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Scene zu laufen hat, und ja den kürzesten Weg nehmen muß, wenn er, acht Zeilen darauf, seine That schon vollbracht haben soll.

Fünfundvierzigstes Stück.

Den 2. October 1767.

2. Nicht weniger bequem hat es sich der Herr von Voltaire mit der Einheit der Zeit gemacht. Man denke sich einmal alles das, was er in seiner Merope vorgehen läßt, an Einem Tage geschehen; und sage, wie viel Ungereimtheiten man sich dabei denken muß. Man nehme immer einen völligen, natürlichen Tag; man gebe ihm immer die dreißig Stunden, auf die Corneille ihn auszudehnen ers lauben will. Es ist wahr, ich sehe zwar keine physikalische Hindernisse, warum alle die Begebenheiten in diesem Zeitraume nicht hätten geschehen können; aber desto mehr mo ralische. Es ist freilich nicht unmöglich, daß man innerhalb zwölf Stunden um ein Frauenzimmer anhalten und mit ihr getraut seyn kann, besonders wenn man es mit Gewalt vor den Priester schleppen darf. Aber wenn es geschieht, verlangt man nicht eine so gewaltige Beschleuni❘ gung durch die allertriftigsten und dringendsten Ursachen gerechtfertigt zu wissen? Findet sich hingegen auch kein Schatten von solchen Ursachen, wodurch soll uns, was bloß physikalischer Weise möglich ist, denn wahrscheinlich werden? Der Staat will sich einen König wählen; Polyphont und der abwesende Aegisth können allein dabei in Betrachtung kommen; um die Ansprüche des Aegisth zu ver eiteln, will Polyphont die Mutter desselben heirathen; an eben demselben Tage, da die Wahl geschehen soll, macht er ihr den Antrag; sie weist ihn ab; die Wahl geht vor sich und fällt für ihn aus; Polyphont ist also König, und man sollte glauben, 'Aegisth möge nunmehr erscheinen, wann er wolle, der neuerwählte König könne es fürs erste mit ihm ansehen. Nichts weniger; er besteht auf der Heirath, und besteht darauf, daß sie noch desselben Tages vollzogen werden soll; eben des Tages, an dem er Meropen zum erstenmale seine Hand angetragen; eben des Tages, da ihn das Volk zum Könige ausgerufen. Ein so alter Soldat und ein so hißiger Freier! Aber seine Freierei ist nichts als Politik. Desto schlimmer; diejenige, die er in sein Interesse verwickeln will, so zu mißhandeln! Merope hatte ihm ihre Hand verweigert, als er noch nicht König war, als sie glauben mußte, daß ihm ihre Hand vornehmlich auf den Thron verhelfen sollte; aber nun ist er König, und ist es geworden ohne sich auf den Titel ihres Gemahls zu gründen; er wiederhole seinen Antrag, und vielleicht giebt sie es näher; er lasse ihr Zeit, den Abstand zu vergessen, der sich ehedem zwischen ihnen befand, sich zu gewöhnen, ihn als ihres Gleichen zu betrachten, und vielleicht ist nur kurze Zeit dazu nöthig. Wenn er sie nicht gewinnen kann, was hilft es ihn, sie zu zwingen? Wird es ihren Anhängern unbekannt bleiben, daß sie gezwungen

