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JENAIS CHEN

ALLGEMEINEN

LITERATUR - ZEITUNG

VOM

JAHRE I 8 0 4

ERSTER JAHRGANG,

JENA,

in der Expedition diefer Zeitung,

und

LEIPZIG,

in der kurfürftlich-fächfifchen Zeitungs-Expedition.

1804.

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der

JENA ISCHEN

ALLGEM. LITERATUR-ZEITUNG

Numero I.

LITERARISCHE

I. Nekrolog.

VITTORIO GRAF VON ALFIERI

geb. zu Afti 1743.

Alfieri war Italiens erfter tragischer Dichter.

Bis auf ihn befafs diefes an grofsen Dichtern fo reiche Land kein gutes Trauerfpiel, und fast alle Verfuche in diefer Dichtungsart, Maffei's Merope nur zum Theil ausgenommen, dienten blofs, das Unvermögen ihrer Urheber zu zeigen. Worin auch hievon die Urfache liegen möge, ob im Charakter der Nation oder der Sprache: fo kann es nicht anders als zur Erhöhung von Alfieri's Ruhme dienen; denn je gröfser die Schwierigkeiten, um fo rühmlicher war deren Ueberwindung. Alfieri nahm fich die Meisterwerke Griechenlands zum Mufter, und fuchte die hohe Einfachheit derfelben nachzuahmen. Die italienische Sprache gewann unter seiner Feder eine Stärke, die nicht mindere Bewunderung erregte, als die ungemeinen Schönheiten in feinen Tragö

dien.

Franzöfifche Kritiker würden ihm zum befonderen Lobe anrechnen, dafs er fich den drey berühmten Einheiten des Ariftoteles unterwarf; der Teutsche müfste nach Leffing's Kritiken, und Göthe's und Schiller's Muftern schweigen, wenn nur diefes Lob dem Dichter zu ertheilen wäre.

Doch nicht allein durch feine theatralischen Producte ift Alfieri bekannt, fondern auch durch politifche Werke, die, wenn fie auch auf die Sitten feiner Zeit und feines Landes keinen Einflufs hatten, doch dazu geeignet find, ihn unter begünftigenden Umständen, die aber fehwerlich fobald wiederkehren dürften, zu äussern. Er war mithin auf jeden Fall ein merkwürdiger Mann, und die Schilderung feines Charakters, als Menfch und als Dichter, kann nicht ohne Interesse seyn. Alfieri wurde in der MilitairAkademie zu Turin erzogen, und nahm, als er diefe verlaffen hatte, Dienfte in einem GarnifonRegimente. Während diefer Dienstzeit machte er eine Reife durch Teutschland, England und

NACHRICHTEN.

Frankreich, nach deren Vollendung er feinen Abfchied nahm. Er befafs einen ernften, leidenfchaftlichen, melancholifchen Charakter, und ein Gemüth, das mit raftlofem Ungeftüm jede Neigung feines Herzens und jedes Ideal feiner Vernunft verfolgte. Nothwendig mufste er bey ei nem folchen Temperament mit fich felbft und mit der Welt zerfallen. Aber die Energie, und die höhere Tendenz feines Geiftes, erhob ihn frühe über die Täufchungen der Leidenfchaft; dafs er auch von feinen Idealen getäuscht werde, davon konnten ihn fchmerzliche Erfahrungen erst fpäter überzeugen. Aus einem brennenden Freyheitstriebe zerrifs er alle, denfelben befchränkenden, Verhältniffe feines Ranges und Standes, entfagte den Vorrechten feiner Geburt und allen Ehrenftellen, wozu fie führen konnten, und verliefs fein Vaterland, um in einem fremden Lande ganz fich felbft, den Wissenschaften, und der Kunft zu leben, welcher er, nach einem glücklichen Verfuche in derfelben, der aber ungedruckt geblieben ift, fein Leben zu widmen Befchloffen hatte. Der grofse Gedanke, Italiens erfter tragilcher Dichter zu werden, und von der Bühne herab die tiefentarteten Nachkommen des gröfsten und mächtigften Volkes der Vorwelt auf's neue für das hohe Gefühl der Freyheit zu begeistern, erfüllte feine ganze Seele Um Menschenkenntnifs zu fammeln, und fich die höhere wissenschaftliche Bildung für feinen Zweck zu erwerben, hatte er Paris zu feinem Aufenthalte gewählt. Das Studium der franzöfifchen Philofophie, ftatt den Kampf der Leidenschaft und der Vernunft, den Widerfpruch feiner Ideale mit der Wirklichkeit, in feinem Gemüthe auszugleichen, und ihn fowohl mit fich felbft, als mit der Welt aufser im, ihn Harmonie zu bringen, hatte vielmehr eine entgegengesetzte Wirkung auf ihn. Einem folchen Geifte konnte eine folche Philofophie unmöglich genügen. Er verzweifelte, hinfort zu finden, was fie ihm nicht zu gewähren vermocht hatte; er blieb, fo lange er lebte, mit fich felbft fowohl, als mit der ihn umgebenden Welt in ftetem Widerftreit, und zog fich in fpätern Jahren gänzlich aus ihr zu

