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nach, wohl aber in der That bei Vielen zurücktreten mußten gegen ephemere Erscheinungen: so trug dieß alles nur noch mehr dazu bei, die ältern Begründer der deutschen Literatur dem Staub und der Vergessenheit anheim fallen zu machen, und nur in einzelnen Reliquien, durch Vermittlung der Bühne oder durch eine beliebte Melodie, lebte noch etwas außer dem respectvoll genannten Namen trefflicher deutscher Schriftsteller und Dichter im Andenken einer größern Masse fort. Ohne hier eine erschöpfende Erklärung jener Vernachlässigung und Vergessenheit deutscher Classiker zu versuchen, soll nur im Vorbeigehen daran erinnert werden, daß in Deutschland die Namen und Werke der ausgezeich neten älteren Schriftsteller und Dichter weniger als bei andern Völkern verknüpft und vergesellschaftet waren und find mit den Namen berühmter historischer Personen, Fürften und Staatsmänner, mit bedeutenden politischen Er: eignissen, mit geschichtlichen Epochen. Den Engländer da gegen erinnert sein Shakspeare an die glorreiche Regierung Elisabeths; sein Milton an die Revolution, die Republik und Cromwell; sein Swift und Addison an bedeutsame innere Kämpfe und Entwicklungen; der Franzose verbindet mit dem Gedanken an Clement Marot den an den glänzenden König Franz I.; Molière und Racine rufen Ludwigs XIV. Bild hervor; Voltaire und Rousseau sind die Verkündiger und Vorbereiter der Revolution; der Italiener wird durch die Namen Dante, Ariosto, Tasso mit sehnsüchtigem Verlangen und von der Gegenwart beschämtem Stolz zurückversezt in die Zeiten städtischer Unabhängigkeit und prächtiger Hofhaltungen unter kunstliebenden, gebil deten Fürsten; der Spanier wird durch den Namen Calderon an Spaniens alten Ruhm und Größe gemahnt, und der Dichter des Don Quixote erinnert ihn sogleich auch an Don Juan, den siegreichen Helden von Lepanto. Wie vag und farblos erscheinen dagegen, wo sie nicht ganz fehlen, die Beziehungen zwischen den Schriftstellern und Dichtern und den historischen Notabilitäten, den denkwürdigen Ereignissen in Deutschland!

Das Gesagte gilt namentlich auch von Lessing. Zwar spürt man in manchen seiner Werke, in den Dramen besonders, Anklänge der Zeit heraus; in der Minna von Barnhelm ist der siebenjährige Krieg mit seinen Folgen berührt; in der Emilia Galotti athmet die Auflehnung des neuen Zeitgeistes gegen Tyrannei und Höflingswesen; in der Dramaturgie spricht sich die Sehnsucht nach nationaler Einheit Deutschlands in der Klage über den Mangel eines Nationalcharakters aus; auch übte der siebenjährige Krieg selbst einigen Einfluß auf das Schicksal Lessings, und er lebte mehrere Jahre in dessen nächster Nähe, ja im Gelärme der Waffen; aber er hatte lange Zeit nicht einmal eine Heimath; weder ein Friedrich II. noch Joseph II. kümmerte sich um ihn, und er selbst las keine Zeitungen! Aber wenn Lessing nirgends an die politische Geschichte seines Vaterlands sich anlehnt, sie kaum berührt, so behauptet er Lessing, Werke. II.

dafür eine um so selbstständigere Stellung in der Geschichte der deutschen Literatur, der deutschen Geistesentwicklung überhaupt, und verdient in diesem Betracht seinen Landsleuten näher gerückt, gründlicher bekannt und geehrt zu werden.

