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wenigstens angedeutet. Und wenn Ritter einen blick in Molenaar's buch wirft, wird er einsehen, dass absolute vollständigkeit in dieser richtung nicht zu erzielen ist. Die parallelen bleiben immer vermehrungsfähig. So sehr sie tiefe kenntnis und beschlagenheit erfordern, sind sic doch teilweise dem zufall anheimgegeben. Ich bin fest davon überzeugt, dass bei dem Chinesen Li-thai-pe oder bei dem Araber Motanabby ebenfalls stellen begegnen, die wie ein vorklang von Burns gemahnen. Darauf kann es nicht ankommen; sonst würde alle methode über den haufen gerannt, und die quellenforschung würde zum werkzeug in der hand eines jeden bücherverschlingenden dilettanten. Was uns die hauptsache bleiben muss, das eigene, das der dichter einträufelt, wird sich immer noch am sichersten aus der augenblicklichen stimmung heraus feststellen und beurteilen lassen.

Das sind die bedenken, die ich gegen Ritter im allgemeinen erheben muss. Nun noch zu einzelheiten:

S. 10: Bedeutet wirklich Burns' unselbständiger erstling Handsome Nell,,wegen seiner ungekünsteltheit und wahrhaftigkeit einen bruch mit den gepflogenheiten des pseudoklassicismus"? Des dichters sinn steht nicht nach schönheit und legt keinen weit auf bunte kleidung seiner liebsten, sondern wertet ihre geistigen vorzüge, ihre unschuld und bescheidenheit höher. Ritter erklärt dies für „,im wesentlichen originelle, Burns eigentümliche gedanken und empfindungen". Auf der folgenden seite widerspricht er sich, wenn er zwei lieder mitteilt, die denselben gedanken ausführen. Grade der gedanke, dass den bauernsohn nicht äussere schönheit besticht, sondern dass er unschuld und bescheidenheit als lobenswertere eigenschaften nennt, liegt ihm von haus aus fern; er hat aus anderen liedern der zeit gelernt, dass bei deren dichtern geistige vorzüge mehr in die wagschule fielen.

S. 12: die strophenform des gedichts Handsome Nell würde ich eher als 4a 3b 4c 3b bezeichnen.

S. 14: die eigenartige, überraschende schlusswendung des gedichts O Tibbie, I hae seen the day will Ritter auf rechnung des dichters setzen. Auch hier widerspricht er sich selbst, denn auf der nächsten seite citiert er entsprechende vorlagen.

S. 23 Mir scheint es zweifelhaft, ob bei dem lied The Lass of Cessnock Banks schon Ossianische vergleiche vorgeschwebt haben. Der gedanke, dass das gleichnis von dem nebel, der abends am hang

des gebirgs emporklimmt, aus direkter beobachtung geschöpft sei, ist nicht ohne weiteres abzuweisen.

S. 28: Für das Gebet hat schon Brandl mit glück Pope als

vorlage namhaft gemacht.

S. 35: Mit der vagen behauptung, Burns habe die typischen züge in den balladen durch individuelle in dem ergreifenden liede My Father was a Farmer ersetzt, können wir uns nicht abspeisen lassen; wir möchten wissen, worin die individuelle färbung besteht. Die persönlichen züge knüpfen sich an die gestalt des alten: „der arme, aber ehrenwerte, innerlich stolze vater weist schon auf The Cotter's Saturday Night hin, ebenso die überzeugung, dass jeder bauer ein kleiner könig und ihm die hütte palast ist. In der lobpreisung des 'cheerful honest-hearted clown' ist der erste leise vorklang des Schibboleths zu finden, dem er später in,,trotz alledem und alledem" der stempel der unsterblichkeit aufgedrückt hat" (Robert Burns, s. 25).

Die darstellung Ritters strebt nach einem sachlichen ton strenger wissenschaftlichkeit, vermag jedoch der trockenheit nicht immer zu entgehen. Alle würze scheint mit mit einer gewissen absichtlichkeit vermieden, als ob dadurch die wissenschaftliche bedeutung der arbeit angetastet werden könnte. In üblem sinne auffällig sind die zahlreichen englischen citate; diese sätze, die aus halb und halb zusammengebraut sind, lesen sich schlecht, z. b. s. 6:,,eine eingehende darstellung der literarischen vorbedingungen that made the poetry of Burns possible'." Durfte das nicht übersetzt werden? Oder s. 37:,,Allan Ramsay hatte das metrum höchst 'effectively' verwendet". Wäre ,,wirksam" minder gut gewesen? Endlich möchte ich den gebrauch des adverbs als adjektiv in der verbindung,,einen ungefähren begriff" beanstanden; sonst wird sich demnächst,,das zune fenster" auch in der schriftsprache einbürgern.

