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Was näher das Verhältniss der practischen Klugheit zur selbstthätigen Vernunft dem Principienverstande anbetrifft, so beziehen wir uns zur Characteristik der schöpferischen Thätigkeit des Dichters, wie dieselbe im Drama Hamlet dargelegt wird, schliesslich zur Ergänzung der vorstehenden Bemerkungen, auf folgende Erörterung über die logischen Tugenden nach Auffassung des Aristoteles, wie dieselbe von Biese a. a. O. II. 363 gegeben wird.

,,Die Gerechtigkeit ist diejenige Tugend, in welcher das handelnde Subject sich nicht mehr als dieser einzelne particuläre Wille durch Triebe und Leidenschaften bestimmen lässt, sondern in eine wesentliche Beziehung tritt zu den allgemein gültigen Bestimmungen, wie sie der denkenden Vernunft angehören. Mit dem Triebe nach Ehre geht schon der Einzelne aus seiner Selbstsucht heraus und lässt sich leiten von den höheren Trieben des geselligen Lebens. Mit dem Triebe nach Recht tritt er aber ganz aus der Sphäre des vernunftlosen Theils der Seele in die dem Denken und der Vernunft angehörige Thätigkeit des Geistes; denn der Mensch als solcher, wie er seinem Begriff entsprechend ist, will nicht mehr den Andern gegenüber von der Willkühr abhängen, sondern findet in den ihn umgebenden Lebensverhältnissen

bestimmt sein dürften. Derselbe bekundet ein Erfassen der Zeit durch den Gedanken und setzt Vergangenheit und Zukunft mit dem »Jetzt«, seiner gegenwärtigen Thätigkeit, in Verbindung. Es offenbart sich in seiner der Materie immanenten tragischen Thätigkeit das Wesen des Mittelbegriffs. »Das Jetzt wird das Princip der Zeit genannt den tov xoóvov. In Phys. 4, 13 zeigt Arist. wie das Jetzt die Stetigkeit der Zeit erzeugt, indem es die zukünftige mit der vergangenen Zeit verknüpft, und in einer solchen Vereinigung von zwei Begriffsmomeuten besteht ja das Wesen des Mittelbegriffs.« Biese I. 304. Änmk. 3. Die Bezeichnung des Grabmachens (wie dies das Geschäft des Tragikers ist) in dem zweiten Räthsel, als eines Bauens von Häusern die bis zum jüngsten Tage ständen,

in welcher Bezeichnung zugleich der dichterische Zweckbegriff und Endzweck angedeutet ist findet ihre Erklärung in der Characterisirung der Künste, die auf die höheren Zwecke und den absoluten Endzweck gerichtet sind, als architectonische Künste (Nic. Eth. I. 1, VI. 7 § 7, vgl. Poet. 19, 4-5) von Seiten des Aristoteles. Auf den absoluten Endzweck, das Zumbewusstseinkommen des Gedankens des göttlichen Denkens, bezieht sich das Drama Hamlet und denkt der Dichter in demselben sich selbst als schöpferisches Princip, zum Zwecke der Immortalisation. Mit der Verewigung durch die »architectonische« Kunst, steht auch die Hamlet'sche Bemerkung Act III, S. 2, kurz vor Aufführung des secundairen Schauspiels, über das Bauen von Kirchen in Verbindung. Sowohl diese Bemerkung (nebst der derselben vorausgehenden Andeutung, dass wenn auch immer der Teufel schwarz trage, so wolle er doch auch eine schwarze Tracht haben) als das nachfolgende Schauspiel, bezieht sich auf den Hamlet'schen Vater, den Geist, dessen Anundfürsichsein wiederum mit der Verwircklichung der Idee vermittelst des Begriffs der Negation (Sinnbild das Schwarze), wie diese durch die Vergiftung in dem secundairen Schauspiel durch die Mitternachtskräuter versinnbildlicht wird, in nächstem Zusammenhange steht.

nur insofern Befriedigung, als er das Allgemeine als Bestimmungsgrund für das Handelnde anerkannt sieht. Dies Allgemeine gehört aber dem Denken an und der Trieb, dasselbe sich denkend anzueignen, ist der Wissenstrieb.

