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wölbe eines Juweliers, der es so mit Spiegeln ausgesezt hat, daß die Waaren und der Laden nicht nur in Långe und Breite verdoppelt scheinen, sondern auch dermaßen von der Decke zurückgeworfen werden, daß ich das erste mal, da ich vorbeygieng, wirklich glaubte, der Mann hätte ein reiches Waarenlager von Juwelen im ersten Stocke. Als ich nachmals meinen Irthum entdeckte, sah ich in den Laden, um seine wahre Ausdehnung mit den Augen zu messen, und ich fand, daß er etwas grös=" fer sen, als die, welche nach dem allgemeinen kleinen Maasstabe gebaut find, aber nicht sehr geräumig. So fank das Juweliergewölbe, welches dem Anscheine nach das prachtvollste und reichste in der Welt war, zu verhältnißmåßiger Unbedeutenheit herab.

(I. 376.) Viele Menschen in Frankreich, selbst unter dem Pöbel und den Unwissenden, suchen dadurch Verwunderung zu erregen, daß sie sich das Ansehen lis terarischer und wissenschaftlicher Kenntnisse geben. Man verschaffe ihnen nur eine schickliche Gelegenheit und sie blåhen sich mit einem Wortprunk, den man wissenschafts liches Gewäsch nennen möchte. Ich habe dies so oft ges hört, daß mir etliche Beyspiele einfallen.

Eines Abends als ich mich in dem Hause eines Freundes befand, der einen gemeinen Spielmann hatte hohlen lassen, damit die Kinder einen kleinen Tanz has ben möchten, nahm ich des Mannes Geige in die Hand und besah mir sie. Es war eine gedankenlose Regung von Neugierde. Da der Eigenthümer sah, daß ich sie gleich wieder hinlegte, sagte er mit einer sehr ernsthaften Miene zu mir: Ah! Monsieur, j'avoue qu'il ne vaut paş grande chose; car il n'est pas fait d'après les principes mathématiques. Ich erstaunte. Verstehen Sie Mathematik? sagte ich. Comme ça, antwortete

Engl. Miscellen XIV. 3,

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er, je n'ai pas trop poursuit mes études.

Ich that mehe rere Fragen an den Mann und fah mehr aus seinen Antworten als seinem Geständnisse, daß er kaum lesen konnte.

Eines Tages gieng ich durch den Durchgang auf dem Quay des quatre nations. Ich sah dort einen Bettler mit ausnehmend zerfeßten Kleidern eine alte Dame, die an einem Laden stund, anreden; gerade als ich vorbeykam, hörte ich ihn empfindsam ausrufen: Ah, Madame! il n'y a point de philosophie sans argent.

Auf dem pont neuf hörte ich zwey décrotteurs, Schuhe pußer miteinander reden. Einer sagte zum andern: que je suis malheureux! je n'ai pas gagné le sous d'aujourd'hui. Sein Nachbar gab zur Antwort: Eh bien ! Il faut être philosophe, il ne faut pas se plaindre. Bettler und Schuhrußer können vielleicht eben soviel von Philosophie schwaßen und sie vielleicht eben so sehr ausüben, als vornehmere Leute,

In den Champs Elysées gieng ich binter etlichen Handwerkern her und hörte sie über ihre Profession reden. CB was ren Gesellen und unstreitig so unwissend, als solche Leute übers all sind: denn die, welche sich Kenntnisse erwerben, bekommen bald einträglichere Beschäftigungen. Einer von ihnen prahlte zum andern: Oh, j'ai bien fait mes études (solche Ausdrücke sind hier sehr gewöhnlich, selbst unter dem Póbel) je sais mon métier à fond; je me connois en bons principes.

,,Ils sont très nécessaires, aux bons ouvriers."
,,Nécessaires! mais ils sont indispensables."

Das antworteten ihm seine Gesellschafter; und solches Ges schwäß hört man oft unter ihnen. Varbierer, Schneider, Schus ster, ja sogar Schuhpuher, alle haben ihre Studien gemacht; alle verstehen ihr Handwerk à fond, von Grund aus; alle arbeiten nach Grundsäßen. Und doch weiß jeder, der über den Zustand der mechanischen Künste genau unterrichtet ist, wie weit die französischen Handwerker hinter den englischen zurück sind.