Mehr als eilf Jahrzehnte sind es, seit Lessing geboren wurde, mehr als sechs, seit er, allzufrühe, aus der Arena schied, die ihm manchen Lorbeer gewährte, aber doch fast noch mehr Unlust und Verdruß schuf. In der That ist seine Thätigkeit vorzugsweise unter dem Gesichtspunkt eines Kampfes zu betrachten, und wenn er auch rüstig baute und unverdrossen pflanzte, durfte er doch nie das kriegerische Schwert aus den Händen legen, ja es trieb ihn selbst die Lust zum herausfordernden Angriff. Seine Lebensaufgabe war: überall dem Vorurtheil entgegenzutreten, die Autorität von Gößen zu stürzen, den falschen Echein zu zerstreuen, und trefflich war er zu diesem Beruf begabt und ausgerüstet. Eine umfassende, gründliche Gelehrsamkeit sezte ihn in Stand, Gegnern, die auf ihr Wissen und auf Autoritäten pochten, mindestens mit gleichen, meist mit überlegenen Waffen entgegenzutreten, ihre Autoritäten mit andern, triftigern zu überbieten, und vermöge seines Scharfsinns oft das, was sie als Waffe gegen ihn benüßen wollten, gegen sie selbst zurückzuwenden. So gut aber Lessing sich auf Autoritäten verstand, so wenig war er der Mann, sich von ihnen beherrschen zu lassen und die Stimme seiner eigenen Einsicht, seiner Vernunft, seines Wahrheitsgefühls und Geschmacks ihnen gefangen zu geben; er war nicht ge= meint, je auf das Recht zu verzichten, unmittelbar aus der Quelle zu schöpfen, die in dem kräftigen, die Wahrheit suchenden, gebildeten Geist selbst entspringt. Und endlich besaß er die Unabhängigkeit, Energie und Furchtlosigkeit des Charakters, die ihn über persönliche Rüdsichten, über weltliche Vortheile und Nachtheile, über Unannehmlichkeiten und Anfeindungen wegsehen ließ. Machten ihn diese Eigenschaften zu einem gewaltigen Kämpfer, so schüßte ihn der Reichthum seines Geistes, welcher ihn zu eignem Schaffen und Gestalten trieb, vor dem Vorwurf, daß er ein bloß verneinender Geist sey; und mit der Kritik und dem Tadel des Schlechten, des Mittelmäßigen, ging bei ihm Hand in Hand das Schaffen des Anregenden, des Musterhaften, das Aussprechen und die Entwicklung der Wahrheit in schönster, gediegenster Gestalt.

Bekanntlich hat Lessing sich selbst den Titel eines Genie's, womit zu seiner Zeit schon großer Mißbrauch getrieben wurde, verbeten; im höchsten Sinn sollte man vielleicht jenes Wort nur auf diejenigen Geister anwenden, die, abgesehen von allen Bedingungen der Zeit, etwas an sich Großes, Vollendetes, Befriedigendes leisten, die sich, so viel dieß der menschlichen Natur vergönnt ist, über die Gegensäße erheben in das Element und den Aether der freien Schönheit; und in diesem Sinn käme dieser Ehrenname selbst einem Lessing nicht zu, wie hoch man auch sonst seine Verdienste

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stellen mag. Der schwere, heiße, staubende Kampf der Befreiung der deutschen Literatur und Geistesbildung, in welchem Lessing einer der vornehmsten Helden war, mußte vorangehen, ehe die schönen Wettspiele der Freiheit das Auge entzücken und den Geist befriedigen konnten. Die zwanzig Jahre, während welcher Lessing Goethe'n vorge arbeitet hatte welche Vortheile gewährten sie dem leßtern! Dankbar erkannte auch Goethe Leffings große Verdienste um die deutsche Literatur man denke an sein❘ Urtheil über Minna von Barnhelm!" obgleich Lessing über das Erstlingswerk Goethe's, den Werther, sich nicht ganz günstig ausgesprochen und vielleicht überhaupt den jungen Genius nicht ganz erkannte, wiewohl er zwischen goethianisch und goethisch" wohl zu unterscheiden wußte. Er schrieb im Jahr 1774, er laufe Gefahr, über das theatralische Unwesen ärgerlich zu werden, und mit Goethe, troß seinem Genie, auf das er so poche, anzubinden. Die Anlagen des prüfenden, sichtenden, urtheilenden und ordnenden Verstandes im umfassendsten Sinn, und die Bildung und Feinheit des Geschmacks waren bei Lessing so hervorstechend, daß die Productivität, die Phantasie da= gegen zurücktritt und auch die Vorzüge seiner freien Schö❘ pfungen zum größern Theil auf Rechnung jener Begabung kommen.

