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ringen und sie oft übertreffen, scheint uns sicher, ebenso auch, dass Dorothea's arbeit ganz oder teilweise wegfallen müsste. Diese ausgabe würde sich bescheidener geben, aber dem leser einen bessern deutschen Shakespeare bieten als › Shakespeare's dramatische werke. Übersetzt von Schlegel und Tieck«.

Giessen.

W. Wetz.

STUDIEN ZU SHELLEY'S "EPIPSYCHIDION”.

Ma ciò che l'artista crea,
tutto il mondo lo beve,
lo fa sua carne e suo sangue.
(Ada Negri.)

Aus wundersamen melodien gewoben, erklang der liebeshymnus des Epipsychidion im frühjahr 1821 an das taube ohr der welt. Der Wagner'schen muse an schwung und gefühlstiefe vergleichbar, war Shelley's dichtung ihr auch darin verwandt, dass sie einem aufgeklärteren zeitalter entgegenwarten musste, um zu vollem verständnis und zu liebevoller würdigung zu gelangen. Die zeit ist gekommen, längst gekommen, gottlob! Unter zahllosen bewunderern, lesern und forschern, hat die pracht des Elpipsychidion] erhebend, veredelnd, entzückend und beglückend gewirkt.

Nur eine befruchtende schöpferkraft hat dieses werk bislang nicht entwickeln können; denn von keinem nachgebornen dichter ist es erreicht worden: wir müssen im gegenteil bekennen, dass just die poetischen mitbrüder, die als congeniale geister berufen wären, den flor der dichterischen anschauung Shelley]'s zu lüften, am wenigsten dazu beigetragen haben, die sagen wir rätsel des E. der weniger tief blickenden welt zu enthüllen. Ja nicht einmal das: sie stehen nicht an, in jenen effektvollen und vom poetisch-technischen standpunkt aus durchaus gebotenen umhüllungen einen entstellenden makel des werkes zu erblicken. Ein bedeutender englischer dichter und forscher, der die kleinste metrische flüchtigkeit Sh.'s als rein göttliche inspiration preist und in ausdrücken

absurder ereiferung jeglichem andersdenkenden zehntausendjährige fegfeuerqualen auf den hals wünscht 1), fühlt sich doch bemüssigt, dem E. ein entstellungsmal anzuheften, indem er ihm vorwirft: die schleierhafte einbeziehung ganz und gar persönlicher anspielungen sei nur dazu angethan, geduld und verstand des getreuen forschers zu verwirren und zu erbittern; rätsel seien hier nicht angebracht; mit rebuskünsten solle wahre kunst nichts zu thun haben 2).

In welch merkwürdiger beleuchtung steht dieses dictum Swinburne's da, wenn wir es in beziehung setzen zu werken wie Goethe's Faust! Und sagt nicht andrerseits Shelley selbst in seiner vorrede, das vorliegende werk werde einer gewissen klasse von lesern auch ohne trockne darlegung der verhältnisse hinreichend verständlich sein, eine andre klasse freilich werde es niemals verstehen können, weil ihr ein sympathischer sinn für seine ideen abgehe?!

An einem müssen wir vor allem festhalten: der reine aesthetische genuss, den sich Sh. von seiten der ourɛtoi versprochen hat, ist primär und steht auf anderer stufe als der durch forschungen erkaufte genuss des gelehrten. Ein im schwunge der begeisterung schwelgender leser gelangt zu eignem neuem empfinden dessen, was der dichter geschaut, er versteht die probleme und grundtypen, die in das gewand glühender fantasie gekleidet, vor seinem auge vorüberziehen. Er geniesst beispielsweise das E. mit lebhaftestem entzücken, geniesst es nicht nur, sondern versteht es auch genügend, um es geniessen zu können, ohne mit den details von Sh.'s biographie vertraut zu sein. Warum sollte er auch nicht, wenn nach Todhunter's) annahme jene vielumstrittenen anspielungen des E. überhaupt nicht auf persönlichkeiten, sondern auf states, auf gewisse entwicklungsstadien hindeuten, welche jeder mehr oder weniger ideale mensch zu durchlaufen hat.