A

räck.

rück. Ausser der Ruhmbegierde, und dem unermüdeten Beftreben, feinen dramatifchen Werken, von denen er mit Recht feine Unfterblichkeit erwartete, die höchfte Correctheit zu geben, und fie dem Ideale, das er fich von einem vollkommenen Drama gebildet hatte, möglichst nahė zu bringen, beherrschte ihn noch eine andere, nicht minder nächtige Leidenschaft: er liebte, und feine Liebe wurde erwiedert. Aber auch diefes harmonische Verhältnifs des Herzens mit einer eben so geistreichen als reizenden Frau, das bis an's Ende feines Lebens förtgedauert hat, war nicht im Stande, fein Gemüth mit fich felbft und mit der Welt zu verföhnen; feine unruhige Phantafie, die, bey feinem Hange zur Melancholie, am liebsten über düftern Bildern brütete, vergönnte ihm nur wenige Augenblicke ungeftörter Zufriedenheit. 'Ein fo heftiger Charakter, der immer zu Extremen hinftrebte, war nicht gemacht, in feinen Affecten Maafs zu halten; er mufste entweder lieben oder haffen, und verachten, was er nicht hochschätzen konnte. Durch Verachtung rächte er fich an den Menschen, weil er einft eine zu hohe Meinung von ihnen gehegt hatte, und feit der franzöfifchen Revolution, welche fein hohes Freyheitsideal in fo fchrecklicher Entftellung realifirte, verwandelte fich diese Verachtung in tiefen, unverföhnlichen Hafs; er brach allen Verkehr mit der Welt ab; kein Fremder hatte mehr Zutritt zu ihm; fogar Briefe von unbekannter Hand wiefs er ab, und nur einige wenige von feinen ältern Freunden durften ihn befuchen. Aber eben fo unveränderlich war er in der Anhänglichkeit an geprüfte Freunde. Seine zärtliche Freundschaft für den, in feinen Schriften öfter genannten, Gori Gandellini in Siena, und feine rührenden Klagen um den Tod deffelben, find ein Beweis davon, und in den letzten zehn Jahren feines Lebens war das oben erwähnte innige Verhältnifs mit einer durch Charakter und Geift achtungswürdigen Frau noch das einzige Band, das ihn an die menfchliche Gefellschaft knüpfte.

Alfieri hat fein Aeufseres und Inneres mit wenigen, aber treffenden Zügen, die uns feine Geftalt, fein durch ewigen Widerftreit mit fich Telbft entzweytes Gemüth und feinen Freyheitsfinn malen, in nachftehendem Sonnette gefchildert:

Sublime fpecchio di veraci detti,

Moftrami in corpo e in anima qual fono:
Capelli, or radi in fronte, e roffi pretti,
Lunga ftatura e capo a terra prono;
Sottil perfona in fu due ftinchi schietti;
Bianca pelle, occhi azzurri, afpetto buono;
Giufto nafo, bel labro, e denti eletti;
Pallido in volto, più che un re ful trono;
Or duro, acerbo, ora pieghevol, mite;
Irato fempre, e non maligno mai;
La mente e il cor meco in perpetua lite:

Per lo più melto, e talor lieto affai;

Or ftimandomi Achille, ed or Terfite:
Uom, fe' tu grande, o vil? Muori, e il saprai,
Alfieri.

Wie es bey einer folchen Gemüthsart Alfieri er-
gehen musste, fobald er mit ihr an politische
Unterfuchungen ging, ift leicht zu erachten.
Keine Confequenz Ichreckt ihn; der Umfturz
ganzer Staaten, die Flammen des Bürgerkrieges,
die Greuel der Revolutionen, fcheinen ihm blofs
vorübergehende Uebel, wodurch man ein dau-
erndes Gute erlange.