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nur kein Complimentirbuch!" Von früher Jugend an las er, wie Nicolai erzählt, Bücher aller Art, und vermöge seines Scharfsinns, der bei Allem viel denken konnte, in teressirten ihn die verschiedensten Schriften. Wenn er auch noch so viel vergesse, schrieb er in spätern Jahren, so behalte er doch die Bücher, wo er es wieder finden könne. Sein Bücherinstinct ließ ihn als Bibliothekar in Wolfenbüttel alsbald eine wichtige Entdeckung machen ein Manuscript von Berengarius Turonensis, und manche werthvolle Beiträge folgten später. Und troß dieser Bücherliebhaberei, vermöge der er selbst sich viele und kostbare Bücher anschaffte, und an welcher sein Freund Mendels sohn kein Wohlgefallen hatte, war Lessing durchaus kein Bücherwurm, tein Pedant; in jungen Jahren hielt er viel auf körperliche Uebungen, Fechten und Reiten; er liebte heitere Gesellschaft, hatte häufigen Verkehr mit dem Theater, reiste gern, zog im Gefolge des Generals Tauenzien im siebenjährigen Krieg, nach Breslau, und verräth in seinen Schriften überall den Mann, der das wirkliche Leben so gut als die Bücher kennt und sich mit offenem, scharfem Auge auf der lebendigen Bühne der Welt umgesehen hat. Im lebendigen, bewegten Verkehr mit der Welt, in heiterer Geselligkeit und polemischer Reibung scheint Lessing so zu sagen seine Bücher, seine Gelehrsamkeit verdaut zu haben, und gewiß war sein reicher und kräftiger Geist auch in den Stunden und Tagen der scheinbaren Zerstreuung nicht müßig. Der öftere Wechsel der Arbeit allein erhalte ihn, schrieb er in spätern Jahren; und so scheint auch die Abwechslung zwischen Studium in Būchern und Beobachtung der Welt seinem Geist Bedürfniß gewesen zu seyn. Tage des ununterbrochenen, stillen Studirens waren ihm manchmal Festtage; zu andern Zeiten aber trieb es ihn wieder zur Ungebundenheit und Freiheit; immer unter Büchern begraben seyn dünkte ihm nicht viel besser, als wirklich begraben seyn. Er spinnt sich eine Zeit lang, als ein häßlicher Wurm ein, um wieder als ein glänzender Vogel an das Licht kommen zu können." Bücher: menschen sind meist die zahmsten und schüchternsten Ge

Zur Zeit, wo Lessing auftrat, war in Deutschland die Literatur dem Leben ziemlich entfremdet, und soweit sie nicht zur plumpen Trivialität sich herabließ, durch einen steifen griechisch-französischen Charakter, oder vielmehr Affec❘ tation und Hohlheit, zu einem unerquicklichen Schaugericht, statt einer Seelennahrung, geworden. Ein Theil der Schrift: steller machte sich mit dem Pöbel gemein, die andern, mit sparsamen Ausnahmen, waren Pedanten, die auf ihrem französirten Parnassus und Olymp und in ihrem Tempe von Deutschland gar nichts wußten. Die Kluft zwischen der Literatur und dem Leben auszufüllen, war, instinct mäßig oder bewußt, eine der wichtigsten Aufgaben Lessings. Die Bedingungen dazu besaß er auch wirklich in seiner Pers sönlichkeit. Seine Talente und seine Neigungen befähigten | und trieben ihn, eine merkwürdige Doppelrolle zu spielen, | schöpfe, Lessing aber besaß bei lebhaftem Temperament welche von seiner ungemeinen Lebens- und Geisteskraft zeugt. Goethe sagt von ihm: „er warf, im Gegensaß von Klopstock und Gleim, die persönliche Würde gern weg, weil er sich zutraute, sie jeden Augenblid wieder ergreifen und aufnehmen zu können, und gefiel sich in einem zerstreuten Wirthshaus- und Weltleben." Bei einem Dichter wäre nun dieß nicht befremdend, aber überraschend ist es bei einem Gelehrten, wie Lessing war, dem fast kein Buch, fast keine merkwürdige oder seltene Ausgabe unbekannt - war, der von sich sagen konnte, auf der Universitätsbibliothek in Wittenberg, wo er nur kurze Zeit sich aufhielt, sey kein Buch, das er nicht in Händen gehabt, und auf den man in gewissem Sinn das Wort aus seinem,,jungen Gelehrten" anwenden darf: „er hat alle Bücher gelesen,

