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Englischer Kunstfleiß

Wenn man einen Engländer fragte, ob es denn Grund habe, daß der Lurus in seinem Vaterlande so. schnelle Fortschritte mache, so würde er vielleicht antworten, er könne das eben nicht sagen, ihm scheine das Meiste ziemlich so zu seyn, wie vor dreyßig Jahren. Obschon das Gegentheil sich leicht erweisen läßt, würde der Mann dennoch geantwortet haben, wie er es meynt. Denn die Vervielfältigung und Verfeinerung aller Artis kel des Kunstfleißes geschieht nur allmåhlig und ist das her, wie alle Dinge die unter unsern Augen wachsen, kaum bemerkbar. Håtten die Erzeugnisse der mechanis schen Künste die Aufmerksamkeit der Schreibewelt eben so sehr beschäftiget als hundert andere nicht viel wichti gere Dinge, so würde man sich wundern, wie viel kleine Stufen von einer beträchtlichen Verbesserung zur ans dern führen, und wie zahlreich die Personen sind, denen wir die verhältnißmäßige Vollkommenheit aller Bedürf nisse des täglichen Lebens verdanken. In Låndern, wo Handel und Gewerbe blühen, werden die Handwerker durch den schnellen Absaz ihrer Producte fortwährend. zu Aenderungen ah denselben aufgemuntert, welche ihs nen bald das Nachdenken, bald der Zufall, bald ein Bedürfniß der laufenden Zeit an die Hand giebt. Aber unaufhörlich wächst der ungeheure Baum fort, und wer es der Mühe werth hålt, die einzelnen Absätze, so wie sie hervorsproßen, zu betrachten, wird desto leichter ganze Zweige übersehen können. So hat der englische Kunsts fleiß seit Kurzem an den Schuhen zivey Aenderungen vors genommen, die an sich nicht viel bedeuten megen, aber Engl. Miscellen XIV. 3.

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, dennoch in der Geschichte dieses Theils der menschlichen Thätigkeit eine Stelle verdienen.

Die englischen Schuster behaupten, daß man ihnen in andern Låndern nicht gleich arbeiten könne., Auch begehrt man ihnen dies nirgends leicht abzusprechen, außer in Paris. Während des kurzen Friedens, wo so viele Engländer hinüber reisten, ist die Vergleichung sehr oft angestellt worden. Man hat aber allemal, wenige stens in London, die Pariser Schuhe und Stiefeln in jeder Rücksicht unter den englischen befunden; kein Englånder, der aus Frankreich zurück kam, mochte die fremden Schuhe hier tragen. Wird hierdurch etwa die Geschicklichkeit des Pariser Schusters geläugnet? Nein, vielleicht würde er unter gleich günstigen Umstånden eben so viel, oder noch mehr leisten: aber es mangelt ihm an dem unvergleichlich zubereiteten Leder der Engländer und er ist dem großen Nachtheil unterworfen, welcher sowohl in Frankreich als in andern Ländern die Fortschritte der Manufacturen hindert, daß man dort noch immer die Theilung der Arbeit *) vernachläßiget. Beyde Umstånde haben den englischen Schuhen und Stiefeln schon seit langer Zeit den Vorrang zugesichert. Ein neuer Anspruch darauf ist, daß die Londner Schuhe nun auch die Critik des Arztes aushalten. Unter allen Barbareyen der Mode in den verflossenen zehen Jahren war keine ungesunder, widernatürlicher und lächerlicher, als die Schnabelschuhe der jungen Männerwelt. Unsere Våter und Ahnen trugen auch gern knappe und schliessende Schus he, wobey es nicht ohne Hühneraugen abgehen konnte: *) Man sehe hierüber das claßische Werk des Hrn. Hofraths Lüder über National - Industrie und Staatswirthschaft : zu Anfange des isten Theils, und die von ihm angeführten Schriftsteller Archenholz, Küttner, Smith, Büsch 26.

aber die Thorheit und Unnatur so weit zu treiben, daß die sämmtlichen Zehen durch scharfe Schnåbel an den Schuhen, fast wie bey den Chineserinnen, zusammenges preßt und folglich mit Leichdörnern bedeckt wurden, das war unserm erleuchteten Zeitalter aufbehalten, welchem hierin Paris die Fackel seines Beyspiels vortrug. Die englischen Stußer wichen în dieser Selbstquaal den Paris fern im mindesten nicht. Doch führte diese marternde Mode, gleich als sie unter den Engländern in den Gang kam, dadurch eine kleine Linderung bey sich, daß man ziemlich allgemein für jeden Fuß einen eigends angemesse= nen Schuh trug. Nicht lange, so begannen die Vors nehmeren unter den jungen Englåndern die Thorheit der Schnabelschuhe einzusehen und die Spitzen derselben abz zustumpfen. Diese vernünftige Aenderung fand nach und nach so viel Freunde, daß man jetzt endlich die Vorders theile der Schuhe völlig nach der jedesmaligen Weite der Zehen zuschneidet; und da, wie gedacht, jeder Fuß seiz nen unvertauschbaren Schuh bekommt, so hat man sich. vielleicht in England noch nie so bequem beschuhet, als jezt, wo es Männern und Frauen keine Schande mehr. ist, Füße von einer Gestalt zu haben, wie sie die liebe Natur gab....