Im J. 1789 liefs Alfieri fein Werk über die Tyranney drucken. Hierin handelt er von den Ministern, den Armeen, der Religion, dem Adel und den Hofleuten; er unterfucht das Betragen, welches man gegen einen Tyrannen annehmen müsse, bis auf welchen Punct man feiner Regierung fich unterwerfen könne, welche Mittel es gegen die Tyranney gebe u. f. w.

gro

Sein Werk der Fürft und die Wiffenfchaften, ift in drey Abschnitte getheilt. In dem erften fucht er zu beweifen, dafs die Fürften nur aus Furcht und Eigennutz die Wiffenfchaften beschützen; in dem zweyten, dafs die Gelehrten, ohne fich zu erniedrigen, den Schutz der Fürften nicht annehmen; und in dem dritten, dass nur in einem freyen Staate die Wissenschaften blühen könnten. Nachdem er die Jahrhunderte des Perikles, Auguftus, Leo des Zehnten und Ludwig des Vierzehnten durchmustert hat, unwillig, fie mit Namen von Tyrannen bezeichnet zu sehen, weiflagt er ein fünftes wahrhaft fses Jahrhundert, das fich das Jahrhundert der Unabhängigkeit nennen werde. Damit aber diefes Jahrhundert komme, mülle man einer völligen Freyheit geniefsen, diefs fey ausdrückliche Bedingung. Diefe Schriften, voll des glühendften Enthusiasmus für Freyheit, find vorzüglich auch deshalb merkwürdig, weil fie vor der Revolution gefchrieben find, wo der Verf. felbft noch nicht aandete, dafs die Realifirung feines Ideals fo nahe fey. Sie erhielten also nicht durch die Anregung der Zeitumftände, fondern durch den eigenen aus der Lectüre der Alten genährten Freyheitsfinn des Verf., ihr Daseyn.

An jene Werke schliefsen fich seine Gedichte der höheren lyrifchen und epifchen Gattung an: die fünf Oden auf die Befreyung Amerika's, die Ode auf die Zerstörung der Baftille (Parigi sbaftigliato), und das gerächte Hetrurien in vier Gefängen, in denen allen nur Ein Gefühl herrscht, das Gefühl für Freyheit. Seine übrigen kleineren Gedichte beftehen aus etwa zweyhundert Sonetten, und einigen anderen in verschiedenen Sylbenmassen. Von den Sonetten find die meiften an eine und diefelbe Dame gerichtet, der er auch das Trauerfpiel Myrrhagewidmet hat; die übrigen find theils fatirifchen Inhalts, theils

Aus

Ausbrüche feines Mifsmuthes. Alle tragen die Farbe feiner melancholifchen Gemüthsart. Die lateinischen Autoren liebte Alfieri fehr, vornehmlich die aus den letzten Zeiten der Republik; allein die, welche den Kaifern gefchmeichelt hatten, betrachtete er als feile, elende Sklaven. Tacitus war fein Lieblingsautor, Plinius aber erregte nur feinen Unwillen, und die Lobrede auf Trajan flöfste ihm die gröfste Verachtung ge. gen diefen Schriftsteller ein. Er falste daher den Entfchlufs, diefe berühmte Lobrede im ganz entgegen gesetzten Sinne umzuarbeiten; und feine dem Plinius in den Mund gelegte Lobrede auf den Trajan ist das befte unter den profailchen Stücken Alfieri's; denn durch die Sorgfalt, welche er darauf verwendete, verlor fein Styl in derfelben das Trockene und Schmucklofe, das inan ihm bisweilen vorwerfen kann, und ward ein Meisterstück der Beredfamkeit und der eleganten Diction. Alfieri war, wie er felbft in irgend einem feiner profaischen Auffätze gefteht, der griechischen Sprache unkundig; er konnte allo die alten Tragiker, die er fich zum Mufter genommen hatte, nur in Uebersetzungen ftudiren; und in feinen eigenen dramatischen Werken ift es unverkennbar, dafs er fie im Wiederfcheine der franzöfifchen Tragödie angesehen hat. Nur schrieb er fich, um, feiner Meinung nach, der hohen Einfalt des griechischen Trauerspieles noch näher zu kommen, ftrengere Gesetze vor, welche er auch, fo fehr fein freyer Geift fonft alle Feffeln der Convenienz hafste, mit der gröfs ten Strenge gegen fich felbft beobachtete, und fich in diefen felbft angelegten Feffeln mit ungemeiner Leichtigkeit bewegte. Er beobachtete nicht allein, wie fchon anfangs bemerkt worden, die drey Einheiten genau, fondern verbannte auch, weil er durchaus keine zur Handlung nicht unumgänglich nothwendige Nebenperfonen auf der Bühne dulden wollte, alle Vertrauten aus feinen Dramen, und rühmt es felbft von fich, dafs er in keinem Teiner Stücke auch nur Eine unnütze Perfon aufgeführt habe.

