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die Vorausseßung, Virgil habe die Künstler nachgeahmt, weit unbegreiflicher wird, als mir das Widerspiel derselben geworden ist. Wenn die Künstler dem Dichter gefolgt sind, so kann ich mir von allen ihren Abweichungen Rede und Antwort geben. Sie mußten abweichen, weil die nämlichen Züge des Dichters in ihrem Werke Unbequemlichkeiten verursacht haben würden, die sich bei ihm nicht äußern. Aber warum mußte der Dichter abweichen? Wenn er der Gruppe in allen und jeden Stücken treulich nachgegangen wäre, würde er uns nicht immer noch ein vortreffliches Gemälde geliefert haben? Ich begreife wohl, wie seine für sich

Ich kann mich deßfalls auf nichts entscheidenderes berufen, als auf das Gedicht des Sadolet. Es ist eines alten Dichters würdig, und da es sehr wohl die Stelle eines Kupfers vertreten kann, so glaube ich es hier ganz einrücken zu dürfen.

DE LAOCOONTIS STATUA

IACOBI SADOLETI CARMEN.

Ecce alto terrae e cumulo, ingentisque ruinae
Visceribus, iterum reducem longinqua reduxit
Laocoonta dies; aulis regalibus olim

Qui stetit, atque tuos ornabat, Tite, penates.
Divinae simulacrum artis, nec docta vetustas
Nobilius spectabat opus, nunc celsa revisit
Exemptum tenebris redivivae moenia Romae
Quid primum summumve loquar? miserumne parentem
Et prolem geminam? an sinuatos flexibus angues
Terribili aspectu? caudasque irasque draconum
Vulneraque et veros, saxo moriente, dolores?
Horret ad haec animus, mutaque ab imagine pulsat
Pectora, non parvo pietas commixta tremori.
Prolixum bini spiris glomerantur in orbem
Ardentes colubri, et sinuosis orbibus errant,
Ternaque multiplici constringunt corpora nexu.
Vix oculi sufferre valent, crudele tuendo
Exitium, casusque feros: micat alter, et ipsum
Laocoonta petit, totumque infraque supraque
Implicat et rabido tandem ferit ilia morsu.
Connexum refugit corpus, torquentia sese
Membra, latusque retro sinuatum a vulnere cernas.
Ille dolore acri, et laniatu impulsus acerbo,
Dat gemitum ingentem, crudosque evellere dentes
Connixus, laevan impatiens ad terga Chelydri
Objicit: intendunt nervi, collectaque ab omni
Corpore vis frustra summis conatibus instat.

Ferre nequit rabiem, et de vulnere murmur anhelum est.
At serpens lapsu crebro redeunte subintrat
Lubricus, intortoque ligat genua infima nodo.
Absistunt surae, spirisque prementibus arctum
Crus tumet, obsepto turgent vitalia pulsu,
Liventesque atro distendunt sanguine venas.
Nec minus in natos eadem vis effera saevit
Implexuque angit rapido, miserandaque membra
Dilacerat: jamque alterius depasta cruentum
Pectus, suprema genitorem voce cientis.
Circumjectu orbis, validoque volumine fulcit
Alter adhuc nullo violatus corpora morsu,
Dum parat adducta caudam divellere planta,
Horret ad adspectum miseri patris, haeret in illo,
Et jam jam ingentes fletus, lachrymasque cadentes
Anceps in dubio retinet timor. Ergo perenni
Qui tantum statuistis opus jam laude nitentes,
Artifices magni (quanquam et melioribus actis
Quaeritur aeternum nomen, multoque licebat
Clarius ingenium venturae tradere famae)
Attamen ad laudem quaecunque oblata facultas
Egregium hanc rapere, et summa ad fastigia niti.
Vos rigidum lapidem vivis animare figuris
Eximii, et vivos spiranti in marmore sensus
Lessing, Werke. 11.

selbst arbeitende Phantasie ihn auf diesen und jenen Zug bringen können; aber die Ursachen, warum seine Beurthei lungskraft schöne Züge, die er vor Augen gehabt, in diese andere Züge verwandeln zu müssen glaubte, diese wollen mir nirgends einleuchten.

Mich dünkt sogar, wenn Birgil die Gruppe zu seinem Vorbilde gehabt hätte, daß er sich schwerlich würde haben mäßigen können, die Verstrickung aller drei Körper in einen Knoten gleichsam nur errathen zu lassen. Sie würde sein Auge zu lebhaft gerührt haben, er würde eine zu treffliche Wirkung von ihr empfunden haben, als daß sie nicht auch in seiner Beschreibung mehr vorstechen sollte. Ich habe gesagt: es war jest die Zeit nicht, diese Verstrickung aus zumalen. Nein; aber ein einziges Wort mehr würde ihr in dem Schatten, worin sie der Dichter lassen mußte, einen sehr entscheidenden Druck vielleicht gegeben haben. Was der Artist ohne dieses Wort entdecken konnte, würde der Dichter, wenn er es bei dem Artisten gesehen hätte, nicht ohne dasselbe gelassen haben.

