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Lustspiele des Campistron geschöpft habe, und daß, wenn dieser nicht seinen Jaloux désabusé geschrieben hätte, wir wohl schwerlich einen verheiratheten Philosophen haben würden. Die Komödie des Campistron ist unter uns wenig bekannt; ich wüßte nicht, daß sie auf irgend einem deutschen Theater wäre gespielt worden; auch ist keine Ueber: jezung davon vorhanden. Man dürfte also vielleicht um so viel lieber wissen wollen, was eigentlich an dem Vorgeben des Chevrier sey.

Die Fabel des Campistron'schen Stücks ist kurz diese: Ein Bruder hat das ansehnliche Vermögen seiner Schwester in Händen, und um dieses nicht herausgeben zu dürfen, möchte er sie lieber gar nicht verheirathen. Aber die Frau dieses Bruders denkt besser, oder wenigstens anders, und um ihren Mann zu vermögen, seine Schwester zu versorgen, sucht sie ihn auf alle Weise eifersüchtig zu machen, indem sie verschiedene junge Mannspersonen sehr gütig aufnimmt, die alle Tage unter dem Vorwande, sich um ihre Schwägerin zu bewerben, zu ihr ins Haus kommen. Die List gelingt; der Mann wird eifersüchtig, und willigt endlich, um seiner Frau den vermeinten Vorwand, ihre Anbeter um sich zu haben, zu benehmen, in die Verbindung seiner Schwester mit Clitandern, einem Anverwandten seiner Frau, dem zu gefallen sie die Rolle der Coquette ge= spielt hatte. Der Mann sieht sich berückt, ist aber sehr zufrieden, weil er zugleich von dem Ungrunde seiner Eiferjucht überzeugt wird.

Was hat diese Fabel mit der Fabel des verheiratheten Philosophen ähnliches? Die Fabel nicht das geringste. Aber hier ist eine Stelle aus dem zweiten Act des Campistron'schen Stücks, zwischen Dorante, so heißt der Eifer jüchtige, und Dubois, seinem Secretär. Diese wird gleich zeigen, was Chevrier gemeint hat.

Dubois. Und was fehlt Ihnen denn?

Dorante. Ich bin verdrüßlich, ärgerlich; alle meine ehemalige Heiterkeit ist weg; alle meine Freude hat ein Ende. Der Himmel hat mir einen Tyrannen, einen Henker gegeben, der nicht aufhören wird, mich zu martern, zu peinigen

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bin ich nun daran! Ich Geck, mich von den elenden Sitten der großen Welt so hinreißen zu lassen! In das Geschrei der Narren einzustimmen, die sich über die Ordnung und Zucht unserer ehrlichen Vorfahren so lustig machen! Und ich stimmte nicht bloß ein; es währte nicht lange, so gab ich den Ton. Um Wiß, um Lebensart zu zeigen, was für albernes Zeug habe ich nicht gesprochen! Eheliche Treue, beständige Liebe, pfui, wie schmedt das nach dem kleinstädtischen Bürger! Der Mann, der seiner Frau nicht allen Willen läßt, ist ein Bär! Der es ihr übel nimmt, wenn sie auch andern gefällt und zu gefallen sucht, gehört ins Tollhaus. So sprach ich, und mich hätte man da sollen ins Tollhaus schicken.

Dubois. Aber warum sprachen Sie so?

Dorante. Hörst du nicht? Weil ich ein Geck war und glaubte, es ließe noch so galant und weise. — Inzwischen wollte mich meine Familie verheirathet wissen. Sie schlugen mir ein junges, unschuldiges Mädchen vor, und ich nahm es. Mit der, dachte ich, soll es gute Wege haben; die soll in meiner Denkungsart nicht viel ändern; ich liebe sie jest nicht besonders, und der Besiß wird mich noch gleichgültiger gegen sie machen. Aber wie sehr habe ich mich betrogen! Sie ward täglich schöner, täglich reizender. Ich sah es und entbrannte, und entbrannte je mehr und mehr; und jezt bin ich so verliebt, so verliebt in sie