Vielleicht ift aber Alfieri hier aus einem Extrem ins andere verfallen, denn der Mangel von Nebenperfonen nöthiget ihn zu langen, häufigen und unwahrscheinlichen Monologen, und er mufs nicht felten die Hauptperfonen felbft einander zu Vertrauten machen.

Neunzehn Trauerfpiele find es, welche Alfieri hinterlassen hat: Philipp der Zweyte; Poly nices; Antigone; Virginia; Agamemnon; Oreft; Rosemunde; Octavia; Timoleon; Merope; Maria Stuart; die Verfchwörung der Pazzi; Don Garcias; Saul; Agis; Sophonisbe; Brutus der ältere; Myrrha; Brutus der jüngere.

Die fämtlichen Werke Alfieri's find in 8 Bänden erschienen, bey Pirotta und Maspere in Mailand: Der Preis des ganzen Werks ift 20 Mail. Lire. Die fünf erften Bände enthalten die

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Tragödien, und die übrigen drey Bäude die vor hin genanuten Schriften. Früher fchon erfchica eine prachtvolle Ausgabe von Alfieri's Tragödien bey Didot in Paris, in fechs Bänden, in gröfsten Octavformat. Vor einigen Jahren kam von den Tragödien eine franzöfifche Ueberfetzung heraus; und erft neulich ist auch eine teutsche Ueberfetzung derfelben erfchienen.

Eine ausführliche Analyfe von Alfieri's verfchiedenen Stücken läfst fich hier nicht erwar ten. Nur einige allgemeine Bemerkungen mögen hier einen Platz finden: Scine Plane find einfach, feine Intriguen niemals mit unnöthigen Zwischenfällen überladen; allein die Raschheit der Handlung thut oft der Entwickelung der Leidenschaften Eintrag, und die Scenen find bisweilen nicht hinlänglich motivirt. Die grösste Stärke diefes Autors beftand in Darftellungen des Aeufserften der Bosheit, der finstern Politik, der kalten Graufamkeit; doch hat er auch weibliche Charaktere entworfen, voll Zartheit und Feinheit der Empfindung.

Wie jeder originelle Genius fich für feinen Ausdruck eine eigene Sprache formt, wenn die vorhandene ihm nicht Genüge leiftet: fo mufste auch Alfieri fich für feine dramatischen Werke eine eigene Sprache bilden. Unter allen grofsen Dichtern in feiner Sprache war Dante der einzige, welcher der Energie und Freyheit feines Geiftes entsprach; er wählte fich denselben zum Mufter, aber mit Vermeidung der Rohheiten, die feinem Vorbilde ankleben. Seine Sprache ist immer rein, correct und dichterisch, kraftvoll im Ausdruck, kühn in den Wortfügungen und Inverfionen. Sie hat Eigenthümlichkeiten, die zwar dem Geifte der Sprache gemäfs find, aber ihrer Neuheit wegen bey den orthodoxen Sprachhütern Italiens anfangs manchen Widerspruch fanden, von dem kleineren Theil der philofophifchen und gefchmackvollen Sprachkenner hingegen mit Billigung und Beyfall aufgenommen wurden. Man erinnert fich, dafs unter unseren Landsleuten Klopftock und Vofs anfänglich ähnliche Vorwürfe erdulden mussten, bis man ihre Bemühungen als verdienftlich anerkannte, und fie felbft als nachahmungswürdige Vorbilder auch in diefer Hinficht betrachtete. Erwägt man, dass

Alfieri in seiner Jugend eigentlich keine gelehrte Erziehung empfing, dafs in feinem Vaterlande die höhere Ausbildung des Geiftes durch eine vernünftige Philofophie faft unmöglich ift, und dafs er die Cultur, die er in Frankreich vielleicht erwarb, durch die Beschränkung feines Geiftes auf die dramatische Form jener Nation erkaufen mufste: so wird man gegen das, was er unter diefen Hindernillen wirklich geleiftet hat, gerecht feyn. Mit einer teutfchen Geiftescultur durch Ideen, mit genauer Kenntnifs der Alten ohne Vermittelung der franzöfifchen Bühne, noch mehr aber durch das Studium Shakspear's, wäre Alfieri

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