Der Artist hatte die dringendsten Ursachen, das Leiden des Laokoon nicht in Geschrei ausbrechen zu lassen. Wenn aber der Dichter die so rührende Verbindung von Schmerz und Schönheit in dem Kunstwerke vor sich gehabt hätte, was hätte ihn eben so unvermeidlich nöthigen können, die Idee von männlichem Anstande und großmüthiger Geduld, welche aus dieser Verbindung des Schmerzes und der Schön heit entspringt, so völlig unangedeutet zu lassen und uns auf einmal mit dem gräßlichen Geschrei seines Laokoons zu schreden? Richardson sagt: Virgils Laokoon muß schreien, weil der Dichter nicht sowohl Mitleid für ihn, als Schrecken und Entseßen bei den Trojanern, erregen will. Ich will es zugeben, obgleich Richardson nicht erwogen zu haben scheint, daß der Dichter die Beschreibung nicht in seiner eigenen Person macht, sondern sie den Acneas machen läßt, und gegen die Dido machen läßt, deren Mitleid Aeneas nicht genug bestürmen konnte. Allein mich befremdet nicht das Geschrei, sondern der Mangel aller Gradation bis zu diesem Geschrei, auf welche das Kunstwerk den Dichter natürlicher Weise hätte bringen müssen, wenn er es, wie wir vorausseßen, zu seinem Vorbilde gehabt hätte. Richardson fügt hinzu: 1 die Geschichte des Laokoon solle bloß zu der Inserere, aspicimus motumque iramque doloremque, Et pene audimus gemitus: vos extulit olim Clara Rhodos, vestrae jacuerunt artis honores Tempore ab immenso, quos rursum in luce secunda Roma videt, celebratque frequens: operisque vetusti Gratia parta recens. Quanto praestantius ergo est Ingenio, aut quovis extendere fata labore, Quam fastus et opes et inanem extendere luxum.

(v. Leodegarii a Quercu Farrago Poëmatum T. II. p. 63) Auch Gruter hat dieses Gedicht, nebst andern des Sadolets, seiner bekannten Sammlung (Delic. Poët. Italorum Parte alt. p. 582.) mit eins verleibt; allein sehr fehlerhaft. Für bini (v 14.) liest er vivi; für errant (v. 15) oram, u. s. w

De la Peinture, Tome III. p. 516. C'est l'horreur que les Troïens ont conçue contre Laocoon, qui était nécessaire à Virgile pour la conduite de son Poëme; et cela le mène à cette 2

pathetischen Beschreibung der endlichen Zerstörung leiten; der Dichter habe sie also nicht interessanter machen dürfen, üm unsere Aufmerksamkeit, welche diese leßte schreckliche Nacht ganz fordere, durch das Unglück eines einzelnen Bürgers nicht zu zerstreuen. Allein das heißt die Sache aus einem malerischen Augenpuncte betrachten wollen, aus welchem sie gar nicht betrachtet werden kann. Das Unglück des Laokoon und die Zerstörung sind bei dem Dichter keine Gemälde neben einander; sie machen beide fein Ganzes aus, das unser Auge auf einmal übersehen könnte oder sollte; und nur in diesem Falle wäre es zu besorgen, daß unsere Blicke mehr auf den Laoloon, als auf die brennende Stadt fallen dürften. Beider Beschreibungen folgen auf einander, und ich sehe nicht, welchen Nachtheil es der folgenden bringen könnte, wenn uns die vorhergehende auch noch so sehr gerührt hätte. Es sey denn, daß die folgende an sich selbst nicht rührend genug wäre.

Noch weniger Ursache würde der Dichter gehabt haben, die Windungen der Schlangen zu verändern. Sie beschäftigen in dem Kunstwerke die Hände und verstricken die Füße. So sehr dem Auge diese Vertheilung gefällt, so leb: haft ist das Bild, welches in der Einbildung davon zurückbleibt. Es ist so deutlich und rein, daß es sich durch Worte nicht viel schwächer darstellen läßt, als durch natürliche Zeichen.

micat alter, et ipsum

Laocoonta petit, totumque infraque supraque
Implicat et rabido tandem ferit ilia morsu

At serpens lapsu crebro redeunte subintrat Lubricus, intortoque ligat genua infima nodo. Das sind Zeilen des Sadolet, die von dem Virgil ohne Zweifel noch malerischer gekommen wären, wenn ein sichtbares Vorbild seine Phantasie befeuert hätte, und die als: dann gewiß besser gewesen wären, als was er uns jezt dafür giebt:

Bis medium amplexi, bis collo squamea circum Terga dati, superant capite et cervicibus altis. Diese Züge füllen unsere Einbildungskraft allerdings; aber sie muß nicht dabei verweilen, sie muß sie nicht aufs reine zu bringen suchen, sie muß jezt nur die Schlangen, jezt nur den Laokoon sehen, sie muß sich nicht vorstellen wollen, welche Figur beide zusammen machen. Sobald sie hierauf verfällt, fängt ihr das Virgilische Bild an zu miß fallen, und sie findet es höchst 'unmalerisch.

