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viele übrig: ich glaube, wage es aber nicht zu behaupten, daß sie vermindert sind.

Ich kann von zwey Dingen zum Vortheile des je zigen Augenblicks sprechen, ohne zu besorgen, daß ich falsche Vorstellungen veranlasse: die Landleute sind jetzt, im Ganzen genommen, besser gekleidet, als ehedem, und man sieht ihnen, ich will nicht sagen, mehr Aufgewecktheit, sondern ein wenig mehr Geschtheit, und mehr wahren Frohsinu an. Es giebt noch viele Bettler unter ihnen; aber ihre Anzahl ist nicht mehr so groß. Wenn das große und weit ausgedehnte Gemählde von Armuth, ich darf sagen, von Elend, sich nicht ausnehmend verkleinert hat, so muß ich mich sehr irren. Der letzte Tag unsrer Reise war ein Sonntag, und wir sahen zu viele Leute, alte sowohl als junge, die reinlich angezogen waren, und zufriedene Gesichter hatten, als daß diese Zeichen von Gemächlichkeit und besseren Tagen uns entgehen konnten. Die Lumpen, die Armuth, die unruhigen Mienen, die bleiche Farbe, die Gemählde des Elends, die ich vormals gesehen hatte, sind mir unvergeßlich.

(1.137) Die hervorstechendste Revolation, welche man in der Geschichte kennt, hat sich in Frankreich zugetragen; das Volk befindet sich nun unter sehr verschies denen Einflüssen; es werden große Aenderungen daraus entstehen. Wegen des heftigen und weit gefühlten Stofses kann man etliche von diesen Aenderungen bereits sex hen: aber da alte Gewohnheiten hartnäckig sind, und da ein Volk von Erwachsenen nicht auf einmal eine ganz neue Tenk- und Handelsweise annehmen kann, so muß der Fortschritt der Aenderung langsam seyn, weil die entgegenstehenden Hindernisse ungeheuer sind.

(I. 139) Wir speißten in Chantilly. Gönnt mir

einen Augenblick! Ueberlegung ist eine Pflicht. Warum bin ich hier? Die Frage bestürzt. Ich habe Elternpflichten auf mir und muß meiner Familienanhänglichkeit Raum geben: aber der große Zweck meiner Reise ist, ein Bolk, von welchem die Welt seit zwölf Jahren erstaunt worden ist, zu erforschen, und, wo möglich, zu verstehen. Und wer bin ich, daß ich diese Arbeit unternehme? Es ist kein Kunstgriff, keine Rednerblume: nein, so wahr ich ehrlich bin, ich zittre und zage über meine Verwegenheit! Paris, die Stadt, welche über vergangene Zeitalter Gericht hielt, während das gegenwärtige Zeitalter, mit im Urtheile begriffen, angstvoll des Spruches wartete! Paris, dessen Befehle heute die Ausflüsse der Gottheit, morgen die Gesetze und Verord= nungen der Verdammten waren! Paris, dessen Rånke blos die Allwissenheit begreifen und 'blos die Allmacht auseinander wirren konnte! Paris, dessen Kleinigkeitssucht die Thorheit selbst verachtet, während die Weisheit über die Kenntnisse desselben entzückt da steht! Der Welt ein Gemåhlde von Paris geben wollen! Ich muß mich erhohlen.

(I. 143 in Paris) Warum sind Angewöhnungen so hartnäckig? warum nahmen benachbarte Nationen nicht von einander die Gebräuche an, welche Bequemlichkeit und alltäglicher Menschenverstand unfehlbar vorziehen müssen? Ein englisches Wirthshaus ist zur unmittelbaren Gemächlichkeit und Erholung des Reisenden so vortreflich eingerichtet, daß man bey der ersten Ueberle gung erstaunt, warum es nicht in allen Låndern Gast= höfe giebt, die den Englischen gleichen, besonders in Frankreich, mit welchem England so oft in Verbindung und in so naher Berührung ist? In England steigt man von seinem Wagen, wird in ein reines warmes Zimmer

geführt, kann zu essen bestellen, was man am liebsten hat, wird augenblicklich mit einem Stiefelknecht und Pantoffeln bedient, und ein gesundes Bett mit wohl ge= trocknetem Weißzeuge ist in Bereitschaft. Sind seine Bedürfnisse nicht ungewöhnlich, so hat man sie schon alle vorausgesehen.

Seiner Frau und Tochter beweist man gleiche oder noch vorzüglichere Aufmerksamkeit: die höfliche Wir thin oder die reine Magd fragen eilends, was sie thun, und womit sie dienen oder verpflichten können. Den Reisenden wird kein Zwang aufgelegt. Sie sind zu Hause oder wenn ihre Heimath nicht etwan unter die glänzenden gehört, so befinden sie sich noch besser als zu Hause: denn sie haben ein Gefolge, das auf ihre Befehle wartet, dergleichen nur der Reiche unterhalten kann.