Zum Gegenstand hat dieser Trieb die Erkenntniss der Welt in ihren ewigen, unveränderlichen Formbestimmungen; insofern aber das praktische Bedürfniss hinzutritt, bezieht er sich auf das Veränderliche der menschlichen Lebenszustände, und um in diesen den praktischen Zweck mit Bewusstsein zu verfolgen, ist das Streben gerichtet auf die Erkenntniss sowohl der praktischen Lebenszwecke, als auch auf die dazu führenden Mittel, um im Handeln tüchtig zu sein. Hier tritt die reflectirende Thätigkeit ein, welche dem Verstande angehörig, sich mit den wechselnden Lebenszuständen beschäftigt; die Vollendung, deren diese Thätigkeit fähig ist, stellt sich als praktische Klugheit (górnols) dar, als diejenige Tugend des Verstandes, welche wie das Auge der Seele (oupa tis vxis) auf die Realisirung des Guten gerichtet ist. Durch sie ist nemlich die richtige Erkenntniss des dem Menschen erreichbaren Guten vermittelt, und insofern sie in den mannigfaltigen Trieben der vernunftlosen Thätigkeit der Seele die Mitte bestimmt und sie zu Tugenden erhebt, ist sie die Eine Tugend, mit welcher alle übrigen gesetzt sind*), und somit die innerste bewegende Formbestimmung derselben, so dass durch dieselbe die ethischen Tugenden in einem inneren Zusammenhang stehen und nicht vereinzelt und losgerissen von

*) »Da viele natürliche Triebe zu sittlichen Eigenschaften veredelt werden können, so giebt es von Natur viele Tugenden; insofern aber auf der praktischen Klugheit erst die wahrhafte Erkenntniss des Guten beruht, so finden die einzelnen Tugenden in dieser ihre Einheit und durch sie ist die vollkommene Tugend begründet. Was nun im sittlichen Handeln um des guten Zwecks willen geschieht, ist das Werk dieser Einen Tugend; überhaupt aber die zum Zwecke führenden Mittel zu treffen, ist das Werk der Geschicklichkeit (déwórns), die als ein Vermögen auf das Gute und Schlechte gerichtet sein kann, und bei schlechtem Zwecke zur höchsten Schlechtigkeit (navovoyía) wird. Ein solches Vermögen ist nun die Klugheit nicht, aber auch nicht ohne dasselbe; als Fertigkeit gestaltet sie sich in diesem Seelenblick nicht ohne Tugend, und da sie nur auf das Gute gerichtet ist, und somit die Principien für die Handlung aufstellt, so beruht auf ihr besonders das Schlussverfahren für das praktische Leben; denn von dem guten Zwecke geht sie als allgemeinem Grundsatz aus und bezieht darauf im Untersatze das Einzelne, welches die zum Zwecke führenden Mittel enthält, so dass hieraus mit vollem Bewusstsein der Entschluss zur Handlung hervorgeht.<< Biese a, a, O. II. S. 243. Cfr. Ethik VI. 13.

Jene Deinótes (dɛwóīns) ist (nach Stahr Ethik S. 224, Anmk. 5) die gewaltige, das gewöhnliche Maass übersteigende Befähigung eines Menschen, die sich im Guten wie im Bösen bethätigen kann. Der geehrte Commentator der Ethik deutet bei dieser Gelegenheit unter Anderem auf Shakespeare hin.

einander sind. In dieser die Triebe und Leidenschaften beherrschenden Tugend des Verstandes offenbart sich die höhere Vernunftthätigkeit des Geistes, welche als im qualitativem Gegensatz zu dem vernunftlosen Theil der Seele stehend, die ethischen Tugenden zu qualitativen Eigenschaften erhebt. In dem guten Vorsatz stimmt Trieb und Vernunft mit einander überein, und ein solches vorsätzliches Handeln ist theils die zur Wirklichkeit strebende Vernunft, theils der mit Ueberlegung verbundene Trieb. Es ist daher die Vernunft, welche sich vermittelst der praktischen Klugheit in dem Einzelnen und Besonderen als Grund und Princip, und zugleich auch als Endzweck verwirklicht.

Die praktische Klugheit giebt sich unter dieser Leitung der Vernunft als eine concrete Einheit des Allgemeinen und Besondern zu erkennen, und enthält in sich als Momente die Tugenden des Verstandes, durch welche das Gute sich sowohl in dem Einzelnen als auch in den verschiedenen Kreisen des Lebens realisirt." Die logischen Tugenden ergeben sich „je nachdem man das Besondere oder das Allgemeine für sich festhält. Sie stellen sich dar theils als Einsicht in der richtigen Beurtheilung einzelner Fälle, theils als Verständlichkeit in der schnellen Auffassung des Zwecks, theils als Wohlberathenheit in der Wahl der besten Mittel für die Erreichung eines guten Zwecks. Die praktische Klugheit bleibt auf die Endlichkeit der Triebe und überhaupt auf die ver änderlichen Zustände der äussern Erscheinungswelt beschränkt: da aber in der Regelung und Anordnung derselben die Vernunft sich als die übergreifende Einheit offenbart, so schreitet das Denken weiter dazu fort, die Principien der Vernunft, die ewigen unveränderlichen Bestimmungen zu erkennen, wie sie sich in ihrer reinen Allgemeinheit gestalten. Dies theoretische Erkennen, dies Denken der Principien ist die beste der vorzüglichsten Thätigkeit des Geistes angehörige Tugend, sie ist Weisheit,*) für welche die praktische Klugheit insofern förderlich ist, als sie Maass und Ordnung in den leidenden Seelenzuständen erhält, und die denkende selbst