Wären aber auch schon die Veränderungen, welche Virgil mit dem ihm geliehenen Vorbilde gemacht hätte, nicht unglüdlich, so wären sie doch bloß willkürlich. Man ahmt nach, um ähnlich zu werden; fann man aber ähnlich Déscription pathétique de la déstruction de la patrie de son Héros. Aussi Virgile n'avait garde de diviser l'attention sur la dernière nuit, pour une grande ville entière, pár la peinture d'un petit malheur d'un Particulier.

werden, wenn man über die Noth verändert? Vielmehr, wenn man dieses thut, ist der Vorsaß klar, daß man nicht ähnlich werden wollen, daß man also nicht nachgeahmt habe.

Nicht das Ganze, könnte man einwenden, aber wohl diesen und jenen Theil. Gut; doch welches sind denn diese einzelnen Theile, die in der Beschreibung und in dem Kunstwerke so genau übereinstimmen, daß sie der Dichter. aus diesem entlehnt zu haben scheinen könnte? Den Vater, die Kinder, die Schlangen, das alles gab dem Dichter sowohl als dem Artisten die Geschichte. Außer dem Histori: schen kommen sie in nichts überein, als darin, daß sie Kinder und Vater in einen einzigen Schlangenknoten ver stricken. Allein der Einfall hierzu entsprang aus dem ver änderten Umstande, daß den Vater eben dasselbe Unglüc betroffen habe, als die Kinder. Diese Veränderung aber, wie oben erwähnt worden, scheint Virgil gemacht zu haben;: denn die griechische Tradition sagt ganz etwas anders. Folglich, wenn in Ansehung jener gemeinschaftlichen Ver: strickung auf einer oder der andern Seite Nachahmung sepn soll, so ist sie wahrscheinlicher auf der Seite der Künstler, als des Dichters zu vermuthen. In allem übrigen weicht einer von dem andern ab; nur mit dem Unterschiede, daß, z wenn es der Künstler ist, der die Abweichungen gemacht. hat, der Vorsaß den Dichter nachzuahmen noch dabei be stehen kann, indem ihn die Bestimmung und die Schranken seiner Kunst däzu nöthigten; ist es hingegen der Dichter, welcher dem Künstler nachgeahmt haben soll, so sind alle die berührten Abweichungen ein Beweis wider diese vermeintliche Nachahmung, und diejenigen, welche sie dem ungeachtet behaupten, können weiter nichts damit wollen, als daß das Kunstwerk älter sey, als die poetische Beschreibung.

VII.

Wenn man sagt, der Künstler ahnte dem Dichter, oder der Dichter ahme dem Künstler nach, so kann dieses zweier: lei bedeuten. Entweder der eine macht das Werk des andern zu dem wirklichen Gegenstande seiner Nachahmung, oder sie haben beide einerlei Gegenstände der Nachahmung, und der eine entlehnt von dem andern die Art und Weise es nachzuahmen.

Wenn Virgil das Schild des Aeneas beschreibt, so ahmt er dem Künstler, welcher dieses Schild gemächt hat, in der ersten Bedeutung nach. Das Kunstwerk, nicht das, was auf dem Kunstwerke vorgestellt worden, ist der Gegenstand seiner Nachahmung, und wenn er auch schön das mit beschreibt, was man darauf vorgestellt sieht, so beschreibt er es doch nur als ein Theil des Schildes und nicht als die Sache selbst. Wenn Virgil hingegen die Gruppe Laokoon nachgeahmt hätte, so würde dieses eine Nachahmung von der zweiten Gattung seyn. Denn er würde nicht diese Gruppe, sondern das, was diese Gruppe vorstellt, nachgeahnit, und nur die Züge seiner Nachahmung von ihr entlehnt haben.

Bei der ersten Nachahmung ist der Dichter Original, | Waffenschmieden auf den Helmen und Schilden vorgestellt wurde, und daß Juvenal einen solchen Helm over Schild

bei der andern ist er Copist. Jene ist ein Theil der allge: ir meinen Nachahmung, welche das Wesen seiner Kunst ausmacht, und er arbeitet als Genie, sein Vorwurf mag ein Werk anderer Künste oder der Natur seyn. Diese hingegen seßt ihn gänzlich von seiner Würde herab; anstatt der - Dinge selbst ahmt er ihre Nachahmungen nach und giebt uns falte Erinnerungen von Zügen eines fremden Genies für ursprüngliche Züge seines eigenen.

Wenn indeß Dichter und Künstler diejenigen Gegens stände, die sie mit einander gemein haben, nicht selten aus dem nämlichen Gesichtspuncte betrachten müssen: so kann = es nicht fehlen, daß ihre Nachahmungen nicht in vielen - Stücken übereinstimmen sollten, ohne daß zwischen ihnen Eselbst die geringste Nachahmung oder Beeiferung gewesen.