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Daß ich

Dubois. Nun, das nenne ich gefangen werden! Dorante. Denn ich bin so eifersüchtig! mich schäme, es auch nur dir zu bekennen. Alle meine Freunde sind mir zuwider — und verdächtig; die ich sonst nicht oft genug um mich haben konnte, sehe ich jezt lieber gehen als kommen. Was haben sie auch in meinem Hause zu suchen? Was wollen die Müßiggänger? Wozu alle die Schmeicheleien, die sie meiner Frau machen? Der eine lobt ihren Verstand, der andere erhebt ihr gefälliges Wesen bis in den Himmel. Den entzücken ihre himmlischen Augen, und den ihre schönen Zähne. Alle finden sie höchst reizend, höchst anbetungswürdig; und immer schließt sich ihr verdammtes Geschwäß mit der verwünschten Betrachtung, was für ein glücklicher, was für ein beneidenswürdiger Mann ich bin.

Dubois. Ja, ja, es ist wahr, so geht es zu. Dorante. O, sie treiben ihre unverschämte Kühnheit wohl noch weiter! Kaum ist sie aus dem Bette, so sind sie um ihre Toilette. Da solltest du erst sehen und hören! Jeder will da seine Aufmerksamkeit und seinen Wig mit dem andern um die Wette zeigen. Ein abgeschmadter Einfall jagt den andern, eine boshafte Spötterei die andere, ein kizelndes Histörchen das andere. Und das alles mit Zeichen, mit Mienen, mit Liebäugeleien, die meine Frau so leutselig annimmt, so verbindlich erwiedert, daß daß mich der Schlag oft rühren möchte! Kannst du glauben, Dubois? ich muß es wohl mit ansehen, daß sie ihr die Hand küssen.

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Dubois. Das ist arg!

Dorante. Gleichwohl darf ich nicht muchsen. Denn was würde die Welt dazu sagen? Wie lächerlich würde ich mich machen, wenn ich meinen Verdruß auslassen wollte? Die Kinder auf der Straße würden mit Fingern auf mich weisen. Alle Tage würde ein Epigramm, ein Gassenhauer auf mich zum Vorschein kommen u. s. w.

Diese Situation muß es seyn, in welcher Chevrier das Aehnliche mit dem verheiratheten Philosophen gefunden hat. So wie der Eifersüchtige des Campistron sich schämt, seine Eifersucht auszulassen, weil er sich ehedem über diese Schwachheit allzu lustig gemacht hat: so schämt sich auch der Philosoph des Destouches, seine Heirath bekannt zu machen, weil er ehedem über alle ernsthafte Liebe gespottet und den ehelosen Stand für den einzigen erklärt hatte, der einem freien und weisen Mann anständig sey. Es kann auch nicht fehlen, daß diese ähnliche Scham sie nicht beide in mancherlei ähnliche Verlegenheiten bringen sollte. So ist z. E. die, in welcher sich Dorante beim Campistron sieht, wenn er von seiner Frau verlangt, ihm die überlästigen Besuche vom Halse zu schaffen, diese aber ihn bedeutet, daß das eine Sache sey, die er selbst bewerkstelligen müsse, fast die nämliche mit der bei dem Destouches, in welcher sich Arist befindet, wenn er es selbst dem Marquis sagen soll, daß er sich auf Meliten keine Rechnung machen könne. Auch leidet dort der Eifersüchtige, wenn seine Freunde in seiner Gegenwart über die Eifersüchtigen spotten, und er selbst sein Wort dazu geben muß, ungefähr auf gleiche Weise als hier der Philosoph, wenn er sich muß sagen lassen, daß er ohne Zweifel viel zu klug und vorsichtig sey, als daß er sich zu so einer Thorheit, wie das Heirathen, sollte haben verleiten lassen.

Dem ungeachtet aber sehe ich nicht, warum Destouches bei seinem Stücke nothwendig das Stück des Campistron vor Augen gehabt haben müßte, und mir ist es ganz begreiflich, daß wir jenes haben könnten, wenn dieses auch nicht vorhanden wäre. Die verschiedensten Charaktere können in ähnliche Situationen gerathen; und da in der Komödie die Charaktere das Hauptwerk, die Situationen aber nur die Mittel sind, jene sich äußern zu lassen und ins Spiel zu sehen, so muß man nicht die Situationen, sondern die Charaktere in Betrachtung ziehen, wenn man bestimmen will, ob ein Stück Original oder Copie genannt zu werden verdiene. Umgekehrt ist es in der Tragödie, wo die Charaktere weniger wesentlich sind und Schrecken und Mitleid vornehmlich aus den Situationen entspringt. Aehnliche Situationen geben also ähnliche Tragödien, aber nicht ähnliche Komödien. Hingegen geben ähnliche Charaktere ähnliche Komödien, anstatt daß sie in den Tragö dien fast gar nicht in Erwägung kommen.

