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Wenn man die Festungen von oben herab belagern wird, ‚so wird man auch darauf denken, sie von oben herein zu ,,bejchirmen."

Doch ich verachte alle Ausflüchte, verachte alles, was einer Ausflucht nur ähnlich sieht. Ich habe es gesagt, und sage es nochmals: auch an und für sich selbst sind die bisherigen Vertheidigungen der christlichen Religion bei weitem nicht mit allen den Kenntnissen, mit aller der Wahrheitsliebe, mit allem dem Ernste geschrieben, den die Wichtigkeit und Würde des Gegenstandes erfordern!

Und allerdings ist diese meine allgemeine Aeußerung aus Induction entstanden, und zwar aus einer so vollständigen, so genau erwogenen Induction, als ich in meiner Verfassung zu machen, nur im Stande gewesen.

„Nun, so führe man diese Induction erst vor unsern | "Augen!" ruft mein Gegner in einem schon triumphiren: den Tone mir zu.

Lieber Herr Pastor, ich wünschte sehr, diese Zumuthung wäre nicht gedruckt an mich ergangen. Es ist eine wahre Kanzelzumuthung, und Sie wissen wohl, wie man einer dergleichen Zumuthung begegnet. Ebenfalls durch eine Zumuthung.

Wenn ich sage, alles Quecksilber verraucht über dem Feuer: muß ich demjenigen zu gefallen, dem die Allge meinheit meiner Behauptung nicht ansteht, alles Quecsilber aus der ganzen Natur zusammen bringen, und es vor seinen Augen verrauchen lassen? Ich dächte, bis ich das im Stande bin, spräche ich bloß zu ihm: Guter „Freund, alles Quedsilber, das ich noch über Feuer brachte, „das verrauchte wirklich. Kennst du welches, das nicht verraucht, so bring es, damit ich es auch kennen lerne, und du sollst Dank haben."

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Alle die unzähligen großen und kleinen Schriften, die auch nur seit diesem Jahrhunderte für die Wahrheit der chriftlichen Religion geschrieben worden, auf die Capelle zu bringen, welch ein Zumuthen! War es dem Hrn. Paster doch Ernst damit, wollte er nicht bloß mich damit verböhnen, nicht bloß sich an meiner Verlegenheit weiden, entweder zu widerrufen, oder mich einer Arbeit ohne Ende zu unterziehen; nun gut, so beweise er es durch eine Kleinigkeit. Sie soll ihm nur ein Wort fosten, diese Kleinigkeit.

Nämlich: er nenne mir nur diejenige Schrift, mit welcher ich meinen Versuch des Verrauchens zuerst machen soll. Er nenne mir sie nur, und ich bin bereit. Ist es eine, die ich schon kenne, so darf mir nicht bange seyn. Ist es eine, die ich nicht kenne, und mein Versuch schlägt fehl: desto besser. Ich nehme für eine große Belehrung eine kleine Beschämung gern vorlieb.

Nur Eins muß ich mir dabei ausbedingen. Er muß; nicht thun, als ob der, welcher gewisse Beweise einer Sache bezweifelt, die Sache selbst bezweifle. Der geringste Fingerzeig dahin ausgestreckt, ist Meuchelmord. Was

kann ich dafür, daß man neuerer Zeit Nebenbeweise zu einer Gewißheit und Evidenz erheben wollen, die sie schlechterdings nicht haben können? Was kann ich dafür, daß man die ganze Sache nicht in den bescheidenen Schranken lassen wollen, innerhalb welchen sie alle ältere Theologen gesichert genug hielten? Oder ist dem Hrn. Pastor die Geschichte der Dogmatit so wenig bekannt, daß er von diesen Veränderungen nichts weiß? Wie kömmt er, und Er insbesondere dazu, sich gegen einen Mann zu erklären, der nur mit diesen Veränderungen unzufrieden ist? Er ist ja sonst kein Freund von theologischen Neuerungen. Warum will er nur diese gegen mich in Schuß nehmen? Weil ich mich nicht überall nach der theologischen Schulsprache ausgedrückt habe, die ihm geläufig ist? Ich bin Liebhaber der Theologie, und nicht Theolog. Ich habe auf kein gewisses System schwören müssen. Mich verbindet nichts, eine andere Sprache, als die meinige zu reden. Ich bedauere alle ehrliche Männer, die nicht so glücklich sind, dieses von sich sagen zu können. Aber diese ehrlichen Männer müssen nur andern ehrlichen Männern nicht auch den Strick um die Hörner werfen wollen, mit welchem sie an die Krippe gebunden sind. Sonst hört mein Bedauern auf, und ich kann nichts als sie verachten.