Die zweyte Aenderung ist eine bloße Geburt des Lurus. Sie giebt aber dem Mannsschuh das saubere,† zarte Ansehn der Frauensschuhe.. Långst fütterte man die ersteren in England mit weißem, gelbem oder grünem Glanzleder, aber immer etwas nachläßig, so daß der Fuß des seidenen Strumpfes doch nicht ganz ohne Schmuz blieb. Jetzt nimmt man zu diesem Fütter für die Staatss schuhe der Mannspersonen feines himmelblaues Urlass leber, von welchem der Strumpf keinen Lederfleck bekoms men kann. Ein englischer Schuh war, seiner Bollens

bung wegen, schön vorher ein überaus saubres Stück Arbeit, das man in die Hand nehmen konnte, ohne an den Fingern Flecke oder den widrigen Ledergeruch zu besi forgen: nun aber hat er durch das neue Futter eine Feinheit erhalten, die ihn zu einer Stelle auf dem Puztische des Stußers neben dem gestickten Galakleide berechtiget, da man ihm vorher meistens den Fußboden anwieß. Ein Bret mit solchen Schuhen empfiehlt sich den Vorüberge henden durch einen auffallenden Anblick: himmelblaú schien bisher, besonders in England, eine viel zu leb hafte Farbe, als daß eine Mannsperson sie hätte tragen mögen; auch hatte bis jeßt das Atlasleder ausschliessend dem Pütze der Frauenzimmer zugehört, aber ein großer, Schuhmacher in Pantonstreet, Haymarket, zeigt nun feinen Handwerksgenossen, daß es wenigstens zur innern Verzierung der Schuhe sehr füglich gebraucht werden kann. Der englische Kunstfleiß versteht es, wie man: fieht, selbst bey solchen Artikeln, wo es nicht erwartet wurde, eine anziehende. Außenseite mit wesentlicher Güte des Stoffs, Nuzbarkeit der Sache und Vollendung der Arbeit zu verbinden.

Man wird aus den nachstehenden Reisebemerkungen des H. Holcroft sehen, daß wir Deutschen, selbst nach dem Zeugnisse der Engländer, ihren göttlichen Shakes spear' unter allen Ausländern am besten verstehen. Wenn also die Britten diesen Dichter ohne Ausnahme den ersten nennen, der je gelebt hat, so wird es den Deutschen, ges sezt auch, sie wollten diese Behauptung nicht ganz gelten laffen, wenigstens erklärlicher seyn, als den Frans Fosen, warum die Achtung des Shakespeare in England, gür Verehrung und die Verehrung endlich zur Vergöts terung geworden ist. Um sich einen rechten Begriff da=! son: machen zu können, muß man lange mitten unter

den Engländern gelebt haben. Aber der Auswärtige bedenke nur, daß sechs bis sieben Ausgaben des Shakespeare von verschiedenen Würden und Preisen, jetzt in vollem Absatze sind und gut gehen! Die lezte große Ausgabe von Shaoc Need hat ein und zwanzig Bånde. *). Da nun die alten Ausgaben und Auflagen doch größtentheils in den Händen verschiedener Leser bleiben, so kann man sich vorstellen, wie viele Personen in dem brittischen Reiche und den beyden Indien Eremplare besitzen müßfen! Einen kleinen Nebenbeweiß von der wachsenden Liebe zu Shakespear liefern die Londner Buchbinder.. Sie bekommen so unabläßig Exemplare pes großen Nationaldichters in Prachtbände zu binden, daß sie glaubs ten, es sey nun endlich Zeit, dem Shakespear auch ́in diesem ihrem kleinen Fache des Kunstfleißes zu huldigen. Eie liessen eigene Stempel mit Shakespears ziemlich Ehnlichen Bildnisse stechen und auf allen nur erträglich guten Einbanden des Dichters erblickt man nun auf dem Rücken ganz über dem reichverzierten Titel das Portrait desselben. Dies ist der neueste Lurus in den Bänden, welcher gewiß in Kurzem auf alle Werke solcher Nationalschriftsteller übergehen wird, die jeder liest. In ein paar Jahrzehenden wird man dann in jedem englischen Büchersaale an den Portraits auf den Rücken der Bü cher sehen können, wo der Milton, Addison, Thomson u. s. w. steht, und der, der mit der englischen Literge tur nicht vertraut ist, wird an diesen Bildnissen gleich

*) Er hat in der Vorrede die Zusäße angegeben, welche diese neue Ausgabe von Johnson und Steevens (die funfte 1803. zu haben bey allen Londner Buchhändlern) erhalten hat. Sie bestehen sowohl aus einem berichtigten Terte als ans neuen Anmerkungen, einem bessern Bildnisse des Dichters c. Preis eilf Pfund.

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