Den biographen hingegen drängt und lockt die aufgabe der forschung, den verwischten spuren jener persönlichkeiten

1) Swinburne, Essays and Studies. London 1875, p. 230; vgl. hierzu Mayor in Trans. Phil. Soc. 1875/76, p. 450.

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nachzugehen, bis er sie auf der realen erde, in der realen vergangenheit, unter einem tönenden namen, inmitten einer bekannten umgebung wiederfindet; bis es ihm gelungen ist, den rätselvollen schleier zu lüften, den der dichter wie zum schutz vor uneingeweihten blicken daraufgeworfen, und der für ihn, den mitfühlenden, den vertrautesten aller freunde, nicht bestimmt war: denn in der that, wann hätte Shelley zahlreichere und liebevollere freunde gehabt als in unsern tagen?

Wie viele fragen allerdings der wissenschaft noch offen stehen, wie viele punkte des E. trotz der bemühungen eifriger und verständnisvoller ausleger noch in dunkel gehüllt sind, diese thatsache ist in den kreisen der Sh.-forschung und darüber hinaus bekannt genug, um auf eine reihe von jahren jeden neuen interpretationsversuch zu rechtfertigen.

Einen bescheidenen beitrag zur lösung der grossen frage bieten die folgenden zeilen, die ich in dankbarer ergebenheit meinem früheren lehrer herrn professor dr. Breymann zu seinem 25 jährigen dozentenjubiläum darbringe.

Ich gedenke meinen stoff in fünf abschnitten zu behandeln, welche umfassen werden (I) das problem einer genesis des E., (II) die beiden anfangszeilen, (III) die platonischen spuren, (IV) die personalia und (V) die dichterische technik des E.

I. Problem einer genesis des Epipsychidion.

Es mag kühn erscheinen, in ermanglung von originalmanuskripten, gleichzeitigen notizen und traditionen über die abfassung eines werkes seine entstehung konstruieren zu wollen. Und doch liegen einige umstände vor, die, mit richtigem gefühl gesichtet, eine gewisse handhabe zur lösung der frage bieten können.

sind

Für die genesis eines 'gelegenheitsgedichtes'- und Shelley's und Goethe's dichtungen haben nach dem eigenen geständnis ihrer verfasser fast ausnahmslos als solche zu gelten nach unserer ansicht die poetischen momente, chronologisch betrachtet, von der allergrössten bedeutung. Wird es im allgemeinen auch unmöglich sein, sämtliche poetische momente herauszufinden, die zur erzeugung eines dichterischen planes führten, so ist doch auch mit der ergründung eines einzigen

meist schon ein wesentliches resultat gewonnen. Für Adonais beispielsweise lassen sich mühelos zwei poetische momente erkennen der frühe tod eines genialen sängers, und das mörderische gift der kritik. Eines dieser beiden motive hätte zur erzeugung eines Adonais - ähnlichen gedichtes genügt; während umgekehrt, beim völligen mangel dieser momente, also auf einen lebenden und gefeierten Keats ein grösseres weihgedicht im allgemeinen nicht entstanden wäre.

Wenn wir in ähnlicher weise die ereignisse jener Pisaner tage chronologisch durchlaufen und von anbeginn nach poetischen momenten derselben suchen, werden wir sogleich gewahren, dass schon Pacchiani's erzählung von einer eingekerkerten gräfin ein allgemein poetisches, für den freiheitsdürstenden Sh. aber ganz wesentlich poetisches moment enthielt. Noch mehr: bereits der professore hatte das » arme klosterfräulein« mit einem im käfig trauernden vogel verglichen. Eine lieblichere wiederholung dieses stimmungsvollen vergleichs tönt an Sh.'s ohr, als bei gelegenheit seines ersten besuches Emilia die gefangene lerche apostrophiert. Nicht ohne bedeutung ist es, dass die glänzende metaphernreihe des ersten teils unsres E. mit folgendem glied anhebt

(v. 5): Poor captive bird! who from thy narrow cage

Pourest such music etc.