Diese Uebereinstimmungen können bei zeitverwandten Künst - lern und Dichtern, über Dinge, welche nicht mehr vorhan: den sind, zu wechselsweisen Erläuterungen führen! allein ➡ dergleichen Erläuterungen dadurch aufzustußen suchen, daß = man aus dem Zufalle Vorsaß macht, und besonders dem Poeten bei jeder Kleinigkeit ein Augenmerk auf diese Statue = oder auf jenes Gemälde andichtet, heißt ihm einen sehr zweideutigen Dienst erweisen. Und nicht allein ihm, sondern = auch dem Leser, dem man die schönste Stelle dadurch, wenn - Gott will, sehr deutlich, aber auch trefflich frostig macht.

Dieses ist die Absicht und der Fehler eines berühmten = englischen Werks. Spence schrieb seinen Polymetis 1 mit vieler classischen Gelehrsamkeit und in einer sehr vertrauten - Bekanntschaft mit den übergebliebenen Werken der alten Kunst. Seinen Vorjah, aus diesen die römischen Dichter zu erklären, und aus den Dichtern hinwiederum Aufschlüsse für noch unerklärte alte Kunstwerke herzuholen, hat er öfters glücklich erreicht. Aber dem ungeachtet behaupte ich, daß sein Buch für jeden Leser von Geschmack ein ganz unerträgliches Buch seyn muß.

Es ist natürlich, daß, wenn Valerius Flaccus den geflügelten Blig auf den römischen Schilden beschreibt,

(Nec primus radios, miles Romane, corusci
Fulminis et rutilas scutis diffuderis alas)

mir diese Beschreibung weit deutlicher wird, wenn ich die
Abbildung eines solchen Schildes auf einem alten Dent-
mal erblicke.? Es kann seyn, daß Mars in eben der schwe
benden Stellung, in welcher ihn Addison über der Rhea
auf einer Münze zu sehen glaubte, 3 auch von den alten

1 Die erste Ausgabe ist von 1747; die zweite von 1755 und führt den Titel: Polymetis, or an Enquiry concerning the Agreement hetween the Works of the Roman Poets, and the Remains of the ancient Artists, being an Attempt to illustrate them mutually from one another. In ten Books, by the Revd. Mr. Spence. London, printed for Dodsley. fol. Auch ein Auszug, welchen N. Tindal aus diesem Werke gemacht hat, ist bereits mehr als einmal gedruckt

woorden.

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als man noch von keiner Pracht und Ueppigkeit wußte, und der
Soldat das erbeutete Gold und Silber nur auf das Geschirr seines
Pferdes und auf seine Waffen verwandte. (Sat. XI. v. 100-107.)
Tune rudis et Grajas mirari nescius artes
Urbibus eversis praedarum in parte reperta
Magnorum artificum frangebat pocula miles,
Ut phaleris gauderet equus, caelataque cassis
Romuleae simulacra ferae mansuescere jussae
Imperii fato, geminos sub rupe Quirinos,

Ac nudam effigiem clypeo fulgentis et hasta,
Pendentisque Dei perituro ostenderet hosti.
Der Solbat zerbrach die kostbarsten Becher, die Meisterstücke großer
Künstler, um eine Wölfin, einen fleinen Romulus und Remus daraus
arbeiten zu lassen, womit er seinen Helm ausschmückte. Alles ist
verständlich, bis auf die legten zwei Zeilen, in welchen der Dichter
fortfährt, noch ein solches getriebenes Bild auf den Helmen der alten
Soldaten zu beschreiben. So viel sieht man wohl, daß dieses Bild
der Gott Mars seyn soll; aber was soll das Befwort pendentis,
welches er ihm giebt, bedenten? Rigaltius fand eine alte Gloffe, bfe
es durch quasi ad ictum se inclinantis erflärt. Lubinns meint, das
Bild seh auf dem Schilde gewesen, und da das Schild an dem Arme
hänge, so habe der Dichter auch das Bild hängend nennen können.
Allein dieses ist wider die Construction; denn das zu ostenderet ge
hörige Subject ist nicht miles fondern cassis. Britannicus will,
alles was hoch in der Luft stehe, könne hangend heißen, und also
auch dieses Bild über oder auf dem Helme. Einige wollen gar per-
dentis dafür lesen, um einen Gegensah mit dem folgenden perituro
zu machen, den aber nur sie allein schön finden dürften. Was fagt
nun Addison bei dieser Ungewißheit? Die Ausleger, sagt er, trren
sich alle, und die wahre Meinung ist ganz gewiß diese. (S. dessen
Reisen deut. Uebers. Seite 249.) „Da die römischen Soldaten sich
nicht wenig auf den Stifter und kriegerischen Geift ihrer Republik
„einbildeten, so waren sie gewohnt, auf ihren Helmen die erste Ge.
schichte des Romulus zu tragen, wie er von einem Gotte erzeugt und
‚von ciñer Wölfin gesäugt worden. Die Figur des Gotteß war vor
"gestellt, wie er sich auf die Priesterin Zlia, oder wie sie andere
„nennen, Rhea Sylvia, herabläßt, und in diesem Herablaffen schien
„fie über der Jungfrau in der Luft zu schweben, welches denn burch `-
„das Wort pendentis fehr eigentlich und poetisch aufgedrückt wird.
„Außer dem alten Basrelief beim Bellori, welches mich zuerst auf
„diese Auslegung brachte, habe ich seitdem die nämliche Figur auf
„einer Münze gefunden, die unter der Zeit des Antoninus Pius ge-
schlagen worden." —— Da Spence diese Entdeckung des Addison fo
außerordentlich glücklich findet, daß er sie als ein Muster in ihrer
Art und als das stärkste Beispiel anführt, wie nüßlich die Werke der
alten Artisten zur Erklärung der classischen römischen Dichter gebraucht
werden können: so kann ich mich nicht enthalten, fie ein wenig genauer
zu betrachten. (Polymetis Dial. VII. p. 77.) — Fürs erste muß ich
anmerken, daß bloß das Basrelief und die Münze dem Addison wohl
schwerlich die Stelle des Juvenals in die Gedanken gebracht haben
würde, wenn er sich nicht zugleich erinnert hätte, bei dem alten Scho-
liaften, der in der leßten ohn einen Zeile anstatt fulgentis, venientis
gefunden, die Glosse gelesen zu haben: Martis ad Iliam venientis ut
concumberet. Nun nehme man aber diese Lesart des Scholiaften
nicht an, sondern man nehme die an, welche Addison selbst annimmt,
und sage, ob man sodann die geringste Spur findet, daß der Dichter
die Rhea in Gedanken gehabt habe? Man sage, ob es nicht ein wahres
Hysteronproteron von ihm seyn würde, daß er von der Wölfin und
den jungen Knaben rede, und sodann erst von dem Abenteuer, dem
sie ihr Daseyn zu danken haben? Die Rhea ist noch nicht Mutter,
und die Kinder liegen schon unter dem Felsen. Man sage, ob eine
Schäferstunde wohl ein schickliches Emblema auf dem Helme eines
römischen Soldaten gewesen wäre? Der Soldat war auf den götts
lichen Ursprung seines Stifters stolz, das zeigten die Wölfin und die
Kinder genugsam; mußte er auch noch den Mars im Begriffe einer
Handlung zeigen, in der er nichts weniger als der fürchterliche Mars-
war? Eeine Ueberraschung der Rhea mag auf noch so viel alten
Marmorn und Münzen zu finden seyn, paßt sie darum auf das Stück
einer Rüstung? Und welches sind denn die Marmor und Münzen, i