Der Sohn unsers Dichters, welcher die prächtige Ausgabe der Werke seines Vaters besorgt hat, die vor einigen Jahren in vier Quartbänden aus der königlichen Druckerei

zu Paris erschien, meldet uns in der Vorrede zu dieser Ausgabe eine besondere dieses Stück betreffende Anekdote. Der Dichter nämlich habe sich in England verheirathet, und aus gewissen Ursachen seine Verbindung geheim halten müssen. Eine Person aus der Familie seiner Frau aber habe das Geheimniß früher ausgeplaudert, als ihm lieb gewesen, und dieses habe Gelegenheit zu dem verheiratheten Philosophen gegeben. Wenn dieses wahr ist, und warum sollten wir es seinem Sohne nicht glauben? — so dürfte die vermeinte Nachahmung des Campistron um so eher wegfallen.

Bweinndfunfzigstes Stück.

Den 27. October 1767.

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Den vierzigsten Abend (Donnerstags, den 9. Juli) ward Schlegels Triumph der guten Frauen aufgeführt.

Dieses Lustspiel ist unstreitig eines der besten deutsch en Originale. Es war, so viel ich weiß, das lezte komische Werk des Dichters, das seine frühern Geschwister unendlich übertrifft und von der Reife seines Urhebers zeugt. Der geschäftige Müßiggänger war der erste jugendliche Versuch, und fiel aus, wie alle solche jugendliche Versuche ausfallen. Der Wiß verzeihe es denen und räche sich nie an ihnen, die allzuviel Wiß darin gefunden haben! Er enthält das kalteste, langweiligste Alltagsgewäsche, das nur immer in dem Hause eines Meißnischen Pelzhändlers vorfallen kann. Ich wüßte nicht, daß er jemals wäre aufgeführt worden, und ich zweifle, daß seine Vorstellung dürfte auszuhalten seyn. Der Geheimnißvolle ist um vieles besser; ob es gleich der Geheimnißvolle gar nicht geworden ist, den Moliere in der Stelle geschildert hat, aus welcher Schlegel den Anlaß zu diesem Stücke wollte genommen haben. 1 Molieres Geheimnißvoller ist ein Geck, der sich ein wichtiges Ansehen geben will; Schlegels Geheimnißvoller aber ein gutes ehr liches Schaf, das den Fuchs spielen will, um von den Wölfen nicht gefressen zu werden. Daher kommt es auch, daß er so viel ähnliches mit dem Charakter des Mißtrauischen hat, den Cronegt hernach auf die Bühne brachte. Beide Charaktere aber, oder vielmehr beide Nüancen des nämlichen Charakters können nicht anders als in einer so fleinen und armseligen, oder so menschenfreundlichen und häßlichen Seele sich finden, daß ihre Vorstellungen noth wendig mehr Mitleiden oder Abscheu erweden müssen, als Lachen. Der Geheimnißvolle ist wohl sonst hier aufgeführt worden; man versichert mich aber auch durchgängig, und 1 Misanthrope Acte II. Sc. 4.

C'est de la tête aux pieds, un homme tout mistère,
Qui vous jette, en passant, un coup d'œil égaré,
Et sans aucune affaire est toujours affairé.
Tout ce qu'il vous debite en grimaces abonde.
A force de façons il assomme le monde.
Sans cesse il a tout bas, pour rompre l'entretien,
Un secret à vous dire, et ce secret n'est rien.
De la moindre vetille il fait une merveille
Et jusques au bon jour, il dit tout à l'oreille.

aus der eben gemachten Betrachtung ist es mir sehr begreiflich, daß man ihn läppischer gefunden habe, als lustig.