worden? Werden sie ihn nicht auch darum hassen zu müssen glauben? Werden sie nicht auch darum dem Aegisth, so bald er sich zeigt, beizutreten, und in seiner Sache zugleich die Sache seiner Mutter zu betreiben, sich für verbunden achten? Vergebens, daß das Schicksal dem Tyrannen, der ganzer funfzehn Jahre sonst so bedächtlich zu Werke gegangen, diesen Aegisth nun selbst in die Hände liefert, und ihm dadurch ein Mittel, den Thron ohne alle Ansprüche zu besigen, anbietet, das weit fürzer, weit unfehlbarer ist, als die Verbindung mit seiner Mutter: es soll und muß geheirathet seyn, und noch heute, und noch diesen Abend; der neue König will bei der alten Königin noch diese Nacht schlafen, oder es geht nicht gut. Kann man sich etwas komischeres denken? In der Vorstellung, meine ich; denn daß es einem Menschen, der nur einen Funken von Verstand hat, einkommen könne, wirklich so zu handeln, widerlegt sich von selbst. Was hilft es nun also dem Dichter, daß die besondern Handlungen eines jeden Acts zu ihrer wirklichen Ereignung ungefähr nicht viel mehr Zeit brauchen würden, als auf die Vorstellung dieses Acts geht, und daß diese Zeit mit der, welche auf die Zwischenacte gerechnet werden muß, noch lange keinen völligen Umlauf der Sonne erfordert; hat er darum die Einheit der Zeit beobachtet? Die Worte dieser Regel hat er erfüllt, aber nicht ihren Geist. Denn was er an Einem Tage thun läßt, kann zwar an Einem Tage gethan werden, aber kein vernünftiger Mensch wird es an Einem Tage thun. Es ist an der physischen Einheit der Zeit nicht genug; es muß auch die moralische dazu kommen, deren Verleßung allen und jeden empfindlich ist, anstatt daß die Verlegung der erstern, ob sie gleich meistens eine Unmöglichkeit involvirt, dennoch nicht immer so allgemein anstößig ist, weil diese Unmög | lichkeit vielen unbekannt bleiben kann. Wenn z. E. in einem Stücke von einem Orte zum andern gereist wird, und diese Reise allein mehr als einen ganzen Tag erfordert, so ist der Fehler nur denen merklich, welche den Abstand des einen Orts von dem andern wissen. Nun aber wissen nicht alle Menschen die geographischen Distanzen; aber alle Menschen können es an sich selbst merken, zu welchen Handlungen man sich Einen Tag, und zu welchen man sich mehrere nehmen sollte. Welcher Dichter also die physische Einheit der Zeit nicht anders als durch Verlegung der moralischen zu beobachten versteht, und sich kein Bedenken macht, diese jener aufzuopfern, der versteht sich sehr schlecht auf seinen Vortheil, und opfert das Wesentlichere dem Zufälligen auf. fälligen auf. Maffei nimmt doch wenigstens noch eine Nacht zu Hülfe; und die Vermählung, die Polyphont der Merope heute andeutet, wird erst den Morgen darauf vollzogen. Auch ist es bei ihm nicht der Tag, an welchem Polyphont den Thron besteigt; die Begebenheiten pressen sich folglich weniger; sie eilen, aber sie übereilen sich nicht. Voltairens Polyphont ist ein Ephemeron von einem König, der schon darum den zweiten Tag nicht zu regieren verdient,

weil er den ersten seine Sache so gar albern und dumm anfängt.

3. Maffei, sagt Lindelle, verbinde öfters die Scenen nicht, und das Theater bleibe leer; ein Fehler, den man heut zu Tage auch den geringsten Poeten nicht verzeihe. Die Verbindung der Scenen, sagt Corneille, ist eine große Zierde eines Gedichts, und nichts kann uns von ,,der Stetigkeit der Handlung besser versichern, als die ,,Stetigkeit der Vorstellung. Sie ist aber doch nur eine „Zierde und keine Regel; denn die Alten haben sich ihr ,,nicht immer unterworfen u. s. w." Wie? ist die Tragödie bei den Franzosen seit ihrem großen Corneille so viel vollkommener geworden, daß das, was dieser bloß für eine mangelnde Zierde hielt, nunmehr ein unverzeihlicher Fehler ist? Oder haben die Franzosen seit ihm das Wesent liche der Tragödie noch mehr verkennen gelernt, daß sie auf Dinge einen so großen Werth legen, die im Grunde keinen haben? Bis uns diese Frage entschieden ist, mag Corneille immer wenigstens eben so glaubwürdig seyn als Lindelle; und was, nach jenem, also eben noch kein ausgemachter Fehler bei dem Maffei ist, mag gegen den mins der streitigen des Voltaire aufgehen, nach welchem er das Theater öfters länger voll läßt, als es bleiben sollte. Wenn 3. E. in dem ersten Acte Polyphont zu der Königin kommt, und die Königin mit der dritten Scene abgeht, mit was für Recht kann Polyphont in dem Zimmer der Königin verweilen? Ist dieses Zimmer der Ort, wo er sich gegen seinen Vertrauten so frei herauslassen sollte? Das Bedürfniß des Dichters verräth sich in der vierten Scene gar zu deutlich, in der wir zwar Dinge erfahren, die wir noth wendig wissen müssen, nur daß wir sie an einem Orte erfahren, wo wir es nimmermehr erwartet hätten.