So viel von dem Grausale, der dem Hrn. Pastor gleich am Eingange des Wegs aufstieß. Nun von der Stelle selbst, die ich, wie gesagt, nicht ganz in der nämlichen Ordnung, aber doch in allen ihren Worten, in ihrem ganzen Sinne, gegen die Mißdeutungen des Hrn. Pastors zu retten mich gezwungen sehe. Die logische Ordnung unserer Gedanken, ist nicht immer die, in welcher wir sie andern mittheilen. Aber sie ist die, welche vor allen Dingen der Gegner aufsuchen muß, wenn sein Angriff nach der Billigkeit seyn soll. Und so hätte der Hr. Pastor mit dem 3ten meiner Säße anfangen müssen, wie folgt.

I. (3)

Die Bibel enthält offenbar mehr, als zur Religion gehört.

Dieses geschrieben zu haben, darf mich nicht reuen. Aber darauf geantwortet haben, wie der Hr. Pastor Goeze darauf antwortet, möchte ich um alles in der Welt nicht.

„In diesem Saße, antwortet er, liegen zwei Säße. „Einmal: die Bibel enthält das, was zur Religion gehört. Zweitens: die Bibel enthält mehr, als zur Religion ges „hört. In dem ersten Saße räumt der Hr. H. das ein, „was er in dem vorhergehenden geläugnet hat. Enthält ,,die Bibel das, was zur Religion gehört, so enthält sie die Religion objective selbst."

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Ich erschrecke! Ich soll geläugnet haben, daß die Bibel die Religion enthalte? Jch? Wo das? Gleich in dem Vorhergehenden? Doch wohl nicht damit, daß ich gesagt habe: die Bibel ist nicht die Religion? damit?

Lieber Herr Pastor, wenn Sie mit allen Jhren Gegnern | Scholia eben so gewiß seyn müssen, als die Theoremata ?

so zu Werke gegangen sind! Ist denn seyn und enthal ten einerlei? Sind es denn ganz identische Säße: die Bibel enthält die Religion, und die Bibel ist die Religion? Man wird mir doch nimmermehr in Hamburg den ganzen Unterschied zwischen Brutto und Netto wollen streitig machen? Da, wo so viele Waaren ihre bestimmte Thara haben, wollte man mir auf die heil. Schrift, auf eine so kostbare Waare, nicht auch eine kleine Thara gut thun? Nun, nun, der Hr. Pastor ist auch wirklich so unkaufmännisch nicht. Denn er fährt fort:

„Der zweite Eat kann zugegeben werden, wenn man „einen Unterschied macht zwischen dem, was wesentlich zur „Religion gehört, und zwischen dem, was zur Erläuterung ,und Bestätigung der Hauptsäße, welche eigentlich das ,,Wesen der Religion ausmachen, gehört."

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Nicht zwar, als ob nicht auch Scholien demonstrirt werden könnten, sondern sie brauchen es hier nur nicht. Es hieße die Demonstration verschwenden, wenn man alle die Kleinigkeiten damit versehen wollte, die man in ein Scholion bringen und auch nicht bringen kann. — Eine ähnliche Verschwendung der Inspiration ist von eben so wenig Nußen, aber von unendlich mehr Aergerniß.

II. (4)

Es ist bloße Hypothese, daß die Bibel in diesem Mehrern gleich unfehlbar sey.