Der Triumph der guten Frauen hingegen hat, wo er noch aufgeführt worden, und so oft er noch aufgeführt worden, überall und jederzeit, einen sehr vorzüglichen Bei fall erhalten; und daß sich dieser Beifall auf wahre Schönheiten gründen müsse, daß er nicht das Werk einer über: raschenden blendenden Vorstellung sey, ist daher klar, weil ihn noch niemand nach Lesung des Stücks zurückgenommen. Wer es zuerst gelesen, dem gefällt es um so viel mehr, wenn er es spielen sieht, und wer es zuerst spielen gesehen, dem gefällt es um so viel mehr, wenn er es liest. Auch haben es die strengsten Kunstrichter eben so sehr seinen übrigen Lustspielen, als diese überhaupt dem gewöhnlichen Brasse deutscher Komödien vorgezogen.

„Ich las, sagt einer von ihnen, 1 den geschäftigen Müßiggänger; die Charaktere schienen mir vollkommen nach dem Leben; solche Müßiggänger, solche in ihre Kinder❘ vernarrte Mütter, solche schalwißige Besuche und solche dumme Belzhändler sehen wir alle Tage. So denkt, so lebt, so handelt der Mittelstand unter den Deutschen. Der Dich: ter hat seine Pflicht gethan, er hat uns geschildert, wie wir find. Allein ich gähnte vor Langeweile. Ich las darauf den Triumph der guten Frauen. Welchen Unterschied ! Hier finde ich Leben in den Charakteren, Feuer in ihren Handlungen, ächten Wiß in ihren Gesprächen, und den Ton einer feinen Lebensart in ihrem ganzen Umgange."

Der vornehmste Fehler, den ebenderselbe Kunstrichter daran bemerkt hat, ist der, daß die Charaktere an sich selbst nicht deutsch sind. Und leider muß man diesen zugestchen. Wir sind aber in unsern Lustspielen schon zu sehr an fremde und besonders an französische Sitten gewöhnt, als daß er eine besonders üble Wirkung auf uns haben könnte.

,,Nikander, heißt es, ist ein französischer Abenteurer, der auf Eroberungen ausgeht, allen Frauenzimmern nachstellt, keinem im Ernste gewogen ist, alle ruhigen Ehen in Uneinigkeit zu stürzen, aller Frauen Verführer und aller Männer Schrecken zu werden sucht, und der bei allem diesem kein schlechtes Herz hat. Die herrschende Verderbniß der Sitten und Grundsäße scheint ihn mit fortgerissen zu haben. Gottlob! daß ein Deutscher, der so leben will, das verderbteste Herz von der Welt haben muß. Hilaria,

1 Briefe, die neueste Literatur betreffend. Th. XXI. S. 133. (Von M. Mendelssohn.)

des Nikanders Frau, die er vier Wochen nach der Hochzeit verlassen, und nunmehr in zehn Jahren nicht gesehen hat, kommt auf den Einfall ihn aufzusuchen. Sie kleidet sich als eine Mannsperson, und folgt ihm unter dem Namen Philint in alle Häuser nach, wo er Avanturen sucht. Philint ist wißiger, flatterhafter und unverschämter als Nikander. Das Frauenzimmer ist dem Philint mehr gewogen, und sobald er mit seinem frechen, aber doch artigen Wesen sich sehen läßt, steht Nikander da wie verstummt. Dieses giebt Gelegenheit zu sehr lebhaften Situationen. Die Erfindung ist artig, der zweifache Charakter wohl gezeichnet, und glücklich in Bewegung gesezt; aber das Original zu diesem nachgeahmten Petitmaitre ist gewiß kein Deutscher.“