in Gedanken hatte, als er mit einem Worte darauf anspielte, welches bis auf den Addison ein Räthsel für alle

auf welchen fie Addison fand, und wo er den Mars in dieser schwebenden Stellung sah? Das alte Basrelief, worauf er sich beruft, soll Bellori haben. Aber die Admiranda, welches seine Sammlung der schönsten alten Basreliefs ist, wird man vergebens darnach durchblättern. Ich habe es nicht gefunden, und auch Spence muß es weder da, noch sonst wo gefunden haben, weil er es gänzlich mit Stillschweigen übergeht. Alles kommt also auf die Münze an. Nun betrachte man diese bei dem Addison selbst. Ich erblicke eine liegende Rhea; und da dem Stempelschneider der Raum nicht erlaubte, die Figur des Mars mit ihr auf gleichem Boden zu stellen, so steht er ein wenig höher. Das ist es alles; schwebendes hat sie außer diesem nicht das geringste Es ist wahr, in der Abbildung, die Spence davon giebt, ist das Schweben sehr stark ausgedrückt; die Figur fällt mit dem Dbertheile weit vor, und man sieht deutlich, daß es kein stehender Körper ist, sondern daß, wenn es kein fallender Körper seyn soll, es nothwendig ein schwebender seyn muß. Spence sagt, er besiße diese Münze selbst. Es wäre hart, obschon in einer Kleinigkeit, die Aufrichtigkeit eines Mannes in Zweifel zu ziehen. Allein ein gefaßtes Vorurtheil kann auch auf unsere Augen Einfluß haben; zu dem konnte er es zum Besten seiner Leser für erlaubt halten, den Ausdruck, welchen er zu sehen glaubte, durch seinen Künstler so verstärken zu lassen, daß uns eben so wenig Zweifel deßfalls übrig bliebe, als ihm selbst So viel ist gewiß, daß Spence und Addison eben dieselbe Münze meinen, und daß sie sonach entweder bei diesem sehr verstellt, oder bei jenem sehr verschönert seyn muß. Doch ich habe noch eine andere Anmerfung wider dieses vermeintliche Schweben des Mars. Diese nämlich: daß ein schwebender Körper, ohne eine scheinbare Ursache, durch welche die Wirkung seiner Schwere verhindert wird, eine Ungereimtheit ist, von der man in den alten Kunstwerken kein Exempel findet. Auch die neue Malerei erlaubt sich dieselben nie, sondern wenn ein Körper in der Luft hangen soll, so müssen ihn entweder Flügel halten, oder er muß auf etwas zu ruhen scheinen, und sollte es auch nur eine bloße Wolke seyn. Wenn Homer die Thetis von dem Gestade sich zu Tus in ben Olymp ericben läft, Την μεν ας Ούλυμπόνδε πόδες pɛgov (Iliad. ♬ v. 148.) so versteht der Graf Caylus die Bedürfnisse der Kunst zu wohl, als daß er dem Maler rathen sollte, die Göttin so frei die Luft durchschreiten zu lassen. Sie muß ihren Weg auf einer Wolke nehmen (Tableaux tirés de l'Iliade p. 91), so wie er sie ein andermal auf einen Wagen sest (p. 131), obgleich der Dichter das Gegentheil von ihr sagt. Wie kann es auch wohl anders seyn? Ob uns schon der Dichter die Göttin ebenfalls unter einer menschlichen Figur denken läßt, so hat er doch alle Begriffe eines groben und schweren Stoffes davon entfernt, und ihren menschenähnlichen Körper mit einer Kraft belebt, die ihn von den Gesezen unferer Bewegung ausnimmt. Wodurch aber könnte die Malerei die körperliche Figur einer Gottheit von der körperlichen Figur eines Menschen so vorzüglich unterscheiden, daß unser Auge nicht beleidigt würde, wenn es bei der einen ganz andere Regeln der Bewegung, der Schwere, des Gleichgewichts beobachtet fände, als bei der andern? Wodurch anders, als durch verabredete Zeichen? In der That find ein paar Flügel, eine Wolke auch nichts anders, als dergleichen Zeichen. Doch von diesem ein mehreres an einem andern Orte. Hier ist es genug, von den Vertheidigern der Addison'schen Meinung zu vers langen, mir eine andere ähnliche Figur auf alten Denkmälern zu zeigen, die so frei und bloß in der Luft hange. Sollte dieser Mars die einzige in ihrer Art seyn? Und warum? Hatte vielleicht die Tradition einen Umstand überliefert, der ein dergleichen Schweben in diesem Falle nothwendig macht? Beim Ovid (Fast. lib. 1) läßt sich nicht die geringste Spur davon entdecken. Vielmehr kann man zeigen, daß es keinen solchen Umstand könne gegeben haben Denn es finden fich andere alte Kunstwerke, welche die nämliche Geschichte vorstellen, und wo Mars offenbar nicht schwebt, sondern geht. Man betrachte das Basrelief beim Montfaucon (Suppl. T. 1. p. 183), das sich, wenn ich nicht irre, zu Rom in dem Palaste der Mellini befindet. Die schlafende Rhea liegt unter einem Baume, und Mars nähert sich ihr mit leisen Schritten, und mit der bedeutenden Zurücftredung der rechten Hand, mit der wir denen hinter uns entweder zurückzubleiben oder sachte zu folgen befehlen. Es ist vollkommen die nämliche Stellung, in der er auf der Münze erscheint, nur daß er hier die Lanze