Nicht? Sondern was denn? Unwidersprechliche Wahrheit. Unwidersprechlich? dem so oft widersprochen worden! dem noch jezt so viele widersprechen! So viele, die auch Christen seyn wollen, und Christen sind. Freilich nicht wittenbergisch-lutherische Christen, freilich nicht Christen von Calovs Gnaden. Aber doch Christen, und selbst lutherische Christen, von Gottes Gnaden.

Wenn indeß Calov und Goeze doch Recht hätten! Leyterer führt wenigstens ein so treffliches Dilemma an. „Ent: „weder, sagt er, dieses Mehrere ist von Gott eingegeben,

Gut! also handeln wir doch schon um das Brutto. Und wie? wenn auch ganz unnöthige Emballage dar: unter wäre? Wie? wenn auch nicht Weniges in der Bibel vorkäme, das schlechterdings weder zur Erläuterung noch zur Bestätigung auch des allergeringsten Saßes der Religion, diene? Was andere auch gute lutherische Theo: logen von ganzen Schriften der Bibel behauptet haben,,,wenigstens gebilligt, oder nicht. Ist das erste, so ist es darf ich doch wohl von einzelnen Nachrichten in dieser und jener Schrift behaupten? Wenigstens muß man ein Rabbi oder ein Homilet seyn, um nur eine Möglichkeit oder ein Wortspiel auszugrübeln, wodurch die Hajiemim des Ana, die Crethi und Plethi des David, der Mantel, den Paulus zu Troas vergaß, und hundert andere solche Dinge, in einige Beziehung auf die Religion können gebracht werden.

Also der Sat: die Bibel enthält mehr, als zur Religion gehört, ist ohne Einschränkung wahr. Auch kann er durch seinen gehörigen Gebrauch der Religion | unendlich vortheilhafter, als durch seinen Mißbrauch ihr schädlich werden. Mißbrauch ist von allen Dingen zu besorgen; und ich hätte nichts dagegen, daß man sich im Voraus darwider deckt. Nur hätte das auf eine passendere Art geschehen müssen, als es in folgendem Zusaße des Hrn. Pastors geschehen ist.

,, eben so unfehlbar, wie das Wesentliche. Nimmt man aber „das legte an, so verliert das erste auch seine Zuverlässig„teit.“

Wenn dieses Dilemma richtig ist, so muß es auch gel ten, wenn ich anstatt des Mehreren irgend ein ander Subject sebe, von welchem das nämliche doppelte Prädicat zu gelten scheint. 3. E. „Das moralisch Böse ist ent,, weder durch Gott geworden, wenigstens von ihm gebilligt, ,,oder nicht. Ist das erste, so ist es eben so göttlich, und „also eben so gut, als das Gute. Nimmt man aber das „lezte an, so können wir auch nicht wissen, ob Gott das ,,Gute erschaffen und gebilligt habe. Denn Böses ist nie „ohne Gutes, und Gutes nie ohne Böses.“

Was denkt mein Lefer? Wollen wir beide Dilemmata behalten? oder beide verwerfen? Ich bin zu dem lezten entschlossen. Denn wie? wenn sich Gott bei seiner Inspira„Soll aber dieser Saß der Bibel zum Nachtheil gerei- tion gegen die menschlichen Zusäße, die selbst durch die In„chen, so ist er völlig unkräftig, eben so unkräftig, als│spiration möglich wurden, eben so verhalten hätte, wie bei „wenn ich sagen wollte: Wolfs System der Mathematik ,, enthält Scholia und diese verringern den Werth desselben."

Wie gesagt, bei mir soll dieser Saß der Bibel zu teinem Nachtheil gereichen. Er soll sie vielmehr mit Eins unzähligen Einwürfen und Spöttereien entziehen, und in die aufgegebenen Rechte alter Urkunden wieder einseßen, denen man Ehrerbietung und Schonung schuldig ist.