, Was mir, fährt er fort, sonst an diesem Lustspiele mißfällt, ist der Charakter des Agenors. Den Triumph der guten Frauen vollkommen zu machen, zeigt dieser Agenor den Ehemann von einer gar zu häßlichen Seite. Er tyrannisirt seine unschuldige Juliane auf das unwürdigste, und hat recht seine Lust sie zu quälen. Grämlich, so oft er sich sehen läßt, spöttisch bei den Thränen seiner gekränkten Frau, argwöhnisch bei ihren Lieblosungen, boshaft genug, ihre unschuldigsten Reden und Handlungen durch eine falsche Wendung zu ihrem Nachtheile auszulegen, eifersüchtig, hart, unempfindlich, und wie sie sich leicht einbilden können, in seiner Frau Kammermädchen verliebt. Ein solcher Mann ist gar zu verderbt, als daß wir ihm eine schleunige Besserung zutrauen könnten. Der Dichter giebt ihm eine Nebenrolle, in welcher sich die Falten seines nichtswürdigen Her zens nicht genug entwickeln können. Er tobt, und weder Juliane noch die Leser wissen recht, was er will. Eben so wenig hat der Dichter Raum gehabt, seine Besserung gehörig vorzubereiten und zu veranstalten. Er mußte sich begnügen, dieses gleichsam im Vorbeigehen zu thun, weil die Haupthandlung mit Nikander und Philinten zu schaffen hatte. Kathrine, dieses edelmüthige Kammermädchen der Juliane, das Agenor verfolgt hatte, sagt gar recht am Ende des Lustspiels: Die geschwindesten Belehrungen sind nicht allemal die aufrichtigsten! Wenigstens so lange dieses Mädchen im Hause ist, möchte ich nicht für die Aufrichtigkeit stehen."

Ich freue mich, daß die beste deutsche Komödie dem richtigsten deutschen Beurtheiler in die Hände gefallen ist. Und doch war es vielleicht die erste Komödie, die dieser Mann beurtheilte.

Hamburgische Dramaturgie.

Dreiundfunfzigstes Stück.

Den 3. November 1767.

Zweiter Band.

Den einundvierzigsten Abend (Freitags, den 10. Julius) wurden Cenie und der Mann nach der Uhr wiederholt.

,,Cenie, sagt Chevrier gerade beraus, 1 führt den Namen der Frau von Graffigni, ist aber ein Werk des Abts von Voisenon. Es war Anfangs in Versen; weil aber die Frau von Graffigny, der es erst in ihrem vierundfunfzigsten Jahre einfiel, die Schriftstellerin zu spielen, in ihrem Leben keinen Vers gemacht hatte, so ward Cenie in Prosa gebracht. Mais l'Auteur, fügt er hinzu, y a laissé 81 vers qui y existent dans leur entier." Das ist, ohne Zweifel, von einzeln hin und wieder zerstreuten Zeilen zu verstehen, die den Reim verloren, aber die Sylbenzahl bei behalten haben. Doch wenn Chevrier keinen andern Beweis hatte, daß das Stück in Versen gewesen: so ist es sehr erlaubt, daran zu zweifeln. Die französischen Verse kommen überhaupt der Prosa so nahe, daß es Mühe kosten soll, nur in einem etwas gesuchteren Style zu schreiben, ohne daß sich nicht von selbst ganze Verse zusammen finden, denen nichts wie der Reim mangelt. Und gerade denjenigen, die gar keine Verse machen, können dergleichen Verse am ersten entwischen; eben weil sie gar kein Ohr für das Metrum haben, und es also eben so wenig zu vermei den als zu beobachten verstehen.

Was hat Tenie sonst für Merkmale, daß sie nicht aus der Feder eines Frauenzimmers könne geflossen seyn? „Das Frauenzimmer überhaupt, sagt Rousseau, 2 liebt teine einzige Kunst, versteht sich auf keine einzige, und an Genie fehlt es ihm ganz und gar. Es kann in kleinen Werlen glücklich seyn, die nichts als leichten Wit, nichts als Geschmad, nichts als Anmuth, höchstens Gründlichkeit und Philosophie verlangen. Es kann sich Wissenschaft, Gelehrsamkeit und alle Talente erwerben, die sich durch Mühe und Arbeit erwerben lassen. Aber jenes himmlische Feuer, welches die Seele erhipet und entflammet, jenes um

1 Observateur de Spectacles. Tome I. p. 211.
a à d'Alembert, p. 193.

fich greifende, verzehrende Genie, jene brennende Bereds samkeit, jene erhabene Schwünge, die ihr Entzückendes dem Innersten unseres Herzens mittheilen; werden den Schriften des Frauenzimmers allezeit fehlen."