Wer in Paris mit seinem eigenen Wagen ankommt, und sich nach diesem oder jenem Hotel fahren läßt, findet vielleicht kein einziges Zimmer ledig, und muß eine andre Herberge aufsuchen. Findet er sie, so steht ihm nur ein sehr kleiner Theil von den Bequemlichkeiten eines englischen Gasthofes zu Gebote: sie müssen erst aus ents legenen Häusern und verschiedenen Straßen zusammenz gesucht werden. Der Reiche kann sich überall einen gewißen Grad von Bequemlichkeit verschaffen: wenn aber ein reicher Mann in Paris die Einkünfte seiner Güter an Einem Abende verthun wollte, so könnte er doch nicht dieselben vorbereiteten und unmittelbaren Erquickungen bekommen, die auf einen Reisenden, der nur fünf Schilz linge in der Tasche hat, in England warten.

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Meine guten Freunde in Frankreich, ihr sagt es dem Universum die Welt ist zu Elein ihr sagt es dem Universum, daß es nur Ein Paris giebt. Ich möchte um Himmels willen nicht euren Zorn auf mich laden,

wenn ich sage, daß es nur Ein London giebt. Ich will euch nicht böse machen, denn ihr habt mich angelächelt; und die Ehre meines Vaterlandes, ja die Ehre meines Herzens gebietet mir, wieder zu lächeln. Ich weiß wohl, ihr werdet mich voll englischer Vorurtheile glaus ben, aber ich bin zu euch gekommen, um das Savoir vivre zu studiren; und ich kenne die Artigkeit, mit welcher ihr immer bereit seyd, Ausländern Lehren zu geben. Wenn sie zugegen sind, versichert ihr, daß sie euch Ehre erzeigen; und ihr habt die Leutseligkeit und Höflichkeit, fie nicht eher auszulachen, als bis sie fort sind. Was die Unbequemlichkeiten eurer Wirthshäuser sowohl als zahllose andre Unbequemlichkeiten anbetrifft, so betrachtet ihr diese in der Fröhlichkeit eures Herzens und mit eis ner euch ganz eigenthümlichkeiten Art als Kleinigkeiten; und wenn der Ausländer das besagte Savoir vivre von euch gelernt haben wird, wird er sie eben dafür halten.

Aber es ist nicht das Geschick aller Menschen, daß fie von eurer Gefälligkeit Vortheil ziehen können. Einige sind zu beschäftigt, andre zu sorglos; einer hat kein Geld, der andre keine Zeit; bey einem fehlt es an Entschlossens heit, bey einem andern an Neugier, und ohne sie frommt die Reise nichts. Der große Haufe muß überall zu Hause bleiben; eingeschränkt in England auf seine Seeumgårs tete Insel entbehrt er ach! wie viel entbehrt er nicht! Qui n'a pas vu Paris n'a rien vu, sagte M. du Hautpas aus ganzem Herzen frohlockend, als er im cul-desac des Babillardes an sein Fenster ging, um das Hemde seiner Frau hereinzunehmen, das er zum Trock nen aufgehangen hatte:

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(I. 148) Sie sollen gleich Betten haben, mein Herr. Sind sie gut?

In Paris giebts keine bessere.

So sind es denn die besten in der Welt.
Das sind sie ohne Zweifel, mein Herr,
Es freut mich, wir werden königlich schlafen,
Verzeihen Sie mir, mein Herr: das kann nicht ge=
schehen. Niemand schläft königlich in Frankreich.
Wåren Sie vor der Revolution gekommen
Aha! Sie scherzen gern.

Niemand wird dadurch beeinträchtiget, mein Herr.
Alle Leute in Paris sind so.

Dann besitzt Jedermann wenigstens in dem Grade Weisheit.

Hier die Treppe herauf, meine Damen; ganz am Ende dieses Ganges. Die Zimmer sind prächtig! Prächtig nennen Sie sie?

In diesem hier, sehen Sie, mein Herr, ist Plat für das Bett und einen Stuhl; und das andre ist groß genug für Ihre Nachtsachen und Haus benschachtel.

In Wahrheit prächtig. Aber wo sind die Betts tücher ?

Ich will sie gleich bringen.

Warum kommt Ihre Frau nicht damit?

Ich erspare meiner Frau allezeit diese Mühe.
Da haben Sie wieder Recht: es giebt keine Ehes
månner in der Welt, die so höflich wären, als
die französischen.

Meine Frau kehrt den Hof: ich kehre die Stuben.
Wirklich! Ihre eheliche Artigkeit ist größer, als
ich mir vorstellte.

Sie wissen, mein Herr, jeder muß seines Amtes

warten. .

Glaubst du etwan, ungeduldiger Leser, daß die Laken binnen einer halben Stunde auf dem Bett und alles in

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