Mit Ihrem Exempel hiernächst, Herr Pastor, bin ich mehr zufrieden, als Sie glauben. Freilich verringern die Scholia in Wolfs Elementen der Mathematik nicht den Werth derselben. Aber sie machen doch, daß nun nicht alles darin demonstrirt ist. Oder glauben Sie, daß die

seiner Schöpfung gegen das moralisch Böse? Wie? wenn er, nachdem das eine und das andere Wunder einmal geschehen war, das, was diese Wunder hervorgebracht hatten, seinem natürlichen Laufe überlassen hätte? Was schadet es, daß in diesem Falle die Gränzen zwischen menschlichen Zusäßen und geoffenbarten Wahrheiten so genau nicht mehr zu bestimmen wären? Ist doch die Gränzscheidung zwischen dem moralisch Bösen und dem moralisch Guten eben so unbestimmbar. Haben wir aber darum gar kein Gefühl vom Guten und Bösen? Würden sich deßwegen gar teine geoffenbarte Wahrheiten von menschlichen Zusäßen unterscheiden? Hat denn eine geoffenbarte Wahrheit gar

feine innere Merkmale? Hat ihr unmittelbar göttlicher | Compendien der wittenbergischen Orthodoxie platterdings Ursprung an ihr und in ihr keine Spur zurückgelassen, als die historische Wahrheit, die sie mit so vielen Fraßen gemein bat?

Also gegen den Schluß des Hrn. Pastors hätte ich das, und sonst noch manches einzuwenden. Aber er will auch nicht sowohl durch Schlüsse beweisen, als durch Gleichnisse und Schriftstellen.

Und diese leztern, die Schriftstellen, werden doch wohl unwidersprechlich seyn? Wenn sie das doch wären! Wie gern wollte ich den ewigen Zirkel vergessen, nach welchem die Unfehlbarkeit eines Buches aus einer Stelle des nämlichen Buches, und die Unfehlbarkeit der Stelle aus der Unfehlbarkeit des Buches bewiesen wird. Aber auch die sind so wenig unwidersprechlich, daß ich denken muß, der Hr. Pastor hat nur gerade die allerzweifelhaftesten für mich aufgesucht, um die triftigern auf eine bessere Gelegenheit zu versparen.

Wenn Christus von der Schrift sagt, sie zeuge von ihm; hat er damit sagen wollen, daß sie nur von ihm zeuge? Wie liegt in diesen Worten die Homogenität aller biblischen Bücher, sowohl in Ansehung ihres Inhalts, als ihrer Eingebung? Könnte die Schrift nicht eben so wohl von Christo zeugen, wenn auch nur das eingegeben wäre, was sich darin als ausdrückliche Worte Gottes oder der Propheten auszeichnet?

Und die aada yapŋ des Paulus! Ich brauche den Hrn. Pastor nicht zu erinnern, wem er erst über die wahre Erklärung dieser Stelle genug thun muß, ehe er fortfährt, sich ihrer so geradehin zu bedienen. Eine andere Construc: tion giebt den Worten des Paulus einen so andern Sinn, und diese Construction ist eben so grammatisch, mit dem Zusammenhange eben so übereinstimmend, hat eben so viele alte und neue Gottesgelehrten für sich, als die in den gemeinsten lutherschen Dogmatiken gebilligte Construction, daß ich gar nicht einsehe, warum es schlechterdings bei dieser bleiben soll? Luther selbst hat in seiner Uebersezung nicht sowohl diese, als jene befolgt. Er hat kein na gelesen, und schlimm genug, wenn durch diese Variante, so wie man dieses za mitnimmt oder wegläßt, die Hauptstelle von dem principio cognoscendi der ganzen Theologie so äußerst schwankend wird.

Woher

Endlich das feste prophetische Wort! der Beweis, daß unter dem prophetischen Worte auch alle historischen Worte verstanden werden? Woher? Die historischen Worte sind das Vehiculum des prophetischen Wortes. Ein Vehiculum aber soll und darf die Kraft und Natur der Arznei nicht haben. Was hat der Hr. Pa stor an dieser Vorstellung auszuseßen? Daß es nicht seine, nicht seine wittenbergische Vorstellung ist, das weiß ich. Wenn aber nur das Deutschland durch zwei Zeitungen erfahren sollen, warum hat er sich und mir die Sache nicht noch leichter gemacht? Warum hat er nicht kurz und gut in Bausch und Bogen erklärt, daß meine ganze Stelle den Lessing, Werke. II.

widerspreche? Zugegeben, und herzlich gern! hätte ich so dann eben so kurz antworten können.