eine Unabhängigkeit des Charakters, welche mitunter an Trop gränzte und die ihn höchst eifersüchtig auf seine Freiheit machte. Indeß vereinigte sich diese Duplicität des Gelehrten und des Weltmenschen doch nicht zu einer ganz glücklichen Einheit — er selbst wenigstens fühlte sich dabei nicht glücklich, wenn schon sein starker Geist Unmuth und Klagen meist niederkämpfte. Wie seine ruhmwürdigen Leis stungen in der Literatur bei all ihrer fruchtbaren, anregenden, überallhin Licht verbreitenden Vielseitigkeit, ja eben in Folge hievon, doch etwas Fragmentarisches, Rhapsodis sches haben, weil er rastlos und ungeduldig von einem Gebiete zum andern eilte, überall ein willkommener und wohlthätiger Reiniger, Weder, Samenausstreuer — und die Einheit seiner Thätigkeit eigentlich in dem großen Impuls

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zu suchen ist, welchen er der deutschen Gesammtbildung von verschiedenen Seiten her gab: so wollte sein Schicksal im Leben sich auch nicht zu einer erfreulichen Einheit gestalten; im Bewußtseyn seiner Kraft verschmähte es sein männlicher Geist, seine Freiheit oder auch nur einen Theil davon zu verkaufen für friedliches Behagen und gut bes lohnten Dienst; um seine würdige Stellung als Gesetzgeber und Richter behaupten zu können, wollte er durch keine Fesseln und Rücksichten sich die Hände binden lassen; und boch fonnte ihn dann zu Zeiten die Vergleichung seines Schicksals mit dem Anderer verstimmen, doch konnten ihn die Umstände zwingen, sich seiner Unabhängigkeit theilweise ju entäußern, und Wünschen und Hoffnungen Raum zu geben, die seinem innersten Wesen nicht gemäß waren. Seinem Bruder schrieb er einmal: das Professoriren sey seine Sache nicht, ein anderer Vorschlag (eine Stelle bei der Regie!) würde ihm wohl acceptabler seyn, damit er sein Brod nicht als Gelehrter, sondern als ein anderer dummer Teufel verdienen könnte. Und an Eschenburg, als seine Frau, die er spät geheirathet, todtkrank lag: Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen. Aber es ist mir schlecht bekommen." Und als der Freund auf seinen „tragischen Brief" antwortete, schrieb er ihm: er schäme sich, wenn sein Brief das Geringste von Verzweiflung vers rathe. Nicht Verzweiflung, sondern vielmehr Leichtsinn sey sein Fehler, der sich manchmal nur ein wenig bitter und menschenfeindlich ausdrücke. Kurz, das Ideal des freien, unabhängigen, zuversichtlich in der Welt sich bewegenden Gelehrten (den auch von den Buchhändlern zu emancipiren Lessing einen teden Versuch machte), mußte für die damalige Zeit wenigstens unerreichbar seyn, wenn selbst ein so unerschöpflich reicher und kräftiger Geist wie Lessing dem Bestreben es zu realisiren erlag. Seine Stellung als Bibliothekar, die ihm in vieler Beziehung so gemäß war, drückte ihn doch immer wieder, und die Anerkennung, der Beifall, die er bei dem gebildetsten Theil bes Publicums fortwährend, auch mit seinen wissenschaftlichen Schriften fand, gewährten ihm doch keine so sichere und behagliche Stellung, wie er sie glaubte mit Recht ansprechen zu dürfen; der Reformator und Gesetzgeber des Geschmacs der Nation sah sich nicht so belohnt wie mancher Andere, der dem hergebrachten Geschmack oder Ungeschmack schmeichelte oder fröhnte.

