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untergraben, die an die Stelle des Natürlichen ein schlechthin Uebernatürliches fezte, so konnte auch die wahrhaft menschliche Persönlichkeit Chrifti nie ihren festen Halt und Bestand gewinnen. Zwar suchte auch schon der Rationalismus das Wunder zu beseitigen, ja die Bestreitung des Wunderglau bens war seine wesentlichste Aufgabe, sollte aber das Falsche des bisherigen Wunderbegriffs gründlich abgeschnitten werden, so mußte man über die dem Rationalismus mit dem Supranaturalismus gemeinsame Grundlage hinausgehen. „Das Wunder ist“, ist in dieser-Beziehung neuestens mit Recht ges fagt worden, „die unmittelbarste Consequenz des gewöhnlichen Theismus. Wird Gott einmal als ausserweltlicher Wille gedacht, so muß man auch eine Bethätigung dieses Willens in der Welt zugeben, diese Bethätigung aber, als Hereingreifen eines transcendenten Princips in den Weltlauf, kann nur eine übernatürliche, ein Wunder, seyn. Der Rationalismus befand sich daher mit seiner Abneigung gegen das Wunder auf keinem günftigen Boden; von der supranaturalistischen Voraussezung über das Verhältniß Gottes und der Welt ausgehend, hatte er kein Recht mehr, ihre Folge zu bestreiten, und das Gefühl dieser mißlichen Stellung war es, was die ältern Vertreter dieser Denkart veranlaßt hat, ihre Polemik gegen den Wunderglauben fast ausnahmslos, mit einer auch dem ungeübteren Blick auffallenden Halbheit, auf die Erkennbarkeit des Wunders zu beschränken, seine Möglichkeit dagegen wenigstens nicht entschieden zu läugnen. Von dieser Halbheit hat sich Schleiermacher dadurch befreit, daß er die Quelle derselben verstopft, die Vorstellung von Gott als aufserweltlichem: absolutem Willen, oder richtiger als absoluter Willkür aufgegeben hat. Die göttliche Causalität hat keine andere Sphäre ihrer Bethätigung, als die Welt, und kein anderes Gesez ihres Wirkens, als die Nothwendigkeit der Sache, diese zwei Säze, die uns auf jeder Seite der Schleiermacher'schen Dogmatik entgegenkommen, enthalten das ganze Geheimniß

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ihres Spinozismus“ 16). Wenn Schleiermacher, wie es scheint, zunächst nur vom Standpunct seines Abhängigkeitsgefühls aus den Saz aufstellt, daß aus dem Interesse der Frömmigkeit nie ein Bedürfniß entstehen könne, eine Thatsache so aufzus fassen, daß durch ihre Abhängigkeit von Gott ihr Bedingtseyn durch den Naturzusammenhang schlechthin aufgehoben wird, so hat dieser Saz selbst zu seiner Voraussezung den weitern, daß das fromme Selbstbewußtseyn, vermöge dessen wir alles, was uns erregt, und auf uns einwirkt, in die schlechthinige Abhängigkeit von Gott ftellen, ganz zusammenfällt mit der Einsicht, daß eben dieses durch den Naturzusammenhang bedingt und bestimmt ist. Die Abhängigkeit einer Erscheinung von Gott ist demnach nichts anders als ihr Bedingtseyn durch den Naturzusammenhang und nur unter der Vorausfezung der Unzerstörbarkeit dieses Zusammenhangs kann Schleiermacher behaupten, daß das Gefühl der Abhängigkeit um so vollständiger sev, je mehr wir die ganze Welt darin aufnehmen, am vollständigsten somit, wenn wir alles in der Erscheinung Getrennte in Gedanken als Eins sezen, oder alles im Naturzusammenhang betrachten "). Es ist mit Einem Worte die spinozistische Weltbetrachtung, welche vermittelst der Schleiermacher'schen Glaubenslehre, indem ihre Auffaffung des Wunderbegriffs wenigstens soviel bewirkte, daß man immer mehr Bedenken tragen mußte, das Wesen des Wunders in das schlechthin Uebernatürliche zu sezen, et nen neuen Haltpunct im allgemeinen Bewußtseyn der Zeit gewonnen und dem Rationalismus und Supranaturalismus ihren gemeinsamen Boden entzogen hat. Auf das Verhält niß Schleiermachers zu dem Gegensaz dieser beiden Denkweisen muß man daher zurückgehen, um seine Lehre von