III. (1)

Der Buchstabe ist nicht der Geist und die Bibel ist nicht die Religion.

Wenn es wahr ist, daß die Bibel mehr enthält, als zur Religion gehört: wer kann mir wehren, daß ich sie, in so fern sie beides enthält, in so fern sie ein bloßes Buch ist, den Buchstaben nenne, und dem bessern Theile derselben, der Religion ist, oder sich auf Religion bezieht, den Namen des Geistes beilege?

Zu dieser Benennung ist derjenige sogar berechtigt, der das innere Zeugniß des heil. Geistes annimmt. Denn da dieses Zeugniß sich doch nur bei denjenigen Büchern und Stellen der Schrift mehr oder weniger äußern kann, welche auf unsere geistliche Besserung mehr oder weniger abzweden: was ist billiger, als nur solcherlei Bücher und Stellen der Bibel den Geist der Bibel zu nennen? Ich denke sogar, es streife ein wenig an Gotteslästerung, wenn man behaupten wollte, daß die Kraft des heil. Geistes sich eben so wohl an dem Geschlechtsregister der Nachkommen des Esau beim Moses, als an der Bergpredigt Jesu beim Matthäus wirksam erzeigen können.

Im Grunde ist dieser Unterschied zwischen dem Buchstaben und dem Geiste der Bibel der nämliche, welchen andere auch gute lutherische Theologen schon längst zwischen der heil. Schrift und dem Worte Gottes gemacht haben. Warum hat Hr. Pastor Goeze nicht erst mit diesen angebunden, ehe er einem armen Laien ein Verbrechen daraus macht, in ihre Fußstapfen zu treten?

IV. (2)

Folglich sind die Einwürfe gegen den Buchstaben und gegen die Bibel nicht eben auch Einwürfe gegen den Geist und gegen die Religion.

Ganz gewiß hat eine Folge die Natur des Grundsaßes, aus welchem sie hergeleitet wird. Jener ist theils zugegeben, theils erwiesen. Sind Einwürfe gegen zufällige Erläute rungen der Hauptsäße der christlichen Religion keine Einwürfe gegen die Hauptsäße selbst, so können noch weniger Einwürfe gegen biblische Dinge, die auch nicht einmal zufällige Erläuterungen der Religion find, Einwürfe gegen die Religion seyn.

Ich brauche also hier nur noch auf die Instanz des Hrn. Pastors zu antworten. Freilich, wenn eine Landesverfassung gerade nicht weniger und nicht mehr enthält, als die Landesordnung, so hat derjenige Unterthan, der muthwillige Einwürfe gegen die Landesverfassung macht, auch die Landesordnung muthwillig angegriffen. Aber

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VI. (6)

Das Christenthum war, ehe Evangelisten und Apostel geschrieben hatten. Es verlief eine geraume Zeit, ehe der erste von ihnen schrieb; und eine sehr beträchtliche, ehe der ganze Kanon zu Stande kam.

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Alles dieses, sagt der Hr. Pastor, kann ich dem ,,Herausgeber einräumen.“ Kann? warum denn nur Muß mir der Hr. Pastor einräumen.

kann?

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Muß er mir das aber einräumen, so räumt er mir ja auch zugleich ein, daß das mündlich geoffenbarte Christenthum weit früher gewesen, als das aufgeschriebene, daß es sich erhalten und ausbreiten können, ohne aufgeschrieben zu seyn. Mehr will ich ja nicht, und ich weiß wiederum gar nicht, warum er mir auch hier die Frage entgegen seßt: „War denn das Christenthum schon, ehe Christus und die Apostel gepredigt hatten?"