Lessings Lebensgang ist kurz folgender:

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als er selbst und seine Eltern wünschten. Dem Geist der damaligen Zeiten gemäß, war das Verhältniß des Sohnes zu den Eltern etwas förmlich und steif, wodurch Mißstimmungen erleichtert, Ausgleichungen erschwert wurden. Er schrieb: Hochzuehrender Herr Vater! Hochzuehrende Frau Mutter! und unterzeichnete: Dero gehorsamster Sohn. (In seiner Dramaturgie sagt Lessing sehr schön und wißig: der Name Mutter ist süß; aber Frau Mutter ist wahrer Honig mit Citronensaft!) So sehr er darauf hielt, der kindlichen Pflicht immer zu genügen, wollte er doch deßhalb die Freiheit seiner Ueberzeugungen und seines Handelns nicht opfern und kam deßhalb in manche Collisionen mit seinen Eltern, wußte sie aber doch immer wieder zu begütigen und zu beruhigen. Der Tod seines hochbejahrten Vaters betrübte ihn sehr; statt überflüssiger und nur entkräftender Klagen jedoch erbot er sich gegen Mutter und Schwester zu werkthätigen Beweisen seiner Anhänglichkeit, und erklärte seinen Willen, alle Schulden, die da seyn müßten, ganz auf sich zu nehmen. Du warst ein so guter Mann, und zugleich so ein hißiger Mann!" schrieb er einmal in lebendiger Ber gegenwärtigung des verstorbenen Vaters, den er kurz vor seinem Tode noch zu sich nach Wolfenbüttel einlud, um ihn in seiner Bibliothek herumzuführen, da er wisse, was für ein großer Liebhaber und Kenner von allen Arten von Büchern der Vater sey. Im Jahr 1777 starb auch die betagte Mutter. Unter seinen Brüdern stand ihm nur Carl Gotthelf näher, mit welchem er einen ziemlich lebhaften Briefwechsel führte.

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Zuerst von seinem Vater, einem eben so gelehrten wie frommen Mann unterrichtet, kam G. E. Lessing bald auf die Fürstenschule in Meißen, wo ein guter Grund zu seiner gelehrten Bildung gelegt wurde, und wo sein energischer Geist dem Unterricht ungeduldig voraneilte. Als vierzehnjähriger Knabe schrieb er eine Glückwünschungsrede zum Neujahr 1743 für seinen Vater: Von der Gleichheit eines Jahr mit dem andern, worin man schon seine Eigenthümlichkeit im Keime angedeutet erkennt; seine Behauptung ist: wie ein Jahr dem andern, mathematisch betrachtet, vollkommen gleich sey, so auch, im Ganzen, physisch und moralisch betrachtet. Er tritt damit der Sage von der goldenen Zeit, so wie der Klage über die Ver schlimmerung der Welt, der Fabel und dem Vorurtheil, mit einer an einem Knaben bewundernswerthen Schärfe und Dialektik entgegen. Er beruft sich für seinen Saz auf das einstimmige Zeugniß von Vernunft, Schrift und Erfahrung, und weiß den bedenklichen Consequenzen, die sich aus Behauptungen ergeben könnten, wie die: die heutigen Einwohner der Welt befinden sich in eben den Hauptumständen, wie ihre ersten Väter vor fünftausend Jahren, sie haben eben die Mängel und Vollkommenheiten, eben die Hindernisse und das Verderben, eben die Wege zur Weisheit und Thorheit, zur Tugend und zum Laster, zur Glückseligkeit und Verderben, welche jene ersten Besizer der

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und er habe seit der Zeit gewiß über Niemanden mehr ge spottet und gelacht, als über sich selbst. Da habe ihn die Thorheit überfallen, selbst Comödien zu machen, welche aufgeführt und gelobt wurden. Jeßt sann er Tag und Nacht, in einer Sache eine Stärke zu zeigen, in der sich noch kein Deutscher allzusehr hervorgethan. Der Befehl nach Hause zu kommen, und ein verdrießlicher Aufenthalt in Camenz, wo er ein Vierteljahr weder müßig noch fleißig zubrachte, unterbrach diese Thätigkeit. Besonders sein Umgang wurde getadelt, seine Schulden aber bezahlt. Er reiste wieder nach Leipzig, mit den Vorsay, neben der Medicin sich ernstlich auf Schulsachen zu legen. Seine weitläuftige Bekanntschaft, und die Lebensart, die seine Bekannte an ihm gewohnt waren, stürzten ihn aufs Neue in Schulden, und da er sah, daß sich dieß in Leipzig nicht ändern würde, beschloß er nach Berlin zu gehen. Er reiste ab mit einem Verwandten aus Wittenberg, wo er nur ein paar Tage sich umsehen wollte. Aber der wurde krant, und beschloß nach seiner Genesung, den Winter in Wittenberg zu bleiben, um das in Leipzig zugesezte zu ersparen. Aber die Krankheit und andere Umstände hatten mehr als ein Quartal Stipendien verschlungen, und so erwachte in ihm wieder der Vorsaß nach Berlin zu gehen und dort ein Unterkommen zu suchen. Dieß hätte er längst gefunden, schreibt er, wenn er sich nur, was die Kleidung anbelangt, hätte ein besseres Ansehen machen können. Schon ein Jahr vorher hatten ihm seine Eltern eine neue Kleidung ver: sprochen, die aber ausblieb, weil sie glaubten, er sey nur wegen des ihnen verhaßten und verdächtigen Mylius nach Berlin gegangen. Er versichert, seinen Eltern zeigen zu wollen, daß er nicht an ihn gebunden sey. Bleibe es bei der Weigerung seiner Eltern, so verlasse er sogleich Berlin, und gehe nach Wien, Hamburg oder Hannover. Ueberall finde er sehr gute Freunde und Bekannte, und werde woll irgendwo zu brauchen seyn.

