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che unser Dichter zuerst sah, und dies die Personen, mit denen er während seiner Kinderjahre in Verbindung stand.

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(Die Gelehrsamkeit hatte im vierzehnten Jahrhundert, wo Chaucer blühete, mit manchen Nachtheilen zu kämpfen. Man muste noch alle Bücher durch Abschrif ten vervielfältigen, und der Despotismus des påpsilichen Aberglaubens ging über alle Begriffe.) Außerdem gab es ein zufälliges Hinderniß in England, welches mächtig mitwirkte, den Wachsthum der englischen Literatur nieder zu halten. Dies war der Zustand der englischen Sprache. Als Wilhelm der Normann auf den Thron stieg, brachte er eine Menge französischer Edeln mit, und es war unter ihm sowohl als unter seinen unmittel baren Nachfolgern Staatsklugheit, die vorherigen Eins wohner der Insel mit starker Hand und ohne Erbarmen zu unterdrücken. Wilhelm besaß große und wichtige Bes zirke in Frankreich, die unter Heinrich II. erweitert wurs den. Sehr viele Adliche unter diesen Fürsten waren aus Frankreich gebürtig, und die mehresten von denen, bey welchen dies nicht galt, waren doch dort begåtert. Da fie sowohl untereinander als mit ihren Nachbarn auf dem festen Lande einen Verkehr unterhielten, und die Rohheit und Barbaren des sächsischen Stammes verachteten, so sank die einheimische Sprache der Insel in Ver= nachläßigung und Geringschätzung. Wenig Adliche oder hohe Geistliche waren im Stande, sich über die gemeins ften Sachen auf Englisch auszudrücken. Unsre Geseße unsre gerichtlichen Reden, unsre Ueberlegungen im Parlamente und unsre Testamente waren alle französisch. Sogar die Schulknaben musten die Redensarten der las teinischen Schriftsteller in diese Sprache überseßen. Die Fürsten der normånnischen Linie, welche etwa noch die Gelehrsamkeit förderten, hatten keinen Begriff von einer.

Literatur, die nicht lateinisch oder französisch war. Die Sprache, welche, ihren wesentlichen Theilen nach, diefelbe ist, die durch Shakespear, Bacon und Milton Unfterblichkeit erlangt hat, wurde jezt mit gänzlicher Erlöschung bedrohet.

Man kann den Ton der Sitten und Volksgesinnung in diesen frühen Zeiten nicht ganz beurtheilen, wenn man das Narrenfest, das Eselsfest 2c. übergeht, die an bestimmten Tagen gehörig begangen, und von dem Volke in England und den benachbarten Låndern mit besonderer Vorliebe beybehalten wurden. Die Ungebührlichkeiten, welche man bey solchen Gelegenheiten vornahm, müssen bey den Leseru der gegenwärtigen Zeit außerordentliches. Staunen erregen, und sich unsrer Einbildungskraft in desto grelleren Farben darstellen, da zwischen ihnen und den feyerlichsten Gebrauchen der Landesreligion eine wun derliche und ausschweifende Verbindung statt fand. Diese Festlichkeiten hatten etwas von der Form dramatischer Vorstellungen in sich.

Jedes Jahr, so oft das Narrenfest wiederkehrte, bez gann man die Cerimonie damit, daß man einen Narrenz papst oder Narrenprålaten erwählte. Diesem vornehmen Geistlichen wurde ein angemessenes Gefolge zugetheilt, welches in einem Conclave oder Capitel seines eigenen Ore dens bestand. Geistliche und Laien, Reiche und Arme,: fchloßen sich ohne Unterschied an den poßenhaften lårmenden Zug. Die, welche ihn bildeten, waren auf das låcherlichste angethan; etliche hatten Larven, andre hatten ihre Gesichter so bemahlt, daß sie gråßlich aussahen und noch andre waren wie Frauen gekleidet, während sie sich allerley muthwillige ungeziemende Geberdungen erlaub= ten. So vorbereitet zogen sie nach der Cathedrale oder Hauptkirche, welche sie in Besitz nahmen: mittlerweile

las der Narrenbischoff, mit einem geistlichen Ornate bes kleidet, Messe, und gab der Gemeinde seinen Segen. Die Andacht wurde von Zeit zu Zeit durch Anstimmung unzüchtiger Gesänge unterbrochen; und etliche Untergebene spielten mit Würfeln auf dem Altar, indem andre das heilige Nachtmahl feyerten. Ein andrer Theil der Cerimonie war der, daß man auf einer besonders errich teten Bühne den Vorsänger der Narren, vermuthlich nach Mönchsart, beschwor: während`es verrichtet wurde, ers götte er die Zuschauer mit abgeschmackten Gebehrden und Verdrehungen, und unzüchtigen Spåßen. Man warf sich dann Unrath und todte Thiere zu, wie auch den Hauptpersonen der Cerimonie und den Zuhörern ins Ge ficht. Nachdem der Bischoff die Kirche verlassen hatte, zog man ihn auf einem offenen Wagen durch die verschies denen Straßen der Stadt und der Umgang wurde überall mit geräuschvoller Neckung, mit Jubilieren und Freude empfangen.