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Meque juves, intresque sinus, gratissima, nostros! und seine Procris diese Aura für den Namen einer Nebenbuhlerin hält, daß ich, sage ich, diese Stelle natürlicher finde, wenn ich aus den Kunstwerken der Alten ersehe, daß sie wirklich die sanften Lüfte personifirt und eine Art weiblicher Sylphen unter dem Namen Aurae verehrt haben. Ich gebe es zu, daß wenn Juvenal einen vornehmen Taugenichts mit einer Hermessäule vergleicht, man das Aehnliche in dieser Vergleichung schwerlich finden dürfte, ohne eine solche Säule zu sehen, ohne zu wissen, daß es ein schlechter Pfeiler ist, der bloß das Haupt, höchstens mit dem Rumpfe, des Gottes trägt, und weil wir in der rechten und dort in der linken Hand führt. Man findet öfter berühmte Statuen und Basreliefe auf alten Münzen copirt, als daß es auch nicht hier könnte geschehen seyn, wo der Stempelschneider den Ausdruck der zurückgewandten rechten Hand vielleicht nicht fühlte, und fie daher beffer mit der Lanze füllen zu können glaubte. Alles dieses nun zusammen genommen, wie viel Wahrscheinlichkeit bleibt dem Addison noch übrig? Schwerlich mehr, als so viel deren die bloße Möglichkeit hat Doch woher eine bessere Erklärung, wenn diese nichts taugt? Es kann seyn, daß sich schon eine bessere unter den vom Addison verworfenen Erklärungen findet. Findet sich aber auch teine, was mehr? Die Stelle des Dichters ist verdorben; fie mag es bleiben. Und sie wird es bleiben, wenn man auch noch zwanzig neue Vermuthungen darüber auskramen wollte. Dergleichen könnte z. E. diese seyn, daß pendentis in feiner figürlichen Bedeutung genommen werden müsse, nach welcher es so viel als ungewiß, unentschlossen, unentschieden heißt. Mars pendens wäre alsdann so viel als Mars incertus oder Mars communis. Dii communes sunt, sagt Servius, (v. 148. lib. XII. Aeneid.) Mars, Bellona, Victoria, quia hi in bello utrique parti favere possunt. Und die ganze Zeile,

Pendentisque Dei (efligiem) perituro ostenderet hosti, würde diesen Sinn haben, daß der alte römische Soldat das Bildniß des gemeinschaftlichen Gottes seinem dem ungeachtet bald unterliegenden Feinde unter die Augen zu tragen gewohnt gewesen sey. Ein sehr feiner Zug, der die Siege der alten Römer mehr zur Wirkung ihrer eigenen Tapferkeit, als zur Frucht des parteiischen Beistandes ihres Stammbaters macht. Dem ungeachtet: non liquet.

