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mag, ihn als grausam zu mißbilligen, so erzeugt er doch eine Seelenstärke, eine Besonnenheit in Gefahr, und eine Unabhängigkeit des Characters, die in dem jeßigen Zustande der bürgerlichen Gesellschaft sehr wohlthätige Wirkungen gehabt hat. Ich spreche von der Vergangenheit, denn ich bin weit entfernt zu raz then, daß es so fortdauern solle. Dinge, die in Einem Zeitabs schnitte der Eivilisation höchst ersprießlich sind, werden in einem audern böchst schädlich.

Diese Kämpfe versammeln insgemein Haufen, und jeder Haufen übernimmt augenblicklich das Schiedsrichteramt und die Vormundschaft der Ehre. Man reißt die Parthenen zum Streite, so lange sie Kraft zu schlagen haben oder stehen köns nen: sobald aber Einer von beyden die Geseße der Ehre übers tritt, sobald Einer schlägt, während der andre noch darnieder liegt, oder wenn er stößt, beißt oder irgend etwas anderes thut, das nicht zum ehrlichen Boren gehört, so legt sich der Pöbel gleich in die Mitte und verachtet ihn als einen Feigen.

(1. 431) Man bemerkt eine Art von Vertraulichkeit zwis fchen einem französischen Soldaten und seinem Offizier, die vielleicht in keinem andern Kriegsdienste anzutreffen ist: er darf . seinen Verstand mehr gebrauchen als andre, und ist weniger ein Sclave, eine Maschine, die nicht denken ode nur siehen und wegsehen darf, es sey denn mit Erlaubniß des Befehlshabers. Wie das Gesinde in Frankreich sich mit dem Herrn oder der Frau streitet, ihr Benehmen mißbilliget und ihnen sagt, wie sie handeln sollten; so pflegt auch ein französischer Soldat über die Vortheile des Lagers und Standorts seine Meinung zu sagen, am Tage des Treffens den Ort zu zeis gen, welcher ihm in Gefahr zu seyn scheint, »und Evolutionen anzurathen, die er für dienlich hält. Und es ist gar nichts. Ungewöhnliches, daß man seinen Rath befolgt und ihn wegen feines Scharfsinnes oder seiner Beberztheit befördert. Wäre der Krieg etwas gutes, so könnte kein Verfahren vernünftiger oder gerechter seyn.

(II. 7) Unter diesen Gaffenrednern traf ich einen an, der grosse Verwunderung in mir erweckte und mir nicht wenig Lirst machte, nicht etwa gänzlich durch seinen Unsinn, sondern

zum Theil durch seine natürlichen Anlagen, durch den Fluß seiner Rede und durch seinen Humor. Dieser Mann war in Gestalt und Anzug verächtlich, klein, und hinkte: er spielte die Geige und ihn begleitete seine Frau, die vorn grosse Taschen hatte, welche mit Eremplaren einer kleinen Flugschrift gefüllt waren: sie verkauften diese beyde zusammen. l'origine et l'antiquité de Paris: par Poirier, dit le boi teux. Revue et augmentée de nouveau par l'auteur. Deux exemplaires ont été fournis à la bibliothèque nationale par l'éditeur.

Der Titel hieß:

Gleich unsrer historischen Ballade auf den Grabmåhlern der Westminster Abtey ist diese Geschichte von Paris in Reis men geschrieben, aber mit Zusäßen und Anmerkungen in ungebundener Rede. Die Stanze geht nach einem alten Volks liede, und unter dem Beystande seiner Geige und seiner Frau fang und sagte er genug, um die Aufmerksamkeit klügerer Leute zu erregen, als die sind, welche in den Pariser Strafsen gewöhnlich zuzuhören pflegen. Ich kaufte sein kleines Büs chelchen, um seinem aufferordentlich grossen Wortfluffe folgen zu können, aber es half mir nichts, denn so wenig beschränkte er sich auf den Tert, daß er lange Erläuterungen, wie es schien, aus dem Stegreife dazu machte, die er aber vermuthe lich alle Tage wiederholte. Ich hörte ihm sehr aufmerksam zu, gieng gleich nach Hause und brachte, soviel als ich mich erinnern konnte, zu Papier: ich rücke hier etwas davon ein. Als er zu einem gewissen Zeitabschnitte in der Geschichte der Stadt kam, fubr er folgendermaßeu fort:

Voilà l'époque quand on a commencé à faire paver les rues mais avec quels matériaux? Avec les diamants? Nou pas il n'y en avoit pas assez pour les dames; quoique les dames de ce vieux tems étoient si belles, si bonnes, et si raisonnables, comme nous apprend l'histoire.