4. Maffei motivirt das Auftreten und Abgehen seiner Personen oft gar nicht: — und Voltaire motivirt es eben so oft falsch, welches wohl noch schlimmer ist. Es ist nicht genug, daß eine Person sagt, warum sie kommt, man muß auch aus der Verbindung einsehen, daß sie darum kommen müssen. Es ist nicht genug, daß sie sagt, warum sie abgeht, man muß auch in dem Folgenden sehen, daß sie wirklich darum abgegangen ist. Denn sonst ist das, was ihr der Dichter deßfalls in den Mund legt, ein bloßer Vorwand und keine Ursache. Wenn z. E. Eurifles in der dritten Scene des zweiten Acts abgeht, um, wie er sagt, die Freunde der Königin zu versammeln; so müßte man von diesen Freunden und von dieser ihrer Versammlung auch hernach etwas hören. Da wir aber nichts davon zu hören bekommen, so ist sein Vorgeben ein schülerhaftes Peto veniam exeundi, mit der ersten besten Lüge, die dem Knaben einfällt. Er geht nicht ab, um das zu thun, was er sagt, sondern um, ein paar Zeilen darauf, mit einer Nachricht wiederkommen zu können, die der Poet durch keinen andern ertheilen zu lassen wußte. Noch ungeschickter geht Voltaire mit dem Schlusse ganzer Acte zu

Werke. Am Ende des dritten sagt Polyphont zu Meropen, daß der Altar ihrer erwarte, daß zu ihrer feierlichen Verbindung schon alles bereit sey; und so geht er mit einem Venez, Madame ab. Madame aber folgt ihm nicht, sondern geht mit einer Erclamation zu einer andern Cou lisse hinein, worauf Polyphont den vierten Act wieder ans fängt, und nicht etwa seinen Unwillen äußert, daß ihm die Königin nicht in den Tempel gefolgt ist (denn er irrte sich, es hat mit der Trauung noch Zeit), sondern wiederum mit seinem Eror Dinge plaudert, über die er nicht hier, über die er zu Hause in seinem Gemache mit ihm hätte schwagen sollen. Nun schließt auch der vierte Act, und schließt vollkommen wie der dritte. Polyphont citirt die Königin nochmals nach dem Tempel, Merope selbst schreit: Courons tous vers le temple où m'attend mon outrage: und zu den Opferpriestern, die sie dahin abholen sollen, sagt sie:

Vous venez à l'autel entraîner la victime.

Folglich werden sie doch gewiß zu Anfang des fünften Acts in dem Tempel seyn, wo sie nicht schon gar wieder zurüc sind? Keines von beiden; gut Ding will Weile haben: Polyphont hat noch etwas vergessen und kommt noch einmal wieder, und schickt auch die Königin noch einmal wieder. Vortrefflich! Zwischen dem dritten und vierten, und zwischen dem vierten und fünften Acte geschieht demnach nicht allein das nicht, was geschehen sollte, sondern es ge schieht auch, platter Dings, gar nichts, und der dritte und vierte Act schließen bloß, damit der vierte und fünfte wieder anfangen können.

Sechsundvierzigstes Stück.

Den 6. October 1767.

Ein anderes ist, sich mit den Regeln abfinden, ein anderes, sie wirklich beobachten. Jenes thun die Franzosen; dieses scheinen nur die Alten verstanden zu haben.