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16) Zeller, Erinnerung an Schleiermacher's Lehre von der Persönlichkeit Gottes. Theol. Jahrb. Bd. I. H. 2. S. 285.

17) Der chriftl. Glaube. I. §. 46. 47.

untergraben, die an die Stelle des Natürlichen ein schlechthin Uebernatürliches sezte, so konnte auch die wahrhaft menschliche Persönlichkeit Chrifti nie ihren festen Halt und Bestand gewinnen. Zwar suchte auch schon der Rationalismus das Wunder zu beseitigen, ja die Bestreitung des Wunderglaubens war seine wesentlichste Aufgabe, sollte aber das Falsche des bisherigen Wunderbegriffs gründlich abgeschnitten werden, so mußte man über die dem Rationalismus mit dem Supranaturalismus gemeinsame Grundlage hinausgehen. „Das Wunder ift", ist in dieser Beziehung neuestens mit Recht gefagt worden, „die unmittelbarste Consequenz des gewöhnlichen Theismus. Wird Gott einmal als ausserweltlicher Wille gedacht, so muß man auch eine Bethätigung dieses Willens in der Welt zugeben, diese Bethätigung aber, als Hereingreifen eines transcendenten Princips in den Weltlauf, kann nur eine übernatürliche, ein Wunder, feyn. Der Rationalismus befand sich daher mit seiner Abneigung gegen das Wunder auf keinem günftigen Boden; von der supranaturalistischen Voraussezung über das Verhältniß Gottes und der Welt ausgehend, hatte er kein Recht mehr, ihre Folge zu bestreiten, und das Gefühl dieser mißlichen Stellung war es, was die ältern Vertreter dieser Denkart veranlaßt hat, ihre Polemik gegen den Wunderglauben fast ausnahmslos, mit einer auch dem ungeübteren Blick auffallenden Halbheit, auf die Erkennbarkeit des Wunders zu beschränken, seine Möglichkeit dagegen wenigstens nicht entschieden zu läugnen. Von dieser Halbheit hat sich Schleiermacher dadurch befreit, daß er die Quelle derselben verstopft, die Vorstellung von Gott als ausserweltlichem absolutem Willen, oder richtiger als absoluter Willkür aufgegeben hat. Die göttliche Causalität hat keine andere Sphäre ihrer Bethätigung, als die Welt, und kein anderes Gesez ihres Wirkens, als die Nothwendigkeit der Sache, diese zwei Säze, die uns auf jeder Seite der Schleiermacher'schen Dogmatik entgegenkommen, enthalten das ganze Geheimniß