Also fehlen sie wohl auch der Cenie? Oder, wenn sie ihr nicht fehlen, so muß Cenie nothwendig das Werk eines Mannes seyn? Rousseau selbst würde so nicht schließen. Er sagt vielmehr, was er dem Frauenzimmer überhaupt absprechen zu müssen glaube, wolle er darum keiner Frau insbesondere streitig machen. (Ce n'est pas à une femme, mais aux femmes que je refuse les talens des hommes. 1) Und dieses sagt er eben auf Veranlassung der Cenie, eben da, wo er die Graffigni als die Verfasserin derselben anführt. Dabei merte man wohl, daß Graffigni seine Freundin nicht war, daß sie übels von ihm gesprochen hatte, daß er sich an eben der Stelle über sie beklagt. Dem ungeachtet erklärt er sie lieber für eine Ausnahme seines Sapes, als daß er im geringsten auf das Vorgeben des Chevrier anspielen sollte, welches er zu thun, ohne Zweifel, Freimüthigkeit genug gehabt hätte, wenn er nicht von dem Gegentheile überzeugt gewesen wäre.

Chevrier hat mehr solche verkleinerliche geheime Nachrichten. Eben dieser Abt, wie Chevrier wissen will, hat für die Favart gearbeitet. Er hat die komische Oper, Annette und Lubin, gemacht; und nicht Sie, die Actrice, von der er sagt, daß sie kaum lesen könne. Sein Beweis ist ein Gassenhauer, der in Paris darüber herumgegangen; und es ist allerdings wahr, daß die Gassenhauer in der französischen Geschichte überhaupt unter die glaubwürdig sten Dokumente gehören.

Warum ein Geistlicher ein sehr verliebtes Singspiel unter fremden Namen in die Welt schicke, ließe sich endlich noch begreifen. Aber warum er sich zu einer Cenie nicht bekennen wolle, der ich nicht viele Predigten vorziehen möchte, ist schwerlich abzusehen. Dieser Abt hat ja sonst mehr als ein Stück aufführen und drucken lassen, von we'chen ihn jedermann als den Verfasser kennt, und die der Cenie bei weitem nicht gleich kommen. Wenn er einer Frau

1 Ibid., p. 78.

von vierundfunfzig Jahren eine Galanterie machen wollte, ist es wahrscheinlich, daß er es gerade mit seinem besten Werke würde gethan haben?

Den zweiundvierzigsten Abend (Montags, den 13. Ju lius) ward die Frauenschule von Moliere aufgeführt.

Moliere hatte bereits seine Männerschule gemacht, als er im Jahre 1662 diese Frauenschule darauf folgen ließ. Wer beide Stücke nicht kennet, würde sich sehr irren, wenn er glaubte, daß hier den Frauen, wie dort den Männern, ibre Schuldigkeit gepredigt würde. Es sind beides wißige Bossenspiele, in welchen ein Paar junge Mädchen, wovon das eine in aller Strenge erzogen und das andere in aller Einfalt aufgewachsen, ein Paar alte Laffen hintergehen; und die beide die Männerschule heißen müßten, wenn Moliere weiter nichts darin hätte lehren wollen, als daß das dümmste Mädchen noch immer Verstand genug habe zu betrügen, und daß Zwang und Aufsicht weit weniger fruchte und nuße, als Nachsicht und Freiheit. Wirklich ist für das weibliche Geschlecht in der Frauenschule nicht viel zu lernen; es wäre denn, daß Moliere mit diesem Titel auf die Ehestandsregeln, in der zweiten Ecene des dritten Acts, gesehen hätte, mit welchen aber die Pflichten der Weiber eher lächerlich gemacht werden.

„Die zwei glüdlichsten Stoffe zur Tragödie und Komö die, jagt Trublet, 1 sind der Eid und die Frauenschule. Aber beide sind vom Corneille und Moliere bearbeitet wor den, als diese Dichter ihre völlige Stärke noch nicht hatten. Diese Anmerkung, fügt er hinzu, habe ich von dem Hrn. von Fontenelle."

Wenn doch Trublet den Hrn. von Fontenelle gefragt bätte, wie er dieses meine. Oder falls es ihm so schon verständlich genug war, wenn er es doch auch seinen Lesern mit ein Paar Worten hätte verständlich machen wollen. Ich wenigstens bekenne, daß ich gar nicht absehe, wo Fon: tenelle mit diesem Räthsel hingewollt. Ich glaube, er hat sich versprochen; oder Trublet hat sich verhört.