Erde hatten er weiß den Consequenzen durch die Unterscheidung zwischen den außerordentlichen Wirkungen der Allmacht Gottes, welche selten geschehen, und den ordents lichen Wirkungen der Natur, auszuweichen. Mit siebzehn Jahren ging er auf die Universität Leipzig, wo er nach seines Vaters Willen Theologie studiren sollte. Aber hie: mit stimmte seine Neigung nicht überein, die ihn zu andern Studien und Beschäftigungen hinzog. Diese und sein Umgang mit Schauspielern und mit wirklichen und angeblichen Freigeistern und lustigen Cameraden machte ihm bei seinen Eltern viel Verdruß und stürzte ihn, bei seinen schmalen Einkünften, aus Stipendien, in Schulden. Von Ber lin aus schrieb er zu Anfang des Jahrs 1749, mithin zwanzig Jahre alt, einen merkwürdigen Brief, worin er zwar manche Fehler eingesteht, aber sein Thun und Treiz ben im Ganzen ins günstigste Licht zu stellen sucht. Bei seiner strengen Wahrheitsliebe verdienen seine Angaben allen Glauben, nur mag er hin und wieder, was Impuls des Augenblicks, der mächtigen Neigung, des Justincts war, als wohlbedachtes Handeln geschildert, und den Bestrebungen und Thätigkeiten, die nun einmal seiner energischen Natur gemäß und Bedürfniß waren, einen überlegten Zweck und Plan untergelegt haben eine gewiß sehr entschuldbare und gewöhnliche Art der Selbst: täuschung, zumal da absichtliches und instinctartiges Han deln sich oft kaum unterscheiden lassen. Er kam, so schreibt er, jung von Schulen, in der gewissen Ueberzeugung, daß sein ganzes Glück in Büchern bestehe, nach Leipzig, einen | Ort, wo man die ganze Welt im Kleinen sehen kann. Er lebte Anfangs eingezogener als in Meißen, stets bei den Büchern, nur mit sich selbst beschäftigt. Bald aber gingen ihm die Augen auf, er lernte einsehen, die Bücher würden ihn wohl gelehrt, aber nimmermehr zu einem Menschen machen. Er wagte sich aus seiner Stube unter seines Gleichen, und entdeckte mit Schrecken, welche schlechte Figur er mache. Eine bäurische Schüchternheit, ein verwilderter und ungebauter Körper, eine gänzliche Unwissenheit in Sitten und Umgang das waren nach seiner eignen Beurtheilung seine Eigenschaften. Die Wirkung der Schamdungen und Correspondenzen mit angesehenen Leuten u. s. w. hierüber war der feste Entschluß, sich hierin um jeden Preis zu bessern. Er lernte tanzen, fechten, voltigiren, und der gute Erfolg hierin ermunterte ihn, nachdem sein Körper geschickter geworden, Gesellschaft zu suchen, um nun auch leben zu lernen. Er legte die ernsthaften Bücher eine Zeits lang bei Seite, um sich in denjenigen umzusehen, die weit angenehmer und vielleicht eben so nüßlich sind. Die Comödien kamen ihm zuerst zur Hand, und leisteten ihm, so❘ unglaublich es scheinen möge, große Dienste. Er lernte daraus eine artige und gezwungene, eine grobe und natürliche Aufführung unterscheiden, lernte wahre und falsche Tugenden kennen, und die Laster eben so sehr wegen ihres Lächerlichen als wegen ihrer Schändlichkeit fliehen. Der vornehmste Nußen aber war, daß er sich selbst kennen lernte,