Die Einheit der Handlung war das erste dramatische Gesetz der Alten; die Einheit der Zeit und die Einheit des Ortes waren gleichsam nur Folgen aus jener, die sie schwer lich strenger beobachtet haben würden, als es jene noth wendig erfordert hätte, wenn nicht die Verbindung des Chors dazu gekommen wäre. Da nämlich ihre Handlungen eine Menge Volks zum Zeugen haben mußten, und diese Menge immer die nämliche blieb, welche sich weder weiter von ihren Wohnungen entfernen, noch länger aus denselben wegbleiben konnte, als man gewöhnlichermaßen der bloßen Neugierde wegen zu thun pflegt: so konnten sie fast nicht anders, als den Ort auf einen und eben denselben individuellen Plaz, und die Zeit auf einen und eben denselben Tag einschränken. Dieser Einschränkung unterwarfen sie sich denn auch bona fide; aber mit einer Biegsamkeit, mit einem Verstande, daß sie unter neunmalen, siebenmal weit mehr dabei gewannen als verloren. Denn sie ließen

fich diesen Zwang einen Anlaß seyn, die Handlung selbst so zu simplifiren, alles Ueberflüssige so sorgfältig von ihr abzusondern, daß sie, auf ihre wesentlichsten Bestandtheile gebracht, nichts als ein Jdeal von dieser Handlung ward, welches sich gerade in derjenigen Form am glücklichsten aus bildete, die den wenigsten Zusaß von Umständen der Zeit und des Orts verlangte.

Die Franzosen hingegen, die an der wahren Einheit der Handlung keinen Geschmack fanden, die durch die wilden Intriguen der spanischen Stücke schon verwöhnt waren, che sie die griechische Simplicität kennen lernten, betrach teten die Einheiten der Zeit und des Orts nicht als Folgen jener Einheit, sondern als für sich zur Vorstellung einer Handlung unumgängliche Erfordernisse, welche sie auch ihren reichern und verwickeltern Handlungen in eben der Strenge anpassen müßten, als es nur immer der Gebrauch des Chors erfordern könnte, dem sie doch gänzlich entsagt batten. Da fie aber fanden wie schwer, ja wie unmöglich öfters dieses sey, so trafen sie mit den tyrannischen Regeln, welchen sie ihren völligen Gehorsam aufzukündigen nicht Muth genug hatten, ein Abkommen. Anstatt eines einzigen Ortes führten sie einen unbestimmten Ort ein, unter dem man sich bald den, bald jenen, einbilden könne; genug, wenn diese Orte zusammen nur nicht gar zu weit aus einander lägen, und keiner eine besondere Verzierung bedürfe, sondern die nämliche Verzierung ungefähr dem einen so gut als dem andern zukommen könne. Anstatt der Einheit des Tages schoben sie die Einheit der Dauer. unter; und eine gewisse Zeit, in der man von keinem Aufgehen und Untergehen der Sonne hörte, in der Niemand zu Bette ging, wenigstens nicht öfter als einmal zu Bette ging, mochte sie doch sonst noch so viel und mancherlei darin ereignen, ließen sie für Einen Tag gelten.

Niemand würde ihnen dieses verdacht haben; denn unstreitig lassen sich auch so noch vortreffliche Stücke machen; und das Sprüchwart sagt, bohre das Brett, wo es am dünnsten ist. Aber ich muß meinen Nachbar nur auch da bohren lassen. Ich muß ihm nicht immer nur die dickste Kante, den astigsten Theil des Brettes zeigen und schreien: da bobre mir durch! da pflege ich durchzubohren! Gleichwohl schreien die französischen Kunstrichter alle so; besonders wenn sie auf die dramatischen Stücke der Engländer kommen. Was für ein Aufhebens machen sie von der Regelmäßigkeit, die sie sich so unendlich erleichtert baben! Doch mir eckelt, mich bei diesen Elementen

länger aufzuhalten.

Möchten meinetwegen Voltaires und Maffeis Merope acht Tage dauern, und an sieben Orten in Griechenland spielen! Möchten sie aber auch nur die Schönheiten haben, die mich diese Pedanterien vergessen machen!