Wenn indeß, nach der Meinung dieser Männer, der Stoff der Frauenschule so besonders glüdlich ist, und Moliere in der Ausführung desselben nur zu kurz gefallen: so hätte sich dieser auf das ganze Stück eben nicht viel einzubilden gehabt. Denn der Stoff ist nicht von ihm, sondern theils aus einer spanischen Erzählung, die man bei dem Scarron, unter dem Titel: die vergebliche Vorsicht, findet, theils aus den spaßzhaften Nächten des Straparolle genommen, wo ein Liebhaber einem seiner Freunde alle Tage vertrauet, wie weit er mit seiner Geliebten gekommen, chne zu wissen, daß dieser Freund sein Nebenbuhler ist.

„Die Frauenschule, sagt der Herr von Voltaire, war ein Stück von einer ganz neuen Gattung, worin zwar alles nur Erzählung, aber doch so künstliche Erzählung ist, daß alles Handlung zu seyn scheint."

Wenn das Neue hierin bestand, so ist es sehr gut, daß 1 Essais de Litt. et de Morale. T. IV. p. 295. Lessing, Berte. 11.

man die neue Gattung eingehen lassen. Mehr oder weniger künstlich, Erzählung bleibt immer Erzählung, und wir wollen auf dem Theater wirkliche Handlungen sehen. Aber ist es denn auch wahr, daß alles darin erzählt wird? daß alles nur Handlung zu seyn scheint? Voltaire hätte diesen alten Einwurf nicht wieder aufwärmen sollen; oder, anstatt ihn in ein anscheinendes Lob zu verkehren, hätte er wenigstens die Antwort beifügen sollen, die Moliere selbst darauf ertheilte, und die sehr passend ist. Die Erzählungen nämlich sind in diesem Stüde, vermöge der innern Verfassung desselben, wirkliche Handlung; sie haben alles, was zu einer komischen Handlung erforderlich ist; und es ist bloße Wortklauberei, ihnen diesen Namen hier streitig zu machen. 1 Denn es kömmt ja weit weniger auf die Vorfälle an, welche erzählt werden, als auf den Eindruck, welchen diese Vorfälle auf den betrognen Alten machen, wenn er sie erfährt. Das Lächerliche dieses Alten wollte Moliere vornehmlich schildern; ihn müssen wir also vornehmlich sehen, wie er sich bei dem Unfalle, der ihm drohet, gebärdet; und dieses hätten wir so gut nicht gesehen, wenn der Dichter das, was er erzählen läßt, vor unsern Augen hätte vorgehen lassen, und das, was er vorgehen läßt, dafür hätte erzählen lassen. Der Verdruß, den Arnolph empfindet; der Zwang, den er sich anthut, diesen Verdruß zu verbergen; der höhnische Ton, den er annimmt, wenn er den weitern Progressen des Horaz nun vorgebauet zu haben glaubt; das Erstaunen, die stille Wuth, in der wir ihn sehen, wenn er vernimmt, daß Horaz dem ungeachtet sein Ziel glücklich verfolgt: das sind Handlungen, und weit komischere Handlungen, als alles, was außer der Scene vorgeht. Selbst in der Erzählung der Agnese, von ihrer mit dem Horaz gemachten Bekanntschaft, ist mehr Handlung, als wir finden würden, wenn wir diese Bekanntschaft auf der Bühne wirklich machen sähen.

Also, anstatt von der Frauenschule zu sagen, daß alles darin Handlung scheine, obgleich alles nur Erzählung sey, glaubte ich mit mehrerem Rechte sagen zu können, daß alles Handlung darin sey, obgleich alles nur Erzählung zu seyn scheine.

Vierundfunfzigstes Stück.

Den 6. November 1767.

Den dreiundvierzigsten Abend (Dienstags, den 14. Jus lius) ward die Mütterschule des La Chaussee, und den vierundvierzigsten Abend (als den 15.) der Graf von Esser wiederholt.

Da die Engländer von jeher so gern domestica facta auf ihre Bühne gebracht haben, so kann man leicht vermuthen, daß es ihnen auch an Trauerspielen über diesen Gegenstand nicht fehlen wird. Das älteste ist das von Joh.

1 In der Kritik der Frauenschule, in der Person des Dorante: Les récits eux-mêmes y sont des actions suivant la constitution du sujet.

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