Avec de l'or donc ? A dire la vérité, non; pas même avec de l'argent.

Mais au moins avec du sucre? Non, citoyens; la pluie auroit bientôt défait l'ouvrage.

Nous sommes très - savans maintenant: oh c'est vrai!

Très-savans! Vous sentez cela vous-mêmes, citoyens ; n'est-il pas vrai? Oui, oui; il n'y a pas le moindre doute mais, croyez moi, les gens de ce tems-là avoient assez de bon sens pour faire paver les rues avec des pierres, comme vous les voyez à présent.

Ecoutez moi, citoyens. Quand le soleil fait voyage vers nous, car les astronomes nous apprennent que le soleil est toujours en voyage; eh bien, quand il fait.voyage vers nous, la lumière nous approche, et les tenèbres commencent à disparoître; mais c'est lentement; peu à peu; peu à peu. Or, 'le vieux tems, c'est la matinée; et vous sentez bien à présent, qu'il fait grand jour, de manière que nous sommes bien éclairés.

Il y a des gens qui disent que le soleil de la vérité n'est pas encore lévé; ou qu'il se cache derrière des nues bien épaiffes. D'autres prétendent que la nuit des connoissances humaines commencé à tomber. Décidez: pour moi, j'avoue mon ignorance. Mais pour l'histoire de Paris j'en ai fait l'étude; et je vais vous communiquer quelques unes de mes connoiffances pour vous faire plaifir, citoyens. Allons; chantons. Hier spielte und sang er; hörte aber gleich. wieder auf.

Il est vrai, citoyens, que vous connoissez la rue de votre demeure, la porte cochère de la maison, et le che min que vous devez prendre pour y arriver; et vous croyez que c'est là connoître Paris? Hélas, citoyens, comme vous vous trompez ! Non, ce n'eft seulement qu'une petite connoiffance de nécessité. Pour bien connoftre Paris, il faut faire des recherches; il faut des travaux immenses; il faut étudier et lire, jour et nuit; à la chandelle, si vous en avez; ou à la clarté de la lune, si vos yeux sont assez bons.

Wer hat jemals in den geschäftigen Strassen von London einen Redner, einen Schriftsteller und einen Dichter von so viel Anlagen gehört? die beyden Hauptstädte werden von einem verz schiedenen Geiste beseelt. Zu einem Charakter, wie er so eben beschrieben worden, wird mittheilsame Indolenz erfordert, welche ein Allerley von Kenntnissen herplappert, pappagepmäßig hers

fagt, was sie gelernt hat, und die, wenn das Gedächtniß bes haltsam und der Verstand etwas mehr als mittelmäßig ist, ein sehr betrügliches Gesicht annimmt.

Engländer, die in Paris gewesen sind, machen oft die Bes merkung, daß die niedere Classe der Engländer im geschwinden Fassen und schnellen Antworten dem gemeinen französischen Volke bey weitem nicht gleichkommt. Wenn man dies für Uns gleichheit der Geisteskraft hält, so ist es ein grosser Jrthum: ihr Verstand hat einen abweichenden Hang. Den Franzosen lehrt man von seiner Wiege an schwaßen: den Engländer lehrt man von seiner Wiege an arbeiten; oder er wird gemeiniglich einer von den unternehmenden Räubern, welche die Geissel der Gesellschaft sind.