Die strengste Regelmäßigkeit kann den kleinsten Fehler in den Charakteren nicht aufwiegen. Wie abgeschmackt Polyphont bei dem Maffei öfters spricht und handelt, ist

Lindellen nicht entgangen. Er hat Recht, über die heillosen Marimen zu spotten, die Maffei seinem Tyrannen in den Mund legt. Die Edelsten und Besten des Staats aus dem Wege zu räumen; das Volk in alle die Wollüste zu versenken, die es entkräften und weibisch machen können; die größten Verbrechen, unter dem Scheine des Mitleids und der Gnade ungestraft zu lassen u. s. w., wenn es einen Tyrannen giebt, der diesen unsinnigen Weg zu regieren einschlägt, wird er sich dessen auch rühmen? So schildert man die Tyrannen in einer Schulübung; aber so hat noch keiner von sich selbst gesprochen. 1 Es ist wahr, so gar frostig und wahnwißig läßt Voltaire seinen Polyphont nicht declamiren; aber mitunter läßt er ihn doch auch Dinge sagen, die gewiß kein Mann von dieser Art über die Zunge bringt. 3. E.

Des Dieux quelquefois la longue patience Fait sur nous à pas lents descendre la vengeance Ein Polyphont sollte diese Betrachtung wohl machen; aber er macht sie nie. Noch weniger wird er sie in dem Augenblicke machen, da er sich zu neuen Verbrechen aufmuntert: Eh bien, encore ce crime!

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Wie unbesonnen und in den Tag hinein er gegen Meropen handelt, habe ich schon berührt. Sein Betragen gegen den Aegisth sieht einem eben so verschlagenen als entschlossenen Manne, wie ihn uns der Dichter von Anfange schildert, noch weniger ähnlich. Aegisth hätte bei dem Opfer gerade nicht erscheinen müssen. Was soll er da? Jhm Gehorsam schwören? In den Augen des Volks? Unter dem Geschrei seiner verzweifelnden Mutter? Wird da nicht unfehlbar geschehen, was er zuvor selbst besorgte? 2 Er hat sich für

1 Atto III. Sc. II.

Quando

Saran da poi sopiti alquanto, e queti
Gli animi, l'arte del regnar mi giovi.
Per mute oblique vie n'andranno a Stige
L'alme piu audaci, e generose. A i vizi
Per cui vigor si abbatte, ardir si toglie
Il freno allargherò. Lunga clemenza
Con pompa die pietà farò, che splenda
Su i delinquenti; a i gran delitti invito,
Onde restino i buoni esposti, e paghi
Renda gl' iniqui la licenza; ed onde
Poi fra se distruggendosi, in crudeli
Gare private il lor furor si stempri.
Udrai sovente risonar gli editti,

E raddopiar le leggi, che al sovrano
Giovan servate, e transgredite. Udrai
Correr minaccia ognor di guerra esterna;
Ond' io n'andrò su l'atterrita plebe
Sempre crescendo i pesi, e peregrine
Milizie indrodurrò.

2 Acte I. Sc. 4.

Si ce fils, tant pleuré, dans Messene est produit,
De quinze ans de travaux j'ai perdu tout le fruit.
Crois-moi, ces préjugés de sang et de naissance
Revivront dans les cœurs, prendront sa défense.
Le souvenir du père, et cent rois pour ayeux,
Cet honneur prétendu d'être issu de nos Dieux;
Le cris, le désespoir d'une mère eplorée,
Détruiront ma puissance encor mal assurée.

seine Person alles von dem Aegisth zu versehen; Aegisth verlangt nur sein Schwert wieder, um den ganzen Streit zwischen ihnen mit eins zu entscheiden; und diesen tollkühnen Aegisth läßt er sich an dem Altare, wo das erste das beste, was ihm in die Hand fällt, ein Schwert werden kann, so nahe kommen? Der Polyphont des Maffei ist von diesen Ungereimtheiten frei; denn dieser kennt den Aegisth nicht, und hält ihn für seinen Freund. Warum hätte Aegisth sich ihm also bei dem Altare nicht nähern dürfen? Niemand gab auf seine Bewegungen Acht; der Streich war geschehen und er zu dem zweiten schon bereit, ehe es noch einem Menschen einkommen konnte, den ersten zu rächen.