Ein mathematischer Instrumentenmacher, der lange bey dem verstorbenen Namsden gearbeitet und viele ausnehmend vollendete, mit Genauigkeit gemachte Sachen verfertiget hatte, kam in Paris zu mir und klagte, daß er dort keine Arbeit fins

den könnte, wie er erwartet hätte, und bat mich, ich möchte ihm doch rathen, was er thun sollte. Mein erster Nath war, daß er nach England zurückgehen sollte, wo seine grosse Ges schicklichkeit bekannt war, und wo vorzüglich geschickte Leute sø viel bester belohnt werden. Ich merkte daß ihn seine Eitel: keit hierher nieb: er wollte die Handwerker in Paris in Erstaus nen sehen, wenn er ihnen ein Stück von seiner Arbeit zeigte, und ich machte die Bemerkung, daß dies möglicherweise nicht so leicht seyn dürfte, als er sich einbilden möchte. O ja, fagte er, es ist leicht genug." Kein Volk, antwortete ich, spricht mehr und sa reibt vielleicht besser über die mechanischen Künste und deren Regelu und Grundfäße, als die Franzosen.,,Sehr richtig, erwiederte er, sie sprechen viel und thun wenig. Ein Engländer spricht nicht viel, aber er bringt seine Arbeit dem Meiner so gut, als er sie versprach, ja wohl gar noch besser.

Ein Freund, der sich ein Haus bauen ließ, bat den Ars chitekten, denn in Frankreich giebt es kein so unwissenschafts liches Handwerk, als ein gemeiner Baumeister ist, er möchte doch ja Єorge tragen, daß die ́ Eamine nicht rauchten. - Der Mann sah ihn befremdet an.

Das, mein Herr, ist nicht meine Sache.

Wie so? nicht Ihre Sache!

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Nein, gewiß nicht: dafür hat der Fumiste zu sorgen (der Echorstein Doctor).

Dieser Mann hatte ohne Zweifel seine Studien gemacht; er war nichts geringeres als ein Architekt; hätte ihn Jemand bes fragt, oder ihm widersprochen, so würde es sich bald gezeigt has ben, wie er sein Gewerbe bis auf den Grund verstand.

(I. 404.) Ihr Leichtsinn erstreckt sich nicht blos auf Dinge, die an sich selbst unbedeutend sind, sondern über den ganzen Ins begriff des Lebens. Bittet man um eine Dienstleistung, so uns tersuchen sie nicht erst gewissenhaft, ob die Sache thunlich oder verstattet ist, sondern versprechen oft unbedachtsamerweise, ohne die geringste Absicht der Erfüllung, doch ohne einen Wunsch zu hintergehen, sondern aus Mangel der angewöhnten Festigkeit, ohne welche die Aufrichtigkeit oft verlegt werden muß. Diesem Leichtsinne sind ihre gute Nahmen, die Ruhe und Sicherheit

ihrer Freunde, Wahrheit und gemeine Ehrlichkeit ausgesetzt. Es fist ein großes Unglück, daß etwas zuzusagen und es nicht zu halten in Frankreich so gewöhnlich ist, daß man die geringste Entschuldigung für befriedigend hålt. Sie nennen das unvers rückte Verfolgen eines Zwecks, welches den Engländern so eis gen ist, leur grand sérieux. Dahingegen dúnkt es uns, daß . sie sich durch das Sprichwort lightly said and lightly done Cleichtsinnig gesagt und leichtsinnig gethan) characterisiren lassen.

Meine Frau kaufte einmal Fische; als sie noch unentschies den war, sagte das Mädchen zu ihr: prenez cela, car votre mari est un brave homme. Meine Frau antwortete: Oui; cela se peut bien: mais comment savez vous qu'il est un brave homme? das Mädchen erwiederte: C'est égal; cela fait plaisir à entendre. Die Marime dieses Mädchens gilt überall in Frankreich, wo ich gewesen bin, für gesunde Sittenlehre.