Diese Frage soll diesen Saß zu seiner Absicht unbrauch bar machen, welche Absicht der folgende Saz enthält. Da wollen wir sehen.

wozu wären denn sodann ganz verschiedne Benennungen? Warum hieße nicht das Eine sowohl als das Andere Landesordnung oder Landesverfassung? Daß das Eine anders heißt, als das Andere, ist ja ein offenbarer Beweis, daß das Eine auch etwas anders ist, als das Andere. Denn vollkommene Synonyma giebt es nicht. Ist aber das Eine etwas anders, als das Andere, so ist es ja nicht wahr, daß das Eine bestreiten nothwendig auch das Andere bestreiten heißen muß. Denn der Umstand, welcher die zweifache Benennung veranlaßt hat, sey noch so klein, so kann der Einwurf auch doch nur diesen Heinen Anstand betreffen, ' und das, was der Herr Pastor so spöttisch Antithese nennt, ist völlige Rechtfertigung. Ich will mich an einem Exempel erklären, das ihm ganz nahe ist. Die Sammlung Hamburgischer Geseße des Hrn. Syndicus Klefeker (wenn sie fertig geworden, was ich jezt nicht weiß,) enthält doch wohl die vollständigste und zuverlässigste Verfassung der Stadt Hamburg? könnte doch wohl auch diesen Titel führen? Wenn sie ihn nun führte, könnte ich keinen Einwurf gegen dieses Werk machen, ohne mich der Autorität der Hambur gischen Geseze selbst entgegen zu stellen? Könnte mein Einwurf nicht die historischen Einleitungen betreffen, die Hr. Klefeter einer jeden Classe von Gesezen vorausgeschickt hat? Oder haben diese historischen Einleitungen dadurch die Kraft der Gefeße erhalten, weil sie mit den Gesezen in Einem Bande abgedruckt worden? Woher weiß der Hr. Pastor, daß die historischen Bücher der Bibel nicht ungefährdurch mündlichen Unterricht besser zu erhalten war, als solche Einleitungen seyn sollen? welche Bücher Gott eben so wenig einzugeben oder auch nur zu genehmigen brauchte, als Bürgerschaft und Rath nöthig hatten, diese Einleitungen in ihren besondern Schuß zu nehmen. Genug, daß Klefekern alle Archive der Stadt offen stunden! Hat er sie nicht sorgfältig genug gebraucht, so brauche sie ein anderer besser, und damit gut. Vielmehr wäre es ein ärgerlicher Mißbrauch, eine unnüße Verschleuderung der gefeßgebenden Macht, wenn man ihr Ansehen an zwei so verschiedene Dinge so ganz gleich hätte vertheilen wollen, an die Geseze und an die Geschichte der Geseße.

V. (5)

Auch war die Religion, ehe eine Bibel war.

Hierwider sagt der Herr Pastor: „Aber doch nicht ehe „eine Offenbarung war." Was er damit will, ist mir ganz unbegreiflich. Freilich kann eine geoffenbarte Religion nicht eher seyn, als sie geoffenbart worden. Aber sie kann doch eher seyn, als sie niedergeschrieben worden. Davon ist ja nur die Rede. Ich will ja nur sagen: die Religion | war, ehe das geringste von ihr schriftlich verfaßt wurde. Sie war, ehe es noch ein einziges Buch von der Bibel gab, die jezt sie selbst seyn soll. Was soll nun die windschiefe Frage, die mich in meinen eigenen Gedanken irre machen könnte? Mehr weiß ich hierauf nicht zu er widern.