„Merope, sagt Lindelle, wenn sie bei dem Maffei „erfährt, daß ihr Sohn ermordet sey, will dem Mörder „das Herz aus dem Leibe reißen, und es mit ihren Zähnen zerfleischen. 1 Das heißt, sich wie eine Kannibalin, und ,, nicht wie eine betrübte Mutter ausdrüden; das Anständige „muß überall beobachtet werden." Ganz recht; aber obgleich die französische Merope delikater ist, als daß sie so in ein rohes Herz ohne Salz und Schmalz beißen sollte: so dünkt mich doch, ist sie im Grunde eben so gut Kannibalin, als die italienische.

Siebenundvierzigstes Stück.

Und wie das ?

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Den 9. October 1767.

Wenn es unstreitig ist, daß man den Menschen mehr nach seinen Thaten, als nach seinen Reden richten muß; daß ein rasches Wort, in der Hiße der Leidenschaft ausgestoßen, für seinen moralischen Charakter wenig, eine überlegte kalte Handlung aber alles beweiset; so werde ich wohl Recht haben. Merope, die sich in der Ungewißheit, in welcher sie von dem Schicksale ihres Sohnes ist, dem bangsten Kummer überläßt, die immer das Schrecklichste besorgt, und in der Vorstellung, wie unglücklich ihr abwesender Sohn vielleicht sey, ihr Mitleid über alle Unglückliche erstreckt: ist das schöne Ideal einer Mutter. Merope, die in dem Augenblicke, da sie den Verlust des Gegenstandes ihrer Zärtlichkeit erfährt, von ihrem Schmerze betäubt dahin sinkt, und plößlich, sobald sie den Mörder in ihrer Gewalt hört, wieder aufspringt, und tobt, und wüthet, und die blutigste schrecklichste Rache an ihm zu vollziehen droht, und wirklich vollziehen würde, wenn er sich eben unter ihren Händen befände: ist eben dieses Ideal, nur in dem Stande einer gewaltsamen Handlung, in welchem es an Ausdruck und Kraft gewinnt, was es an Schönheit und Rührung verloren hat. Aber Merope, die sich zu dieser Rache Zeit nimmt, Anstalten dazu vorkehrt, Feier

1 Atto II. Sc. 6.

Quel scelerato in mio poter vorrei

Per trarne prima, s'ebbe parte in questo
Assassinio il tiranno; io voglio poi
Con una scure spalancargli il petto,
Voglio strappargli il cor, voglio co' denti
Lacerarlo, e sbranarlo

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Vielleicht dürfte der Herr von Voltaire auch dieses zu einem Fehler des Stoffes machen; vielleicht dürfte er sagen, Merope müsse ja wohl den Aegisth mit eigener Hand umbringen wollen, oder der ganze Coup de Théâtre, den Aristoteles so sehr anpreise, der die empfindlichen Athenienser ehedem so sehr entzückt habe, falle weg. Aber der Herr von Voltaire würde sich wiederum irren und die willkür lichen Abweichungen des Maffei abermals für den Stoff selbst nehmen. Der Stoff erfordert zwar, daß Merope den Aegisth mit eigener Hand ermorden will, allein er erfordert nicht, daß sie es mit aller Ueberlegung thun muß. Und so scheint sie es auch bei dem Euripides nicht gethan zu haben, wenn wir anders die Fabel des Hyginus für den Auszug seines Stücks annehmen dürfen. Der Alte kömmt und sagt der Königin weinend, daß ihm ihr Sohn weggekommen; eben hatte sie gehört, daß ein Fremder angelangt sey, der sich rühme, ihn umgebracht zu haben, und daß dieser Fremde ruhig unter ihrem Dache schlafe; sie ergreift das erste das beste, was ihr in die Hände fällt, eilt voller Wuth nach dem Zimmer des Schlafenden, der Alte ihr nach, und die Erkennung geschieht in dem Augenblicke, da das Verbrechen geschehen sollte. Das war sehr simpel und natürlich, sehr rührend und menschlich! Die Athenienser zitterten für den Aegisth, ohne Meropen verabscheuen zu dürfen. Sie zitterten für Meropen selbst, die durch die gutartigste Uebereilung Gefahr lief, die Mörderin ihres Sohnes zu werden. Maffei und Voltaire aber machen mich bloß für den Aegisth zittern; denn auf ihre Merope bin ich so ungehalten, daß ich es ihr fast gönnen möchte, sie vollführte den Streich. Möchte sie es doch haben! Kann sie sich Zeit zur Rache nehmen, so hätte sie sich auch Zeit zur Untersuchung nehmen sollen. Warum ist sie so eine blutdürstige Bestie? Er hat ihren Sohn umgebracht: gut; sie mache in der ersten Hiße mit dem Mörder was sie will, ich verzeihe ihr, sie ist Mensch und Mutter; auch will ich gern mit ihr jammern und verzweifeln, wenn sie finden sollte, wie sehr sie ihre erste rasche Hiße zu verwünschen habe. Aber, Madame, einen jungen Menschen, der Sie kurz zuvor so sehr interessirte, an dem Sie so viele Merkmale der Aufrichtigkeit und Unschuld erkannten, weil man eine alte Rüstung bei ihm findet, die nur Jhr Sohn tragen sollte, als den Mörder Ihres Sohnes an dem Grabmale seines Vaters mit eigener Hand abschlachten zu wollen, Leibwache und Priester dazu zu Hülfe zu nehmen pfui, Madame!