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der Tiefe dieses Lebensquells in frischer verjüngter Gestalt hervorgehen zu lassen, so will fie auf der andern Seite doch - wieder alles, was sie aus sich selbst erzeugt und aus ihrem #innern Princip ans Licht geboren hat, nur als ein Empfangenes und Mitgetheiltes betrachtet wissen. Wir werden hiemit auf die bekannte Deduction hingewiesen, welche Schleier2 macher von der Person des Erlösers gegeben hat. Ihre = Hauptsäze find kurz diese: Als Glied der chriftlichen Gemeinschaft ist sich der Geist der Wirksamkeit eines die Macht der Sünde in ihm hemmenden und aufhebenden Princips be wußt. Die Wirksamkeit dieses Princips kann er aus der chriftlichen Gemeinschaft selbst nicht so herleiten, daß fie nur durch die Wechselwirkung ihrer Mitglieder hervorgebracht wäre, da in dem Gesammtleben der Sünde, in welchem sich jeder zunächst vorfindet, jeder Einzelne die Sünde sowohl felbft erzeugt, als von Andern empfängt. Sie kann nur von einem Solchen ausgehen, der auf der einen Seite diejenige Unfündlichkeit und Vollkommenheit hatte, welche die Wirksamkeit dieses Princips voraussezt, auf der andern aber zu der christlichen Gemeinschaft in einem solchen Verhältniß: steht, daß seine persönlichen Eigenschaften sich ihr mittheilen kön nen, d. h. ihr Stifter ist. Es ist also der Schluß von der Wirkung auf die Ursache, welcher dieser Theorie, zu Grunde liegt. Was wir in unserm Bewußtseyn als Wirkung vorfinden, kann nur durch Chriftus gewirkt seyn, und wie wir von der Wirkung auf die Wirksamkeit Christi zurückschließen, fo gilt derselbe Schluß auch wieder von der Wirksamkeit Christi auf seine Person. Was Christus durch die Vermitt lung der christlichen Gemeinschaft in uns wirkt, ist die Kräftigung des Gottesbewußtseyns in seinem Verhältniß zum sinnlichen, d. h. wir finden es uns erleichtert, die Uebermacht der Sinnlichkeit in uns zu brechen, alle Eindrücke, die wir em pfangen, auf das religiöse Gefühl zu beziehen, und hinwiederum alle Thätigkeiten aus demselben hervorgehen zu lassen.

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Chriftus unter den richtigen Gesichtspunct zu stellen. Alles, was je im Intereffe des Rationalismus liegen konnte, wurde aufs vollkommenfte erreicht, wenn Schleiermacher nur in dem Sinne, in welchem er überhaupt alles Uebernatürliche, nur sofern es zugleich als natürlich begriffen werden kann, für übernatürlich gehalten wiffen wollte, eine übernatürliche Erscheinung in Christus anerkannte. Auch ser konnte ihn nur in die Reihe derer stellen, welche man, jeden in seinem Gebiet, als Heroen bezeichnet, um dadurch, so wie durch die höhere Begeisterung, die man ihnen zuschreibt, anzudeuten, daß fie zum Besten des bestimmten Kreises, in welchem sie erschei nen, aus dem allgemeinen Lebensquell befruchtet find, und deren Erscheinen von Zeit zu Zeit als etwas Gesezmäßiges anzusehen ist, wenn wir überhaupt die menschliche Natur in ihrer höhern Bedeutung festhalten wollen 18). Nehmen wir noch dazu, mit welcher freifinnigen Kritik Schleiermacher über diejenige Momente des Lebens Chrifti, die die Hauptstüzpuncte der supranaturalistischen Ansicht sind, seine übernatürliche Erzeugung, seine Auferstehung und Himmelfahrt, urtheilte, so sehen wir hierin die bisher angestrebte natürliche Ansicht von der Person Christi, als einer wahrhaft menschlichen, ihrem Ziele zugeführt.

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Hiemit ist also dem rationalistischen Intereffe volle Ge= nüge geschehen, aber wie steht es, müssen wir nun weiter fragen, mit dem fupranaturalistischen, welchem doch auch das gleiche Recht zu Theil werden soll? Diese Frage heißt und wieder uns in den innersten Mittelpunct der Schleiermacher'schen Glaubenslehre, von welchem alle Fäden ihres kunstreich ge= wobenen Ganzen ausgehen, hineinversezen. Wie sie auf der einen Seite den ganzen Inhalt des supranaturalistischen Glaubens aus seiner starren Aeusserlichkeit in das innerste Selbftbewußtseyn des Subjects herübergenommen hat, um ihn aus

18) A. a. D. I. S. 89.

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