Hier möchte ich vorläufig nur auch gern eine Frage oder zwei thun, bloß um mich zu belehren, bloß den ganzen Sinn des Hrn. Pastors zu fassen. Wenn, so lange ,,Christus und die Apostel predigten, so lange die außer „ordentlichen Gaben des heil. Geistes in den Gemeinen ,,wirksam waren, die Fortpflanzung der christlichen Religion

„durch Schriften:" fing der Gebrauch der Schriften erst an, als jene außerordentlichen Gaben aufhörten, oder fing er früher an? Fing er früher an, und ist es unläugbar, daß diese Gaben nicht zugleich mit den Aposteln aufhörten, sondern noch Jahrhunderte fortdauerten: entlehnten in diesem Zeitraume die Gaben den Beweis von den Schriften, oder die Schriften von den Gaben? Jenes hat keinen Verstand, und war dieses: sind wir nicht sehr übel daran, daß die nämlichen Schriften, welche die ersten Christen auf den Beweis der Gaben glaubten, wir ohne diesen Beweis glauben müssen? Fing hingegen der Gebrauch der Schriften nicht eher an, als die Wundergaben aufhörten: woher nehmen wir den Beweis, daß die Schriften in die Stelle der Wundergaben nicht sowohl getreten, als treten sollen?

Und doch erhellet aus der Geschichte, daß dieses allerdings der Fall ist. Allerdings ist zu erweisen, daß so lange die Wundergaben, und besonders die unmittelbare Erleuchtung der Bischöfe, Statt hatten, man aus dem geschriebenen Worte weit weniger machte. Es war ein Verbrechen sogar, dem Bischofe nicht anders, als auf das geschriebene Wort glauben zu wollen. Und das nicht ohne Grunb. Denn bίς έμφυτος δωρεα της διδαχης, bie in den Bischöfen war, war eben dieselbe, welche in den Aposteln gewesen war, und wenn Bischöfe das geschriebene Wort anführten, so führten sie es freilich zur Bestätigung

ihrer Meinung, aber nicht als die Quelle ihrer Meinung an.

Dieses bringt mich nahe zu der Absicht wieder zurück, in welcher ich den Sat, bei welchem wir halten, und den nächstvorhergehenden, vorausgeschickt habe. Zu der Folge

nämlich:

VII. (7)

Es mag also von diesen Schriften noch so viel abhangen: so kann doch unmöglich die ganze Wahrheit der christlichen Religion auf ihnen beruhen.

D. i. wenn es wahr ist, daß die Religion des A. und N. Testaments eine geraume Zeit schon geoffenbart war, ehe das geringste von ihr schriftlich verfaßt wurde, und eine noch geraumere Zeit bestand, ehe alle die Bücher fertig wurden, die wir jezt zum Kanon des A. und N. Testaments rechnen, so muß sie ja wohl ohne diese Bücher sich denken lassen. Ohne diese Bücher, sage ich. Ich sage nicht, ohne den Inhalt dieser Bücher. Wer mich dieses statt jenem sagen läßt, läßt mich Unsinn sagen, um das große heilige Verdienst zu haben, Unsinn zu widerlegen. Nochmals und nochmals: ohne diese Bücher. Auch hat, so viel ich weiß, noch kein Orthodox behauptet, daß die Religion in einem dieser Bücher zuerst, durch eines dieser Bücher ursprünglich geoffenbart worden, und so wie die übrigen dazu gekommen, allmählig mit angewachsen sey. Vielmehr gestehen es gelehrte und denkende Theologen einmüthig, daß in diesen Büchern bloß gelegentlich, bald mehr bald weniger, davon aufbehalten worden. Dieses Mehrere oder Wenigere wäre schon wahr gewesen, ehe es gelegentlich schriftlich aufbehalten wurde, und sollte jezt für uns nur wahr seyn, weil es schriftlich aufbehalten worden?

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Hier sucht sich zwar der Hr. Paftor mit einer Unterscheidung zu helfen; ein anderes, will er, sey die Wahrheit der Religion, und ein anderes, unsere Ueberzeugung von dieser Wahrheit. Die Wahrheit der christlichen Religion, „sagt er, beruht allerdings auf sich selbst, sie besteht auf ihrer Uebereinstimmung mit den Eigenschaften und Willen „Gottes, und auf der historischen Gewißheit der Facto„rum, auf welche ihre Lehrsäße sich zum Theil gründen. ‚Allein unsere Ueberzeugung von der Wahrheit der christlichen Religion beruht doch lediglich und allein auf diesen „Schriften." Aber, wenn ich diese Worte recht verstehe, so sagt der Hr. Pastor entweder etwas sehr Unphilosophisches, oder er schlägt sich selbst, und ist völlig meiner Meinung. Vielleicht auch, daß er sich so unphilosophisch ausdrücken mußte, um nicht gar zu deutlich meiner Meinung zu scheinen. Denn man überlege doch nur! Wenn die Wahrheit der chriftlichen Religion theils (dieses theils hat er freilich nicht buchstäblich hingeschrieben, aber sein Sinn er fordert es doch nothwendig) — wenn sie, sage ich, theils