"

„Ehe ich, sagt Spence (Polymetis Dialogue XIII. p. 208), mit „diesen Aurae, Luftnymphen, bekannt ward, wußte ich mich in die „Geschichte von Tephalus und Procris beim Ovid gar nicht zu finden. „Ich konnte auf keine Weise begreifen, wie Cephalus durch seine Aus« rufung Aura venias, fie mochte auch in einem noch so zärtlichen schmachtenden Tone erschollen seyn, jemanden auf den Argwohn „bringen können, daß er seiner Procris untreu sey. Da ich gewohnt ,war, unter dem Worte Aura nichts als die Luft überhaupt oder „einen sanften Wind insbesondere zu verstehen, so kam mir die Eifer„sucht der Procris noch weit ungegründeter vor, als auch die aller„ausschweifendste gemeiniglich zu seyn pflegt. Als ich aber einmal ge„funden hatte, daß Aura eben sowohl ein schönes junges Mädchen, „als die Luft bedeuten könnte, so bekam die Sache ein ganz anderes „Ansehen, und die Geschichte dünkte mich eine ziemlich vernünftige „Wendung zu bekommen." Ich will den Beifall, den ich dieser Entdeckung, mit der sich Spence so sehr schmeichelt, in dem Texte ertheile, in der Note nicht wieder zurücknehmen. Ich kann aber doch nicht unangemerkt lassen, daß auch ohne sie die Stelle des Dichters ganz natürlich und begreiflich ist. Man darf nämlich nur wissen, daß Aura bei den Alten ein ganz gewöhnlicher Name für Frauenzimmer war. So heißt z. E. beim Nonnus (Dionys. lib. XLVIII.) die Nymphe aus dem Gefolge der Diana, die, weil sie sich einer männlichern Schönheit rühmte, als selbst der Göttin ihre war, zur Strafe für ihre Bermessenheit schlafend den Umarmungen des Bacchus preis gegeben ward,

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Nil nisi Cecropides; truncoque simillimus Hermae: Nullo quippe alio vincis discrimine, quam quod Illi marmoreum caput est, tua vivit imago. Benn Spence die griechischen Schriftsteller mit in seinen Plan gezogen gehabt hätte, so würde ihm vielleicht, vielleicht aber auch nicht, eine alte äsopische Fabel beigefallen seyn, die aus der Bildung einer solchen Hermessäule ein noch weit schöneres und zu ihrem Verständnisse weit unentbehrlicheres Licht erhält, als diese Stelle des Juvenals. „Merkur,“ erzählt Aesopus, „wollte gern erfahren, in welchem An„sehen er bei den Menschen stünde. Er verbarg seine Gottheit und „lam zu einem Bildhauer. Hier erblickte er die Statue des Jupiters, und fragte den Künstler, wie theuer er sie halte? Eine Drachme: war die Antwort Merkur lächelte; und diese Juno? fragte er weiter. „Ungefähr eben so viel. Indem ward er sein eigenes Bild gewahr, „und dachte bei sich selbst: ich bin der Bote der Götter; von mir tommt aller Gewinn; mich müssen die Menschen nothwendig weit „höher schäßen. Aber hier dieser Gott? (Er wies auf sein Bild.) „Bie theuer möchte wohl der seyn? Dieser? antwortete der Künstler. „D, wenn ihr mir jene beide ablauft, so sollt ihr diesen oben drein haben." Merkur war abgeführt. Allein der Bildhauer kannte ihn nicht, und konnte also auch nicht die Absicht haben, seine Eigenliebe zu kränken, sondern es mußte in der Beschaffenheit der Statuen selbst gegründet seyn, warum er die lettere so geringschäßig hielt, daß er fie zur Zugabe bestimmte. Die geringere Würde des Gottes, welchen fie vorstellte, konnte dabei nichts thun, denn der Künstler schäßt seine Berke nach der Geschicklichkeit, dem Fleiße und der Arbeit, welche fie erfordern, und nicht nach dem Range und dem Werthe der Wesen, welche sie ausdrücken. Die Statue des Merkurs mußte weniger Geschicklichkeit, weniger Fleiß und Arbeit verlangen, wenn sie weniger losten sollte, als eine Statue des Jupiters oder der Juno. Und so war es hier wirklich. Die Statuen des Jupiters und der Juno zeigten die völlige Person dieser Götter: die Statue des Merkurs hingegen war ein schlechter viereckigter Pfeiler, mit dem bloßen Bruftbilde deffelben. Bas Bunder also, daß sie oben brein gehen konnte? Merkur übersah diesen Umstand, weil er sein vermeintliches überwiegenbes Verdienst nur allein vor Augen hatte, und so war seine Demüthigung eben so natürlich, als verdient. Man wird sich vergebens bei den Auslegern und Ueberjeßern und Nachahmern der Fabeln des Aesopus nach der geringsten Spur von dieser Erklärung umsehen; wohl aber könnte ich ihrer eine ganze Reihe anführen, wenn es sich der Mühe lohnte, die das Mährchen geradezu verstanden, das ist, ganz und gar nicht verstanden haben. Sie haben die Ungereimtheit, welche darin liegt, wenn man die Statuen alle für Werke von einerlei Ausführung annimmt, entweder nicht gefühlt, oder wohl noch gar übertrieben. Bas sonst in dieser Fabel anstößig seyn könnte, wäre vielleicht der Preis, welchen der Künstler seinem Jupiter seht. Für eine Drachme kann ja wohl auch kein Töpfer eine Puppe machen. Eine Drachme muß also hier überhaupt für etwas sehr geringes stehen. (Fab. Aesop. 90. Edit. Haupt p. 70.)