Berlin, 1. Februar 1900.

Max Meyerfeld.

Helene Richter, Percy Bysshe Shelley. Mit dem bildnis des dichters. Weimar, E. Felber, 1898. Mit namenregister pp. 640. 80. Pr. 10.— mk.

Es war im jahre 1884, als uns H. Druskowitz, dr. phil., mit einer nach dem damaligen stand der forschungen wohl brauchbaren deutschen Shelley biographie beschenkte. Vielleicht ist es nicht bedeutungslos, dass eine neue deutsche biographie dieses dichters J. Hoops, Englische studien. XXVIII. 1.

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uns ebenfalls von einer Wiener dame geboten wird, die sich auf dem gebiet der Shelley-litteratur bereits einen guten namen gemacht hat als feinfühlige übersetzerin des Entfesselten Prometheus, als biographin jener berühmten verfechterin der frauenrechte im vorigen jahrhundert, Mary Wollstonecraft, die als spätere gattin Godwin's und mutter von Shelley's gattin Mary in den kreis der Shelleyfamilie gehört, und schliesslich auch als übersetzerin der schrift A Vindication of the Rights of Woman (1792) jener vorkämpferin der emanzipation.

Das studium Shelley's hat seit Druskowitz bedeutende fortschritte gemacht, am meisten wohl durch die anregungen und publikationen der Shelley Society, die von 1886-92 bestand und mit der zentenarfeier des dichters (1892) ihre aufgabe für erfüllt hielt. Mit hilfe der familie und vieler privater quellen konnte 1886 Dowden's grosse Shelley-biographie erscheinen, auf der jede weitere forschung über des poeten leben zu fussen hat und natürlich auch die vorliegende biographie, die gründliches studium dieses quellenwerkes zeigt, teilweise sogar so sehr, dass man ihr wörtliches nachschreiben Dowden's zum vorwurf gemacht hat. Seitdem lässt sich die zunehmende lektüre Shelley's und die in weitere kreise dringende anerkennung desselben in Deutschland am nachdrücklichsten an unseren hochschulen vermerken, wo durch vorlesungen und andere anregungen schon mancher essay junger Anglisten als beitrag für die Shelleyforschung veranlasst wurde.

Wir durften also ein verdienstliches werk in dem neuen buche Richters erwarten, das sich auch äusserlich gar stattlich präsentiert, zumal da es gegenüber dem buch der Helene Druskowitz um das doppelte stärker geworden ist. Auch dem inhalte nach stehe ich nicht an, es im ganzen genommen als eine wertvolle hervorbringung zu bezeichnen, deren verbreitung im kreise gebildeter laien dem studium des dichters grossen vorschub leisten würde. Denn das haupterfordernis des biographen besitzt Richter in hohem masse; sie hat es verstanden, die individualität des dichters zu begreifen und sich mit ganzer hingebung in diese zu versenken, sie sich zu eigen zu machen und aus dieser disposition heraus uns den mann, sein werk und seinen kreis darzustellen. Das geht nicht allein aus den zahlreichen (10 von 29), teilweise recht umfangreichen kapiteln hervor, die sich mit den grösseren und kleineren schöpfungen Shelley's befassen und mehr als die hälfte des buches betragen, sondern aus der betrachtung jedes einzelnen, auch des kleinsten gedichtes, wo

sich überall vorsichtiges studium des momentanen milieu und genaues sichversenken in das kolorit und in die stimmung zeigt. Dass bei einer solchen kennerin des dichters auch die benützung der einschlägigen litteratur neben der hauptquelle, den werken selbst, nicht vergessen wurde, ist nach dem inhalte als sicher anzunehmen, lässt sich aber äusserlich leider nur an einzelnen fussnoten erkennen; von einem werke mit diesen ansprüchen dürfte heutzutage, auch wenn es für ein grösseres publikum bestimmt ist, und manchmal gerade deswegen, eine genaue angabe der benutzten quellen und werke verlangt werden. Wie viel mehr uns Richter gegenüber Druskowitz geboten ist, lässt sich am besten aus den betreffenden kapiteln, z. b. »Der entfesselte Prometheus und andere gedichte<< ersehen, wo die letztere uns eine inhaltsangabe und eine reihe, oft zu vieler, zitate vortrug, während Richter uns in die werkstatt des dichters führt und ab ovo die entstehung und weitere entwicklung des opus mit ursache und wirkung vor unseren augen darlegt. Ich möchte gerade diesen teilen des buches seinen hauptwert zuschreiben, die eine einführung in die dichtungen und eine exegese derselben bieten.