-

Ich müßte mich sehr irren, oder Sie wären in Athen ausgepfiffen worden.

1

Daß die Unschicklichkeit, mit welcher Polyphont nach fünfzehn Jahren die veraltete Merope zur Gemahlin verlangt, eben so wenig ein Fehler des Stoffes ist, habe ich schon berührt. Denn nach der Fabel des Hyginus hatte Polyphont Meropen gleich nach der Ermordung des Kres❘ phonts geheirathet; und es ist sehr glaublich, daß selbst Euripides diesen Umstand so angenommen hatte. Warum sollte er auch nicht? Eken die Gründe, mit welchen Eurikles, beim Voltaire, Meropen jeßt nach fünfzehn Jahren bereden will, dem Tyrannen ihre Hand zu geben, 1 hätten sie auch vor funfzehn Jahren dazu vermögen können. Es war jehr in der Denkungsart der alten griechischen Frauen, daß sie ihren Abscheu gegen die Mörder ihrer Männer überwanden und sie zu ihren zweiten Männern annahmen, wenn sie sahen, daß den Kindern ihrer ersten Ehe Vortheil draus er: wachsen könne. Ich erinnere mich etwas ähnliches in dem griechischen Roman des Charitons, den d'Orville herausge: geben, ehedem gelesen zu haben, wo eine Mutter das Kind selbst, welches sie noch unter ihrem Herzen trägt, auf eine sehr rührende Art darüber zum Richter nimmt. Ich glaube, die Stelle verdiente angeführt zu werden; aber ich habe das Buch nicht bei der Hand. Genug, daß das, was dem Eurifles Voltaire selbst in den Mund legt, hinreichend gewesen wäre, die Aufführung seiner Merope zu rechtferti: gen, wenn er sie als die Gemahlin des Polyphonts eingeführt hätte. Die kalten Scenen einer politischen Liebe wären dadurch weg gefallen; und ich sehe mehr als einen Weg, wie das Interesse durch diesen Umstand selbst noch weit lebhafter, und die Situationen noch weit intriguanter hätten werden können.

Doch Voltaire wollte durchaus auf dem Wege bleiben, den ihm Maffei gebahnt hatte, und weil es ihm gar nicht einmal einfiel, daß es einen bessern geben könne, daß dieser bessere eben der sey, der schon vor Alters befahren worden, jo begnügte er sich auf jenem ein Paar Sandsteine aus dem Gleise zu räumen, über die er meint, daß sein Vor

1 Acte II. Sc. 1.

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MER. Non, mon fils ne le souffrirait pas.
L'exil où son enfance a langui condamnée
Lui serait moins affreux que ce lâche hymenée.
EUR. 1 le condamnerait, si, paisible en son rang,
Il n'en croyait ici que les droits de son sang;
Mais si par les malheurs son ame était instruite,
Sur ses vrais intérêts s'il réglait sa conduite,
De ses tristes amis s'il consultait la voix,

Et la nécessité souveraine des loix,
Il verrait que jamais sa malheureuse mère
Ne lui donna d'amour une marque plus chère.
ME. Ah que me dites-vous?