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auf sich selbst, d. i. auf ihrer Uebereinstimmung mit den Eigenschaften und dem Willen Gottes, theils auf der historischen Gewißheit der Factorum beruht, auf die sich einige ihrer Lehrfäße gründen: entspringt nicht aus diesem doppelten Grunde auch eine doppelte Ueberzeugung? Hat nicht jeder einzelne Grund seine Ueberzeugung für sich? Was braucht einer von beiden die Ueberzeugung des andern zu entlehnen? Ist es nicht fauler Leichtsinn, dem einen die Ueberzeugung des andern zu gute kommen zu lassen? Ist es nicht leichtsinnige Faulheit, die Ueberzeugung des einen auf beide erstrecken zu wollen? Warum soll ich Dinge, die ich deßwegen für wahr halten muß, weil sie mit den Eigenschaften und dem Willen Gottes übereinstimmen, nur deßwegen glauben, weil andere Dinge, die irgend einmal in Zeit und Raum mit ihnen verbunden gewesen, historisch erwiesen sind?

Es sey immerhin wahr, daß die biblischen Bücher alle die Facta erweisen, worauf sich die christlichen Lehrsäße zum Theil gründen; Facta erweisen, das können Bücher, und warum sollten es diese nicht können? Genug, daß die christlichen Lehrfäße sich nicht alle auf Facta gründen. Die übrigen gründen sich, wie zugegeben, auf ihre innere Wahrheit; und wie kann die innere Wahrheit irgend eines Saßes von dem Ansehen des Buches abhangen, in dem sie vorgetragen worden? Das ist offenbarer Widerspruch.

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Noch kann ich mich über eine Frage nicht genug wundern, die der Hr. Pastor mit einer Zuversicht thut, als ob nur Eine Antwort darauf möglich wäre. Würde, fragt ,,er, wenn die neutestamentlichen Bücher nicht geschrieben „und bis auf uns gekommen wären, wohl eine Spur von „dem, was Christus gethan und gelehrt hat, in der Welt übrig geblieben seyn?" Gott behüte mich, jemals so klein von Christi Lehren zu denken, daß ich diese Frage fo geradezu mit Nein zu beantworten wagte! Nein, dieses Nein spräche ich nicht nach, und wenn mir es ein Engel vom Himmel vorsagte. Geschweige, da mir es nur ein lutherischer Pastor in den Mund legen will. Alles, was in der Welt geschieht, ließe Spuren in der Welt zurüď, ob sie der Mensch gleich nicht immer nachweisen kann: und nur deine Lehren, göttlicher Menschenfreund, die du nicht aufzuschreiben, die du zu predigen befahlst, wenn sie auch nur wären gepredigt worden, sollten nichts, gar nichts gewirkt haben, woraus sich ihr Ursprung erkennen ließe? Deine Worte sollten erst, in todte Buchstaben verwandelt, Worte des Lebens geworden seyn? Sind die Bücher der einzige Weg, die Menschen zu erleuchten und zu bessern? Jst mündliche Ueberlieferung nichts? Und wenn mündliche Ueberlieferung tausend vorsäßlichen und unvorsäßlichen Verfälschungen unterworfen ist: sind es die Bücher nicht auch? Hätte Gott durch die nämliche Aeußerung seiner unmittelbaren Gewalt nicht eben sowohl die mündlichen Ueberlieferungen vor Verfälschungen bewahren können, als wir sagen, daß er die Bücher bewahrt hat? über

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