Unter den kleinlichen, kindischen Gebräuchen hab' ich einen oft mit einem gewissen Grade von Schmerz und Edel wahrge nommen, nehmlich die Menge und Behandlung der Schoos: hunde. Wenn man solche Thiere unterhält, so sollte ihnen nicht übel begegnet werden: aber ist es anständig, sie wie Kins der zu liebkosen, sie zu küßen, und von ihnen die Lippen ihres Herrn oder ihrer Gebieterinn, als ein wechselseitiges Vergnügen, lecken zu lassen? ich habe dergleichen Dinge in England gesehen; aber in Frankreich kann man nicht umhin sie zu sehen. Wenn man in Paris eine Frau mit einem Kinde auf dem Arme ers blickt, so trifft man dafür zehn, oder vielleicht hundert Mannspersonen an, deren jede einen kleinen Hund unter dem Arme hat; oder wenn es auf einem öffentlichen Spaziergange an eis nem schönen Tage ist, so laufen sie hinter her; je kleiner das Thier ist, desto mehr ist es joli und gentil,

An einem Morgen besuchte ich einen angesehenen Franzos sen. Er lag auf dem Sofa ausgestreckt und ihm zur Seite sein Schooshund, den er kámmite und mit dem allerbeklagendsten und beweglichsten Geylårr anredete. Er stand auf, als ich hinein kam, und rief aus:,,Ah, Monsieur, Vous me trouvez bien affligé!" -,,Mais qu'est-il arrivé ?". ,,Mon pauvre chien est si malade! mais si malade! Je viens de lui donner une

pilule; et s'il ne se porte pas mieux demain, il faut que je lui donne un lavement.

(I. 418.) Du Clos behauptet, daß wenn die Franzosen in ihrer Jugend genug nachdächten, und von gewissen Fehlern gez heilt würden, sie das erste Volk in der Welt seyn könnten, weil es selbst mit diesen Fehlern keine Nation gåbe, welche sie überz tráfe. Dies ist diejenige Art von Behauptung, welche jeder Schriftsteller, der über sein Vaterland schreibt, gleichviel was dessen Fehler oder allgemeine Unwissenheit ist, sich gemeiniglich erlaubt, und vielleicht mit Grund der Wahrheit: aber wie hers vorstechend auch die Franzosen unter den Völkern sind, und wie gern ich die Mäßigung dieses Schriftstellers darin nachahmen möchte, daß er keine Ueberlegenheit fordert, so würde es doch verstellte Bescheidenheit, ja es würde schlecht seyn, wenn ich vers heimlichen wollte, was ich für unbezweifelte Wahrheit halte, daß in den Künsten, welche die nüßlichsten sind, in den Sitten, welche die vernünftigsten sind, und in der öffentlichen Regierung und Privat - Ordnung, in der Staatswirthschaft und häuslichen Einrichtung, welche am besten Glück und Zufriedenheit erzeugen können, die Franzosen unglücklicherweise weit hinter den Engländern sind. Könnte ich dies mit Frohlocken sagen, so würde ich mich verachten.

(I. 423) Jeder Versuch, Völker zu verunglimpfen und herabzuwürdigen, ist verrucht: aber ein Gefühl ihrer Irthus mer in ihnen zu erwecken ist ein verdienstvolles Unternehmen. Keiner, der die Folgen des Nationalhasses einsieht, wird ein so schädliches Laster zu vermehren suchen. Unter allen Nationen giebt es viel zu misbilligen, aber noch mehr zu bewundern.

(I. 426) Wenn die gemeinen Leute in England einen Zwies spalt unter einander haben, so sind sie vielleicht das einzige Volk, welches kein Gewehr bey sich trägt, oder nicht daran denkt, welches zu gebrauchen, noch weniger zu verstümmeln oder zu mors den: dennoch sind sie unter allen Völkern am geneigtesten, sich einander herauszufordern und den Streit durch Zweykampf zu beendigen.

Dieser Zweykampf ist zu gleicher Zeit eine Prüfung des Muthes und der Gewandtheit; und wie sehr man auch Recht haben,

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