EUR. De dures vérités

Qui m'arrachent mon zèle et vos calamités.

ME. Quoi! Vous me demandez que l'intérêt surmonte
Cette invincible horreur que j'ai pour Polifonte!
Vous qui me l'avez peint de si noires couleurs !
EUR. Je l'ai peint dangereux, je connais ses fureurs,
Mais il est tout-puissant; mais rien ne lui résiste;
Il est sans héritier, et vous aimez Egiste.

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gänger fast umgeschmissen hätte. Würde er wohl sonst auch dieses von ihm beibehalten haben, daß Aegisth, unbekannt mit sich selbst, von ungefähr nach Messene gerathen und daselbst durch kleine zweideutige Merkmale in den Verdacht kommen muß, daß er der Mörder seiner selbst sey? Bei dem Euripides kannte sich Aegisth vollkommen, kam in dem ausdrücklichen Vorsaze, sich zu rächen, nach Messene, und gab sich selbst für den Mörder des Aegisth aus; nur daß er sich seiner Mutter nicht entdeckte, es sey aus Vorsicht oder aus Mißtrauen, oder aus was sonst für Ursache, an der es ihm der Dichter gewiß nicht wird haben mangeln lassen. Ich habe zwar oben dem Maffei einige Gründe zu allen den Veränderungen, die er mit dem Plane des Euripides gemacht hat, von meinem Eigenen geliehen. Aber ich bin weit entfernt, die Gründe für wichtig, und die Veränderungen für glücklich genug auszugeben. Vielmehr behaupte ich, daß jeder Tritt, den er aus den Fußstapfen des Griechen zu thun gewagt, ein Fehltritt geworden. Daß sich Aegisth nicht kennt, daß er von ungefähr nach Messene kömmt und per combinazione d'accidenti (wie Maffei es ausdrückt) für den Mörder des Aegisth gehalten wird, giebt nicht allein der ganzen Geschichte ein sehr verwirrtes, zweideutiges und romanenhaftes Ansehen, sondern schwächt auch das Interesse ungemein. Bei dem Euripides wußte es der Zuschauer von dem Aegisth selbst, daß er Aegisth sey, und je gewisser er es wußte, daß Merope ihren eigenen Sohn umzubringen kommt, desto größer mußte nothwendig das Schrecken seyn, das ihn darüber befiel, desto quälender das Mitleid, welches er voraus sah, falls Merope an der Vollziehung nicht zu rechter Zeit verhindert würde. Bei dem Maffei und Voltaire hingegen vermuthen wir es nur, daß der vermeinte Mörder des Sohnes der Sohn wohl selbst seyn könne, und unser größtes Schrecken ist auf den einzigen Augenblick verspart, in welchem es Schrecken zu seyn aufhört. Das schlimmste dabei ist noch dieses, daß die Gründe, die uns in dem jungen Fremdlinge den Sohn der Merope vermuthen lassen, eben die Gründe sind, aus welchen es Merope selbst vermuthen sollte; und daß wir ihn, besonders bei Voltairen, nicht in dem allergeringsten Stücke näher und zuverlässiger kennen, als sie ihn selbst kennen kann. Wir trauen also diesen Gründen entweder eben so viel, als ihnen Merope trauet, oder wir trauen ihnen mehr. Trauen wir ihnen eben so viel, so halten wir den Jüngling mit ihr für einen Betrüger, und das Schicksal, das sie ihm zugedacht, kann uns nicht sehr rühren. Trauen wir ihnen mehr, so tadeln wir Meropen, daß sie nicht besser darauf merkt, und sich von weit seichteren Gründen hinreißen läßt. Beides aber taugt nicht.

Achtundvierzigstes Stück.

Den 13. October 1767.

Es ist wahr, unsere Ueberraschung ist größer, wenn wir es nicht eher mit völliger Gewißheit erfahren, daß

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