röthe mischen sich auf dem ganzen Körper, wie auf der zarten Wange der Braut, die jeßt ihrem Geliebten zurüďgeführt wird: ·warum müssen diese Züge von alten berühmten Gemälden erborgt seyn? Echions nova nupta verecundia notabilis mag in Rom gewesen seyn, mag tausend und tausendmal seyn copirt worden, war darum die bräutliche Schaam selbst aus der Welt verschwunden? Seit fie der Maler gesehen hatte, war sie für keinen Dichter mehr zu sehen, als in der Nachahmung des Malers? 1 Oder wenn ein anderer Dichter den Vulkan ermüdet, und sein vor der Esse erhißtes Gesicht roth, brennend nennt: mußte er es erst aus dem Werke eines Malers lernen, daß Arbeit ermattet und Hiße röthet?? Oder wenn Lucrez den Wechsel der Jahreszeiten beschreibt, und sie mit dem ganzen Gefolge ihrer Wirkungen in der Luft und auf der Erde in ihrer natürlichen Ordnung vorüber führt: war Lucrez ein Ephemeron, hatte er kein ganzes Jahr durchlebt, um alle die Veränderungen selbst erfahren zu haben, daß er sie nach einer Procession schildern mußte, in welcher ihre Statuen herumgetragen wurden? Mußte er erst von diesen Statuen den alten poetischen Kunstgriff lernen, dergleichen Abstracta zu wirklichen Wesen zu machen?3 Oder Virgils pontem indignatus Araxes, dieses vortreffliche poetische

1 Tibullus Eleg. 4. lib. III. Polymetis Dial. VIII. p. 84.
2 Statius lib. 1. Sylv. 5. v. 8 Polymetis Dial. VIII. p. 81.

a Lucretius de R. N. lib. V. v. 736-747.

It Ver, et Venus, et Veneris praenuntius ante Pinnatus graditur Zephyrus; vestigia propter Flora quibus mater praespargens ante viai Cuncta coloribus egregiis et odoribus opplet. Inde loci sequitur Calor aridus, et comes una Pulverulenta Ceres; et Etesia flabra Aquilonum. Inde Autumnus adit; graditur simul Evius Evan: Inde aliae tempestates ventique sequuntur, Altitonans Volturnus et Auster fulmine pollens. Tandem Bruma nives adfert, pigrumque rigorem Reddit, Hyems sequitur, crepitans ac dentibus Algus. Spence erkennt diese Stelle für eine von den schönsten in dem ganzen Gedichte des Lucrez Wenigstens ist sie eine von denen, auf welche fich die Ehre des Lucrez als Dichter gründet. Aber wahrlich, es heißt ihm diese Ehre schmälern, ihn völlig darum bringen wollen, wenn man sagt: Diese ganze Beschreibung scheint nach einer alten Procession der vergötterten Jahreszeiten nebst ihrem Gefolge gemacht zu seyn. Und warum das? „Darum,“ sagt der Engländer, „weil bei den Rö„mern ehedem dergleichen Processionen mit ihren Göttern überhaupt „eben so gewöhnlich waren, als noch jezt in gewissen Ländern die „Proceffionen sind, die man den Heiligen zu Ehren anstellt; und weil „biernächst alle Ausdrücke, welche der Dichter hier braucht, auf eine „Procession recht sehr wohl passen." (come in very aptly, if applied to a procession.) Treffliche Gründe! Und wie vieles wäre gegen den legten noch einzuwenden. Schon die Beiwörter, welche der Dichter den personifirten Abstracten giebt, Calor aridus, Ceres pulverulenta, Volturnus altitonans, fulmine pollens Auster, Algus dentibus crepitans, zeigen, daß sie das Wesen von ihm und nicht von dem Künstler baben, der sie ganz anders hätte charakterisiren müssen. Spence scheint übrigens auf diesen Einfall von einer Proceffion durch Abraham Preigern gekommen zu seyn, welcher in seinen Anmerkungen über die Stelle des Dichters sagt: Ordo est quasi Pompae cujusdam, Ver et Venus, Zephyrus et Flora etc. Allein dabei hätte es auch Spence nur sollen bewenden lassen. Der Dichter führt die Jahreszeiten gleichsam in einer Procession auf; das ist gut. Aber er hat es von einer Proceffion gelernt, fie so aufzuführen; das ist sehr abgeschmackt.

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