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Ein bald darauf geschriebener Brief an seinen Vater hat noch viele Vorwürfe und Verdächtigungen zu bekämpfen, aber die Nachrichten über seine Aussichten, seine Verbin

scheinen den Vater einigermaßen besänftigt zu haben, und die späteren Briefe bezeugen eben so die etwas günstigere Stimmung des alten, wie die bessere Stellung des jungen Lessing, wenn schon die Vorwürfe und Besorgnisse von Jenem nicht aufhören, die, wie der Sohn vermuthet, be sonders von der Mutter genährt wurden.

Die Comödie und das Drama überhaupt war es, was Lessing in Leipzig so sehr beschäftigte und anzog, und großentheils auch seinen Umgang bestimmte. Er studirte die Comödiendichter der Alten und der Neuen; er entwarf und schrieb selbst Comödien, welche von der damals in Leipzig sich aufhaltenden Neuberschen Gesellschaft aufgeführt wurden, er verkehrte mit der Prinzipalin und den Schauspielern, so wie mit Schauspieldichtern. So war

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gleich Anfangs seine Neigung und Thätigkeit demjenigen | sonst mit schriftstellerischen und poetischen Versuchen, und Gebiet zugewendet, wo er ohne Zweifel produktiv wie frie tisch am meisten gewirkt hat. In seine Studienjahre, bis zum Jahr 1750, fallen die Lustspiele: der junge Gelehrte, der Freigeist, der Misogyn (Weiberfeind), die Juden, und einige unbedeutendere. Schon in Jahren, schreibt er, wo er die Menschen nur aus Büchern kannte, beschäftigten ihn die Nachbildungen von Thoren, an deren Daseyn ihm nichts gelegen war. Theophrast, Plautus und Terenz waren feine Welt, in der er die einzigen glücklichen Jahre verlebte. Großentheils ist auch die Wahl seiner Vorwürfe charakte ristisch und so zu sagen typisch für seine späteren Ansichten, Strebungen und Gesinnungen. „Ein junger Gelehrter war die einzige Art von Narren, die ihm damals schon unmöglich unbekannt seyn konnte. Unter diesem Ungeziefer auf gewachsen war es ein Wunder, daß er seine ersten satyrischen Waffen dagegen richtete? Es war damals seine Lust zum Theater so groß, daß sich alles, was ihm in den Kopf tam, in eine Comödie verwandelte." Die Verspottung eines jungen, albernen Pedanten in dem jungen Gelehrten" zeigt, welche Art von Gelehrsamkeit Leffing, der gewiß, wenn irgend Einer, auf den Namen eines Gelehrten Anspruch machen konnte, lächerlich und erbärmlich fand. Eine ausdrückliche Erklärung seiner Ansicht über Gelehrsamkeit findet man in folgenden Säßen von ihm: Ich bin nicht gelehrt ich habe nie die Absicht gehabt, gelehrt zu werden - ich möchte nie gelehrt seyn, und wenn ich es im Traume werden könnte. Alles wornach ich ein wenig gestrebt habe, ist, im Falle der Noth ein gelehrtes Buch brauchen zu können. Der aus Büchern erworbene Reichthum fremder Erfahrung heißt Gelehrsamkeit. Eigene Erfahrung ist Weisheit. Das kleinste Kapital von dieser ist mehr werth, als Millionen von jener.“ Der Freiz geist in dem so benannten Stücke spielt zwar eine schlechte Rolle und wird von einem frommen und rechtschaffenen Theologen beschämt; aber der Zweifel mochte doch damals schon in Lessing (der übrigens nie für einen Freigeist gelten wollte) sich regen; ein Weiberfeind könnte Lessing, troz der Vorliebe, womit er eine Sara, Minna von Barnhelm, Emilia und Recha poetisch ausgesteuert, in gewissem Sinne heißen, sofern in sein unabhängiges, unstetes Leben eine Frau eigentlich nicht recht hineinpaßte, und seine späte Heirath fast eine Inconsequenz war; und die Juden können als ein Vorspiel zu seinem Nathan dem Weisen gelten, sofern er schon damals Gerechtigkeit und Toleranz gegen diese Unterdrückte, und überhaupt gegen Jedermann verlangte. Bei dem dramatischen Trieb, der ihn damals und später zur Bearbeitung des Naheliegenden, dessen was ihn oder die Zeit beschäftigte, hinleitete, hätte man vielleicht auch eine dramatische Bearbeitung des Vorurtheils gegen das Schauspiel selbst von ihm erwarten können, die unter seiner Feder gewiß komisch und wißig genug hätte werden müssen. Neben dem Schauspiel beschäftigte er sich auch