Auch könnte ein Mensch, der eben so viel Verdienst bes fåffe, als dieser arme herumziehende Poet, wenn er dasselbe Verlangen sich anzustrengen äußerte, in London nicht so unbes rathen bleiben. Weder er selbst noch andre würden seine Tas lente übersehen; es würde sich irgend eine Beschäftigung zeigen, in welcher sie gehörige Aufmunterung und angemessene Belohnung erhalten würden. Man mag in England Leute von Verdienst, ja sogar treffliche Köpfe finden, die in Dunkelheit schmachten: allein die Beyspiele sind selten und ihre Vernach Lässigung entspringt meistentheils aus einem grossen und anstösfigen Mißverhalten, welches nicht viel geringer ist als Laster. Ich spreche nicht von jugendlichen Talenten: diese werden eine Zeitlang vernachlässiget; aber das kommt mehr daher, weil sie nicht genugsam aufgeblühet sind, als weil sie nicht bemerkt werden.

(II. 13) Völker haben ihre auszeichnenden Eitelkeiten wie Personen, und der Reichthum der Nationen wird zur Befries digung derselben erschöpft. Ich spreche nicht von den Schäßen, welche den Regierungen anvertrauet sind, oder von ihnen aufges trieben werden, sondern von dem Gesammtreichthum der Lans desbewohner.

In England ist es glücklicherweise herkömmlich, daß man die Befriedigung der Eitelkeit in beynahe endlosen Forschungen nach dem Nüßlichen sucht: aber selbst hierin kann man zu weit

gehen; die Bequemlichkeiten des Lebens sind so vervielfältiget, daß, wenn auch jede Geräthschaft, jede Vorrichtung ihren Nußen haben mag, die Gränzen der Einfachheit und des ges funden Verstandes überschritten werden, und manche Geräthe selbst zur Last fallen. Die Ersparung der Arbeit wird in den allergeringfügigsten Gegenständen so allgemein aufgemuntert, daß die angewöhnte Thätigkeit erstarrt, und die hoffårthige Trägheit Nahrung erbålt: ein Engländer muß eine Maschine haben, um sich die Arbeit seines Arms zu ersparen, wenn er auch nur einen Propfen ausziehen soll. In dieser, wie in den meisten Angewöhnungen, findet sich ein wuchernder Ueberfluß, aber er gebiert auch unübersehbare Vortheile.

In Frankreich ist gerade die entgegengeseßte Gewohnheit orde nungswidrig: es fehlt an vielen der allergemeinsten Bequemlichkeiten. In einem französischen Hause werden etliche verloren, etliche zerbrochen, andre verlegt und viele hat man nicht angeschaft oder gar nicht daran gedacht. Anstatt des Ueberflusses von Gerás then, woran die Engländer gewöhnt sind, findet man eine so nothwendige Sache als eine Pfefferbüchse ") ist, nur auf wenigen Tafeln; wenn Pfeffer verlangt wird, so bringt man ihn in einer Untertasse, und oft wird er mit dem Daume und dem Zeigefinger auf die Speisen gestreut. Ja man läuft in mancher rechtlichen *) Man sieht an dieser Kleinigkeit, wie die Nationalvorurtheile vers blenden können. In Frankreich, Deutschland und vielleicht auf dem ganzen festen Lande findet man keine Pfefferbüchsen auf den Tafeln, aus der sehr natürlichen Ursache, weil man das Pfeffern der Svei: sen den Köchen und Köchinnen überläßt: nur selten kommt der Fall vor, daß etwas erst auf dem Tische gepfeffert oder nachgevfeffert wird. Also wozu eine Pfefferbüchse? Aber auf den englischen Tay feln ist es ganz anders. Außtern, alle Arten von Fischen und Ge müßen (die bloß in Wasser gekocht werden) kaltes Rindfleisch u. dgl. pfeffert sich jeder selbst nach seinem Geschmack. Die pepperboxes find daher beym Essen einem Engländer so unentbehrlich, als die Salzfässer: auch findet man sie selbst in mittelmäßigen Familien meistens aus purem Silber, oder doch aus geschliffenem Glase. Ja gewöhnlich hat man zwey Pfefferbüchsen, eine für den gewöhnlichen und die andre für Cayennischen Pfeffer. Diese Büchsen find oben durchlöchert. Denn den Pfeffer mit den Fingern auf die Speisen zu freuen, wie Hr. Holcroft in Frankreich sah, ist der englischen Reinlichkeit ein höchft eckelhafter Anblick.

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