Medwin1) setzt diese allegorie in direkte beziehung zu Emilia's melodischer klage im parloir. Als ursprünglichste huldigung könnte somit ein lied zärtlicher mittrauer geplant gewesen sein, das speziell den vergleich des gefangenen vogels durchführen sollte.

Aber noch ein zweites poetisches moment ist mit diesem ersten gleichzeitig und innig verschmolzen: der eindruck makelloser schönheit auf ein empfängliches gemüt. Es wäre ein fruchtloses unterfangen, jede regung persönlicher leidenschaftlichkeit in unsrem liebessang ableugnen zu wollen. Emilia, so berichtet schon der alte professore"), war ein avua idea, und für die liebe geschaffen. Das »in üppigen träumen schwelgende auge« der Italienerin wird auf den an ein kühles liebumfangen gewöhnten Engländer seinen eindruck nicht ver

1) The Life of P. B. Sh. London 1847. II 64.

2) S. z. b. Dowden's Life of Sh. II 369.

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fehlt haben. Wir kennen auch Shelley's impulsive natur, die in jenem augenblick des ersten sehens mit ganz andrem wonnejauchzen als Dante's scholastischer geist gejubelt haben mag Apparuit jam beatitudo vestra! In diesem punkt haben die gereiften mannesjahre das jünglingstheorem Love is inevitably consequent upon the perception of loveliness 1) nicht über bord geworfen. Eine vom hauch warmer persönlichkeit umwobene detaillierte schilderung von körperreizen, wie sie an mehreren leidenschaftlichen stellen des E. auftritt, erwächst nimmermehr aus späterer nüchterner reflexion: sie wird nur aus jenem fieber geboren, das um mit Plato 2) zu sprechen die berührung mit dem — schönen in dem schönheitsfähigen wesen hervorruft.

So wenig allerdings die delikatesten fragen des empfindens mathematisch zu messen sind, so wenig vermag der verfasser vorliegender zeilen seine dargestellte auffassung im eigentlichen sinne zu beweisen. Gleichwohl glaubt er überzeugt sein zu dürfen, dass der erste teil des E. 3) mit seinem begeisterten lobespreis der schönheit, mit seiner rührenden klage über das los der gräfin aus der unmittelbaren bewunderung, aus der unmittelbaren teilnahme des ersten sehens und hörens ersprossen ist. Es war dies ein allgemein dichterischer vorwurf, ein begeisternder stoff, der nach ausdruck verlangte, und den allein wohl auch ein Wordsworth in seiner weise freilich hätte gestalten können.

In intellektueller und moralischer beziehung hat Sh. in der schönen gräfin kein ideal ersehen. Dies ist schon von mehreren forschern aus dem kühlen ton seiner briefschilderungen gefolgert worden). Emiliens glühendes südländisches empfinden riss ihn mit fort, ihr glänzendes philosophieren begeisterte ihn aber welch weiter weg von da bis zum geist der vollkommenheit, der im E. gefeiert wird!

1) Queen Mab. Note zu V. 189, bei Forman IV 477.
2) Symposion 206 D und 209 B. C.

3) d. i. vers 1-146. Die meisten kommentatoren verschmelzen mit diesem huldigenden teil den ganz heterogenen philosophierenden abschnitt 147-190 zu éinem gedankenganzen und bekommen hiedurch eine einteilung des E. in 3 gruppen. Dass eine solche disposition unberechtigt ist, werden wir sogleich erkennen. Freilich warum nach den staubgefüllten früchten des toten meeres statt nach Hesperien's goldäpfeln greifen?

4) Vgl. Dowden II 389 f.

J. Hoops, Englische studien, 28. 3.

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