rechtfertigte seine Anakreontischen Nachahmungen, zum Theil schon in Meißen entstanden, mit dem Wunsch, sich in allen Arten der Poesie zu versuchen, um zu erfahren, welche Sphäre ihm eigentlich zukomme. In Berlin, wo er mehrere Jahre blieb, weil er an keinem andern großen Orte leben konnte," mit Unterbrechung durch einen halbjährigen Aufenthalt in Wittenberg, an welcher Universität er promovirte, sezte er seine dramatischen Studien jeder Art eifrig fort, legte sich auf neue Sprachen, überseßte und edirte Mancherlei, und nahm an verschiedenen Zeitschriften als Kritiker und Dichter Theil. Nach einander ließ er seine Lustspiele, seine Beiträge zur Historie und Aufnahme des Theaters, seine Sinngedichte, Fabeln und Erzählungen, seine vermischten Schriften und die theatralische Bibliothek erscheinen. Gemeinschaftlich mit Moses Mendelssohn schrieb er: Pope ein Metaphysiker, und meinte von seinem Freund: derselbe werde ein zweiter Spinoza werden, wozu ihm nichts fehlen werde, als die Irrthümer dieses Philosophen. Des Theaters wegen ging er im Jahr 1755 von Berlin, wo er namentlich auch mit Nicolai bekannter geworden, nach Leipzig, von wo er 1756 eine Reise nach England antreten wollte. Durch den Ausbruch des Kriegs wurde er in HolLand zur Umkehr genöthigt, und lebte nun einige Zeit in Leipzig, in Müßiggang und Langeweile," d. b. ohne eine bedeutendere Arbeit. Miß Sara Sampson war 1755 er: schienen, Philotas 1759. In diesem Jahre gab er auch Logau's Sinngedichte mit Vorrede und Wörterbuch, und seine Abhandlungen über die Fabel heraus. Auch die theas tralische Bibliothek sezte er fort. In Gemeinschaft mit seinen Berliner Freunden, Moses, Nicolai u. A. schrieb er von 1759 an die in der deutschen Literatur Epoche machenden: Briefe die neueste Literatur betreffend. Zu den ersten Bänden trug Lessing das Meiste, zu den späteren weniger, vom siebenten Theil an nur noch drei Briefe bei. 1760 erschien seine Uebersehung Diderots. Von Berlin, wohin sich Lessing 1758 wieder begeben hatte, wo er den Kopf voll Schauspielen hatte und seinen Doctor Faust spielen lassen wollte, entschloß er sich plößlich, als Secretär des Generals von Tauenzien mit diesem nach Breslau zu gehen. Noch im April schrieb er seinem Vater, so lange er noch von seiner Arbeit leben, und ziemlich gemächlich leben könne, habe er nicht die geringste Lust, der Sclave eines Amts zu verden. Trage man ihm eines an, so wolle er es an: nehmen; aber den geringsten Schritt nach einem zu thun, dazu sey er, wo nicht eben zu gewissenhaft, doch viel zu kommode und nachlässig; und gegen Ende des Jahrs reiste er ab, ohne seinen nächsten Freunden von seinem Vorhaben etwas entdeckt, ohne seine Wohnung aufgesagt zu haben. Die Briefe, die er an seine Freunde nach Berlin schrieb, übertreiben vielleicht seine eigene Reue und seinen Unmuth, aus Artigkeit gegen die so unvermuthet verlassenen Freunde, aber schwerlich ist Alles Schein und Scherz, wenn er schreibt,

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