einmischt.

(II. 79) Wenn die französischen Damen Engländer in Ges sellsa aft antreffen, so find sie oft in gespanuter Aufmerksamkeit, um etwas zu bemerken, was se für schlechte Lebensart halten. Einer meiner Freunde saß eines Abends da, hatte die Hande in seinen Taschen, feine Veine der Länge nach ausgestreckt, und sein Nacken rubete auf der Stuhllehne: es war die Stellung der unachtsamen Gemächlichkeit, die nicht argwöhnte, daß sie Aers gerniß gåbe. Eine franzisijche Dame, die ihn bemerkte, flüsterte meiner Frau zu mais regardez donc cet Anglois, Madame! Il faut avouer que ces Messieurs ne se gênent pas. Voyez si un François oseroit se tenir comme ça devant les dames.

Das war eitel Spott und Verdrehung. Denn die Franzosen nehmen sich nicht nur solche Freyheiten vor den Damen, sondern auch noch ganz andre, die eben so grob als unanständig sind. So machen sie sich kein Bedenken, ihre weißen mit Schnupftabak überzogenen Taschentücher herauszuziehen, auf den Fußboden auszus werfen, und ihre Hände vorn auf eine Art zu verbergen, die zu beleidigehd ist, als daß ich sie beschreiben könnte. Dies geschieht in den feinsten Gesellschaften, und von denen, die man unter die artigsten Männer in Frankreich rechnet: kurz, als ich dort war, fah man es allgemein.

(II. 97) Viele neuere Nahmen von Anzügen, Farben und Moden können, wofern man sie nicht für unanständig halten will, gewiß nicht fein genannt werden. Darunter gehören couleur caca du Dauphin; pet-en- l'air; une échelle de rubans merde d'oie. Syrup heißt la merde du Prince d'Orange.

Ein Engländer findet in Paris vieles, das ihm wider den Anstand scheint. Die meisten französischen Damen, wenn sie durch die Straßen gehen, sie mögen schmußig oder trocken seyn, Lassen, wie es scheint, absichtlich ihre Beine, und häufig bis über die Strumpfbånder sehen.

Mannspersonen werden in ihre Anziehstube eingeladen, wo

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