*) Das Drama Hamlet »die grösste Erscheinung der neueren Dichtung« (nach Gervinus), ist bekanntlich immer für eine »Fundgrube der tiefsinnigsten Weisheit« erklärt worden (cfr. Gervinus »Shakespeare<< II. 96. I. 14). Es ist dasselbe eines der grössten Werke des schöpferischen Geistes des Menschen, das eigenthümliche Werk« Shakespeare's und in Verbindung mit den Sonetten die Erkenntnissquelle seiner ganzen schöpferischen Thätigkeit, wovon der geehrte Commentator, nach seinen Bemerkungen (a. a. O. II, S. 111) über die Figuration Hamlet, eine Ahnung scheint gehabt zu haben.

thätige Vernunft unabhängig macht von dem Endlichen, damit sie das ihr eigenthümliche Werk vollbringe, und in dem Ewigen, Unveränderlichen, in der Anschauung des an und für sich Wahren lebe, in welcher der Mensch der höchsten Seligkeit theilhaftig wird.*) Doch der Besitz dieser vollendetsten Tugend ist nur wenigen Menschen beschieden, und geht über das praktische Gebiet hinaus, welches sich auf das allen Menschen erreichbare Gut beschränkt. Dies Gut findet an den ethischen Tugenden einen festen Haltpunkt, in welchen sowohl das Uebermaass als auch das Mangelhafte der Triebe überwunden ist, so dass diese widerstandslos sind gegen die Forderungen der Vernunft. Diese Unabhängigkeit von den Trieben wird durch die praktische Klugheit bewirkt, welche mit Sicherheit und mit vollem Bewusstsein das Gute ungestört und ununterbrochen ausübt."

*) Vgl. oben pag. 25.

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Wahrnehmung

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Empfindung

Vorstellung und Bewusstsein (Sinnlichkeit und Denken); — Aufnahme des Gedankens vermittelst der reproductiven Einbildungskra (gavraola).

*) In Beziehung auf die Art und Weise der Entwickelung des Begriffs von Seiten des Dichters im Drama Hamlet, erlauben wir uns an die Worte des Aristoteles bei Gelegenheit der Entwickelung des Begriffs des Guten in der Morallehre zu erinnern, auf welche wir uns auch vielleicht in Hinsicht auf Beurtheilung unserer Analyse beziehen dürfen. Der Philosoph sagt (Nic. Eth. I. 7) in Anschluss an die oben (pag. 139) citirten Ausführungen: »Begnügen wir uns zunächst mit diesen Umrisslinien de Begriffs des Guten, denn ich meine, wir müssen dasselbe zuerst in dr Umrisszeichnung entwerfen, und es dann später weiter ausmalen. Der man darf mit Fug behaupten, der Erste Beste sei im Stande, das was in Entwurfe und Umrisse richtig und gut angegeben ist, weiter auszuführen und im Einzelnen durchzuführen, und die Zeit sei bei solcher zweiten Arbeit eine gute Finderin oder Helferin. Dies ist auch die Quelle aller Fortschritte in den Künsten. Denn zu ergänzen was fehlt, ist der Erste Beste im Stande. Auch muss man sich an das was ich früher gesagt habe erinnern, und nicht bei allen Materien die gleiche philosophische Strenge der Darstellung verlangen, sondern bei jeder einzelnen nur nach Maassgabe der Natur des behandelten Gegenstandes und soweit als es sich mit der Methode der vorgetragenen Wissenschaft verträgt. auch der Zimmermann und der Geometer die gerade Linie, jeder auf verschiedene Weise: der eine, soweit er sie für sein Werk braucht, während der andere ihr Wesen oder ihre Eigenschaften ermitteln will, denn sein alleiniges Interesse ist die Wahrheit. In dieser Weise muss man nun auch in den andern Dingen verfahren, damit nicht die Nebensachen den Hauptsachen über den Kopf wachsen. So muss man denn auch nicht in allen Materien auf gleiche Weise die ursächliche Begründung verlangen, vielmehr reicht es bei einigen derselben hin wenn nachgewiesen ist, dass die Sache so sel wie das z. B. eben auch bei den Principien der Fall ist; denn das dass (etwas so ist) ist das erste und der Anfang. Die Anfänge aber werden theils durch Induction erkannt, theils durch Sinneswahrnehmung, theils durch eine Art von Gewöhnung und so weiter, andere Der Philosoph nun muss versuchen, ihnen jedesmal

auf andere Weise.

Suchen doch

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