Was die darstellung des lebens selbst in seinen verschiedenen daten und phasen anlangt, vermisst referent die übersichtlichkeit der einzelnen perioden, die durch dazwischen eingestreute exkurse über die dichtungen allzusehr auseinandergesprengt und verschoben werden. Ihm däucht nach eingehender behandlung eines grösseren lebensabschnitts, oder aber in den letzten jahren des geschilderten je nach einer genauen darstellung eines dieser jahre eine darauf folgende und auf den betreffenden abschnitt bezügliche übersicht der hervorbringungen am geeignetsten, um den faden der ereignisse in der biographie nicht zu verlieren. Damit steht im zusammenhang ein mangel an kritischer sichtung im vorliegenden buche, dessen biographische ausführungen ja sehr reichlich sind, aber fast ohne quellen und gewährsmänner anzugeben, wodurch authentisches und sagenhaftes in gleichmässiger erzählung gegeben wird, sodass bei nachprüfung der fakta keine sicherheit, dem unkritischen leser aber kein reines bild des charakters und der begebenheiten gezeigt werden kann. So wird beispielsweise p. 14 die zweimalige verweisung Shelley's aus Eton als nacktes faktum dargestellt, während wir als einzigen beleg dafür einen viele jahre späteren brief Shelley's an Godwin mit kurzer notiz haben. Die verfolgungen des jungen fag zu Eton allerdings eine der stellen, die Dowden fast wörtlich nachge

schrieben sind p. 11 und 12 geben ein zu verzerrtes bild des damaligen lebens an einer public school. Shelley's freund und nachmaliger biograph Hogg scheint nicht mit der nötigen vorsicht benützt worden zu sein, da er nach Richter (p. 31) »das herz auf dem rechten fleck hat, während seine spätere treulosigkeit in bezug auf Shelley's gattin Harriet erwiesen ist. Jener mangel an übersicht der darstellung wird aber geradezu verwirrend dadurch, dass den einzelnen daten in der erzählung meist die jahreszahl fehlt, und dadurch der verfasserin selbst der überblick verloren geht. p. 288 nimmt Sh. am 10. März 1817 von den freunden abschied (cf. Dowden II 288), seite 311 wird der faden wieder aufgenommen mit der richtigen notiz, dass Sh. am 12. März 1818 über den kanal setzt. Am beginn des 20. kapitels (p. 361), das mit den worten beginnt: >> Das jahr 1820 begann für Sh. in wenig erfreulicher weise << notiere ich mir, dass von 1819 so gut wie nichts berichtet ist. Zwei seiten weiter dagegen (p. 363) beginnt mit dem Februar 1819 erst eine detaillierte darstellung der ereignisse dieses jahres. Es wird zugegeben werden, dass ähnliche inkonsequenzen, die sich häufig vorfinden, hätten vermieden werden können, und gerade in dieser hinsicht wäre das beispiel Dowden's mit der jahreszahl am kopf oder rand jeder seite zur raschen orientierung zu empfehlen gewesen.

Neben diesen unklarheiten in der datierung sind andere ungenauigkeiten zu finden, welche die bei einem so gross angelegten buche notwendige sorgfalt in den details vermissen lassen. Wenn R. p. 112 das gedicht Southey's über den irischen patrioten Robert Emmet erwähnt, hätte sie auch das noch berühmtere Thomas Moore's über seinen unglücklichen landsmann zitieren sollen, zumal sie einige zeilen weiter an Moore erinnert; p. 226 wird eine stelle aus Mary's History of a Six Weeks Tour angeführt für die schilderung eines aufenthaltes in Genf aus dem jahre 1816, während der bericht für die reise im jahre 1814 geschrieben ist. p. 319 wird Mr. Hoppner (nicht Hoppener, wie R. beständig schreibt), gar zum englischen botschafter in Venedig gestempelt: er war jedoch bekanntlich.

einfacher konsul. Auf derselben seite wird die reise von Padua per schiff(!) nach Venedig fortgesetzt; für den aufenthalt in Byron's Villa dei Cappuccini bei Este fehlt wieder jedes datum in bezug auf ankunft, dauer des aufenthaltes u. s. w., bis wir p. 324 zufällig erfahren, dass Sh. mit den seinen am 5. November Este verlässt. Man liest p. 326: »Täglich, den milden November hindurch, weilt Sh. in den ruinen des Kolosseums«. Der aufenthalt in Rom

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