Das Eselsfest war in einigen Umständen von dem Narrenfeste verschieden. Ein hölzerner Esel, in welchem fich ein Sprecher befand, war mitten im Zuge. Auf diesem Esel saß Balaam mit einem unermeßlichen Paar Sporen und sonst noch auf das poßirlichste gekleidet. Der Engel mußte erscheinen, der Esel unbarmherzig geschlagen werden und zuleht sich von fernerer Züchtigung durch die Würde und Eindringlichkeit seiner Gegenvorstellungen retten. Die wundervolle Bestie mußte dann im Triumpf aufgeführt werden, zur Erinnerung an den ausgezeichneten Sieg, den er über den unheiligen Propheten erhalten hatte. Es fand sich dabey die ganze Genossenschaft der alten Patriarchen ein, um dieses neue Mittel der Eingebung zu beehren. Sechs Juden und sechs Heiden, welche lehteren den Dichter Virgil unter sich hatten,

machten einen Theil seines Gefolges aus. So wie der Zug fortrückte, sangen diese Personen gewisse Gebete ab, und sprachen, jeder nach seinem Character, von der Geburt und dem Reiche Christi. Endlich gelangten sie in die Kirche, wo Messe gelesen wurde, wie am Narrenfeste, und zu Ende eines jeden Verses fielen die Zuhdrer chors måßig mit einem melodidsen Eselsgeschrey ein, um die Stimme des Thieres nachzuahmen, dessen Wunderthat fie feyerten.

Die Plumpheit, der grobe Spaß und die Anstdßig, keit, welche sich bey solchen Gelegenheiten zeigten, sind wesentliche Züge in dem Character unsrer Ahnen während dieser frühen Zeitalter. Geschichtschreiber, die aus übelverstandenem Zartgefühl dieselben unterdrücken, erfüllen keineswegs die Pflicht, zu welcher sie sich übereilt und unüberlegt verbindlich gemacht haben, und laufen Gez fahr, alle Begebenheiten unschmackhaft und alle Zeital= ter einerley zu mahlen. Kunstrichter, welche sich an diese Züge nicht erinnern, sind keineswegs im Stande, unsern alten Dichtern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und werden oft geneigt seyn, die platten und anstößigen Stellen derselben für Fehler zu erklären, da sie hingegen, wenn sie alles in Erwägung zögen, die Männer bewundern würden, welche unter so großer Rohheit und so herrschens dem Geschmack, die Reinheit ihrer Gedanken in einem so hohen Grade bewahrten.

Nichts zeichnet diese frühen Zeiten mehr aus, als der glänzende Fuß, auf welchen Personen von königli chem Geblüt und adelichem Geschlecht besonders an großen und feyerlichen Festen lebten. Man kann sich hiervon einen Begriff aus dem so merkwürdigen Ueberreste alter Gastfreundschaftlichkeit, der Westminsterhalle, machen, welche, wie Stow in seinen Annalen erzählt, von Wila

helm Rufus erbaut und zu seinem Speisesgal bestimmt wurde. Unter der Regierung Edwards II. übergab der åltere Hugo Le Despenser dem Parlamente eine Bittschrift, worin er flagt, daß ihm seine Feinde folgenden Mundvorrath gestohlen håtten: sechshundert Speckschweine, achtzig abgeschlachtete Rinder, und sechshundert Schaafe. Man hat noch eine Rechnung von dem, was Thomas Graf von Lancaster, Enkel Heinrichs III. in einem Jahre, 1313, verthat. Aus derselben erhellt, daß er blos für seinen Haushalt eine Summe bezahlte, welche nach jetziger Währung 109,653 Pf. Sterl. ausmachen würde. In dieser Rechnung stehen über ein hundert und vier und achtzig Tonnen, oder drey hundert und acht und sechzig Pipen Wein, wovon ihn jedoch die Pipe noch nicht völlig fünf Schillinge, acht Pence, oder nach jeßigem Werthe 4 Pf. 5 Schill. kostete. Unter der Regierung Richards II. speißten alle Tage zehntausend Personen in der königlichen Haushaltung (f. Stow, survey of London und Anderson on Commerce sub anno.) und von Richard, Grafen von Warwick, dem Königmacher, erzählt man, sein Gefolge sey so zahlreich gewesen, wenn er nach London gekommen, daß selbiges oft sechs Ochsen zum Frühs stück verzehrt habe. (I. S. 104.)

Ein Zug, der zu dem Gemälde dieser Zeiten gehört, find die verwegenen Räubereyen. Die englischen Påchter der damaligen Zeit waren alle vortrefliche Bogenschützen. Indeß hatten die Normånnischen Könige. wegen ihrer Jagdliebhaberen ungebührlich scharfe Jagdgesetze eingeführt, und die Versuchung, sie zu übertrea ten, war außerordentlich stark. Diese Umstände era zeugten nothwendigerweise eine sich immer erneuernde Menge von Geachteten, besonders unter denen, welche die besten Schüßen waren. Unter sie gehörte Robin

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